Bergbauschäden in NRW: Am Ende blecht der Steuerzahler
In Nordrhein-Westfalen sind tausende Schächte und Stollen einsturzgefährdet. Ihre Stabilisierung wird hunderte Millionen Euro kosten.
Denn am Haltepunkt Hügel, 1890 vom Großindustriellen Friedrich Alfred Krupp als Zufahrt zu seiner gleichnamigen palastartigen Villa erbaut, könnte sich der Boden in einen Krater verwandeln. Elf alte Steinkohleflöze mit mindestens sieben großen Hohlräumen haben Techniker unter der Strecke gefunden. Um die zu verfüllen, pressen sie jetzt täglich bis zu 100 Kubikmeter Beton in die Erde – die Kosten gehen in die Millionen.
Vor allem an der Ruhr, im Aachener Kohlerevier und an der Saar dürften solche Bergschäden in den kommenden Jahrzehnten beinahe alltäglich werden: Rund 60.000 verlassene „Tagesöffnungen“ gibt es allein in Nordrhein-Westfalen, schreibt die schwarz-gelbe Landesregierung in einer Antwort auf eine große Anfrage der Grünen. Für rund 2.500 dieser aufgegebenen Schächte hat das Land die Verantwortung übernommen – ihre Betreibergesellschaften sind längst verschwunden, aufgelöst, aus den Firmenregistern gestrichen.
Bei rund 1.000 dieser Schächte muss mit Einsturz gerechnet werden – sie gelten als „langfristig nicht zu akzeptierendes Risiko“. Und bei 65 Anlagen ist nicht einmal die genaue Lage bekannt: „Leider sind während der beiden Weltkriege zahlreiche Unterlagen – insbesondere Grubenbilder – verloren gegangen“, so das Wirtschaftsministerium.
„Das sind besorgniserregende Nachrichten“, sagt die grüne Abgeordnete Wibke Brems. „Wir wissen nun, dass wir nichts wissen.“ Als besonders gefährlich gilt der oberflächennahe Altbergbau bis zu einer Tiefe von 100 Metern, der in Nordrhein-Westfalen eine Fläche von 267 Quadratkilometern durchlöchert hat. Allein in Bochum trifft das knapp 63 Quadratkilometer – das sind 43 Prozent des Stadtgebiets. „Das Ruhrgebiet ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse“, sagt Brems.
Zwei Garagen und ein Cabrio: weg
Die Folgen sind oft spektakulär: Im Bochumer Stadtteil Wattenscheid verschwanden im Jahr 2000 zwei Garagen und ein Cabrio in einem 40 Meter breiten und ebenso tiefen Krater, bergmännisch „Tagesbruch“ genannt. 2012 fuhr auf der A45 bei Dortmund drei Wochen lang kein Auto mehr, nachdem sich auf dem Mittelstreifen die Erde geöffnet hatte. Und 2013 mussten Teile des Essener Hauptbahnhofs wegen Löchern im Untergrund gesperrt werden – da viele Züge nur noch Schrittgeschwindigkeit fahren durften, gab es über Wochen lange Verspätungen.
Trotzdem soll eine umfassende Risikoanalyse der Bergaufsicht an der Ruhr erst 2021 abgeschlossen sein. Für das Aachener Revier soll sie sogar noch zehn Jahre auf sich warten lassen. Aktuell fehlt sogar ein zentrales Kataster, das erfasst, welche Gefährdungsanalysen und Sicherungsmaßnahmen Firmen wie ThyssenKrupp, RWE oder Eon als die Rechtsnachfolger ehemaliger Bergbauunternehmen an alten Zechen eigenständig durchführen lassen. Man habe daher „nur einen eingeschränkten Überblick über die tatsächliche Gefährdungssituation in den Bergbaurevieren des Landes“, muss das Wirtschaftsministerium einräumen.
„Ein solches Kataster wäre sinnvoll“, sagt auch Ulrich Aghte, Sprecher des einzigen noch aktiven Bergwerksbetreibers RAG. In Bottrop wird „Prosper Haniel“ als letzte deutsche Steinkohlezeche noch bis Ende 2018 fördern.
Die Landesregierung will eventuell nachbessern: Es werde „eine Verschärfung der Informationspflichten“ geprüft, so FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart auf taz-Nachfrage.
