Bericht der Berliner Enteignungskommission: Der Politik Zukunft abringen

Enteignen ist möglich, das hat der Senat nun schwarz auf weiß. Die Frage ist: Will die Politik dicke Bretter bohren oder den Bohrer verstecken?

Übergabe eines Berichts

Not amused: Christian Gaebler (links) und Kai Wegner (rechts) Foto: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Politik ist eine Sache der zwei Geschwindigkeiten. Während die Verantwortlichen in Regierung und Parlament auf die Wählerinnen und Wähler schielen und dabei selten über den Horizont einer Legislaturperiode hinausblicken, treiben andere ihre Ideen mit stoischer Geduld und unbeirrtem Elan voran. Manche nennen das auch dicke Bretter bohren.

Es sind diese dicken Bretter, an die sich, einmal gebohrt, nachfolgende Generationen erinnern. Zum Beispiel an den Dauerwaldvertrag, ein Jahrhundertwerk, das Naturschützer dem preußischen Fiskus mitten im Ersten Weltkrieg 1915 abgerungen haben. Ohne diesen Vertrag gäbe es heute keinen Grunewald mehr, er wäre an Terraingesellschaften verkauft, die ihn wiederum für den Bau von Villen parzelliert hätten. Die Zivilgesellschaft hat der Politik ein Stück Zukunft abgerungen.

Denjenigen, deren Spazierwege während des Ringens um eine Lösung immer kleiner geworden waren, hat der Vertrag nicht unmittelbar geholfen, auch das gehört zur Wahrheit. Eine große Lösung, das ist die andere, ist immer kleiner als erwünscht, und zu spät kommt sie auch noch.

Eine große Lösung, das wäre auch ein Vergesellschaftungsgesetz in Berlin. Am Mittwoch hat die Expertenkommission, die der Senat eingesetzt hatte, ihr abschließendes Gutachten vorgestellt. Das Ergebnis ist verblüffend deutlich. Enteignungen nach Paragraf 15 des Grundgesetzes sind nicht nur zulässig, sie könnten auch ein wichtiges Instrument im Ringen um Daseinsvorsorge werden. Ein Gamechanger also wie der Mietendeckel, nur, dass bei diesem die Rechnung ohne den Wirt (die Gerichte) gemacht wurde, während nun der Wirt von vorneherein am Tisch sitzen soll.

Senat spielt auf Zeit

Für all jene, deren Mieten seit Jahren durch die Decke gehen, ist das eine abstrakte gute Nachricht. Sie werden von einem Vergesellschaftungsgesetz, wenn überhaupt, erst in Jahren profitieren. Nicht ausgeschlossen auch, dass es da schon zu spät ist. Denn die Politik, dieser andere Player mit der anderen Geschwindigkeit, spielt auf Zeit. Erst soll nun ein Rahmengesetz auf den Weg gebracht werden. Dieses soll auch erst zwei Jahre nach seiner Verabschiedung Gültigkeit erlangen, damit zuvor das Verfassungsgericht seine Verfassungsmäßigkeit prüfen kann.

Dennoch könnte mit dem Gutachten, das die Expertenkommission nun vorgelegt hat, Geschichte geschrieben werden. Steht am Ende der stoischen Geduld und des unbeirrten Elans tatsächlich ein Vergesellschaftungsgesetz, wäre auch in der Mietenpolitik der Politik ein Stück Zukunft abgerungen worden.

Politiker wie der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) oder Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) stünden dann die wie ein paar lernunwillige Lehrlinge auf dem Bau. Nachfolgende Generationen werden dann vielleicht urteilen: Anstatt Bretter zu bohren hatten sie gehofft, es helfe, die Bohrer zu verstecken.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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