Kosten von 130 Millionen Euro
Völlig unklar bleibt aber, wer für die Bergschäden der kommenden Jahrzehnte zahlen wird. Klar ist: Für jeden sanierten Schacht unter Landesaufsicht hat Nordrhein-Westfalen zwischen 2007 und 2016 im Schnitt knapp 129.000 Euro ausgegeben. Allein für die schon heute bekannten weiteren rund 1.000 einsturzgefährdeten Anlagen in Landeszuständigkeit kommen damit Kosten von 130 Millionen Euro auf die SteuerzahlerInnen zu.
Allerdings: Für knapp 10.000 Schächte und Stollen tragen die Rechtsnachfolger der Altgesellschaften, also RAG, ThyssenKrupp, RWE, Eon und andere die Verantwortung. Zur Höhe der Kosten und dafür zur Seite gelegter Rückstellungen wollen die Unternehmen jedoch keine konkreten Angaben machen.
Die Firma Littelfuse als Rechtsnachfolger der Heinrich Industrie hat der Landesregierung sogar mitgeteilt, selbst die Zahl ihrer „potenziell zu sanierenden Schachtanlagen“ sei schlicht „unbekannt“.
Die grüne Abgeordnete Brems fordert daher, die einstigen Bergbaufirmen zur Offenlegung ihrer Kalkulationen zu zwingen. „Die Landesregierung sollte kontrollieren, ob die Rückstellungen ausreichend sind. Sonst bleibt der Steuerzahler auf den Kosten hängen.“
„Ganze Regionen haben sich abgesenkt“
Die Tagesbrüche sind nur die spektakulärsten Schäden, die der Steinkohlebergbau hinterlassen hat: Hinzu kommen die sogenannten Ewigkeitskosten, die auf 220 Millionen Euro pro Jahr geschätzt und noch jahrhundertelang anfallen werden.
Der Grund: Der Boden im Ruhrgebiet hat nachgegeben, weil die Kohle entfernt wurde und Stollen eingestürzt sind. „Ganze Regionen haben sich abgesenkt, in extremen Fällen bis zu 25 Meter“, räumt die RAG-Stiftung ein, die die Ewigkeitskosten finanziell absichern soll. Ein Beispiel: Die Essener Innenstadt lag vor hundert Jahren unvorstellbare 16 Meter höher als heute.
Völlig verändert wurde damit der Wasserhaushalt: Jährlich müssen Millionen Kubikmeter Wasser abgepumpt werden, damit sich das nördliche Ruhrgebiet nicht in eine Seenlandschaft verwandelt. Denn es liegt im ehemaligen Sumpflandschaft der Emscher.
Hinzu kommen massive Umweltprobleme: In den alten Schächten und Stollen steckt nicht nur hochgiftiges PCB, das aus Hydraulikölen der Fördermaschinen stammt. In mindestens vier Zechen wurden auch rund 700.000 Tonnen giftiger Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen eingelagert. Damit sich das Gift nicht mit dem Grundwasser vermengt, müssen die 1.000 Meter tiefen Schächte dauerhaft trocken gehalten werden – diese sogenannte Grubenwasserhaltung muss bis in alle Ewigkeit laufen – und das abgepumpte Wasser aufwendig gereinigt werden.
Die Kosten sollen durch das Vermögen der RAG-Stiftung finanziert werden, das sich auf über 10 Milliarden Euro beläuft. Doch schon 2006 hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ein Kapital von 13 Milliarden Euro für nötig gehalten, um die Ewigkeitskosten zu finanzieren – und ausdrücklich auf eine mögliche Gefährdung des Trinkwassers hingewiesen.
Ewig erfolgreiche Evonik
In der aktuellen Nullzinsphase aber sind solche Berechnungen illusionär. Um die Ewigkeitskosten von jährlich 220 Millionen Euro einzuspielen, sei derzeit ein Kapital von unglaublichen 400 bis 500 Milliarden Euro nötig, hat RAG-Stiftungschef Müller eingeräumt.
Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit will Stiftungssprecherin Sabrina Manz dennoch nichts wissen: Die Steigerung des nötigen Kapitals von „13 auf 450 Milliarden“ sei lediglich ein „zinsmathematisches Phänomen“. Manz verweist auf die Dividende des Spezialchemieunternehmens Evonik AG; der einstige „weiße Bereich“ der RAG wurde der Stiftung 2007 zur Absicherung übertragen. 2016 habe die Stiftung „ein Ergebnis von 393 Millionen Euro verzeichnet“, betont Manz – davon „gut 360 Millionen Euro an Dividende von Evonik“.
Anders gesagt: Um die Ewigkeitskosten zu finanzieren, muss Evonik ewig erfolgreich sein.
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