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Beratungsnetz gegen RassismusVon Betroffenen für Betroffene

Ein bundesweites Angebot gegen Rassismus startet. In 32 Anlaufstellen sollen Be­ra­te­r*in­nen aus den Community-Organisationen arbeiten.

Das Beratungsnetz gegen Rassismus startet und soll auch Lücken im ländlichen Raum schließen Foto: Britta Pedersen/dpa

Berlin taz | Im Rahmen einer Auftaktveranstaltung in Berlin hat die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Reem Ala­bali-Radovan, am Montag ein bundesweites Beratungsangebot gegen Rassismus vorgestellt. Für das Modellprojekt bauen acht Migrant*innen- und Community-Organisationen das Netz mit Anlauf- und Beratungsstellen auf.

Das Modellprojekt sei „kein Top-Down-, sondern ein Bottom-Up-Ansatz“, sagte Alabali-Radovan. Die Beratung stelle die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt, Betroffene können selbst Ak­teu­r*in­nen werden – und zwar hauptamtlich. Die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration führte aus, dass niemand die Bedürfnisse der Betroffenen so gut kenne wie die Communtiy-Organisationen. Sie würden einen Vertrauensvorschuss bei anderen Betroffenen genießen. Außerdem erhoffe sie sich, dass dadurch die Hürde geringer wird, Beratung in Anspruch zu nehmen.

Die Beratungsangebote sollen Lücken auch im ländlichen Raum schließen, so Alabali-Radovan. Hamza Barashed vom Antidiskriminierungsverband Deutschland zeigte auf, wieso das wichtig ist: Es gebe etwa 100 Antidiskriminierungsstellen deutschlandweit, aber vor allem in den Ballungszentren. Selbst dieser Bedarf wird bei weitem nicht ausreichend abgedeckt, denn: Eine Vollzeit-Beratungsstelle ist zurzeit für etwa 900.000 Ein­woh­ne­r*in­nen zuständig.

Modellprojekt wird drei Jahre lang finanziert

Ein weiterer Baustein ist ein Monitoring- und Dokumentationssystem. Damit soll laut Ala­bali-Radovan das „Dunkelfeld rassistischer Vorfälle“ erhellt werden und nachvollziehbar sein, in welcher Form und Umfang Rassismus vorkommt.

In den bundesweit 32 Anlauf- und Beratungsstellen sollen rund 50 Be­ra­te­r*in­nen bereit stehen. Das Vorhaben treffe „den Nerv der Zeit“, so die 33-jährige Sozialdemokratin. „Rassismus ist Gewalt. Betroffene leiden physisch und psychisch.“ Zudem sei er für viele allgegenwärtig, „bei der Wohnungssuche, im Behördenkontakt oder auf dem Fußballplatz“. Sie hofft, dass durch die geschaffenen Strukturen weitere Dominosteine im Kampf gegen Rassismus fallen. Es brauche „viel mehr Präventionsarbeit beim Rassismus, da wurde zu lange alles verschlafen.“

Das Projekt wird seit dem 1. Januar 2023 drei Jahre lang mit insgesamt 12 Millionen Euro finanziert. 26 der 32 Stellen sind bereits eingerichtet, der Rest soll bis Ende des Jahres dazukommen. „Die Gefahr ist, dass Projekte zu kurzfristig gedacht werden, es bedarf einer langfristigen Finanzierung. Was passiert nach den drei Jahren?“, fragte Magdalena Benavente vom Migrationsrat Berlin. Ursprünglich war das Geld nur für eine Antirassismushotline vorgesehen, ein Vorschlag aus der letzten Legislaturperiode, der von den Selbstorganisationen kritisch betrachtet wurde.

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1 Kommentar

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  • "Das Modellprojekt sei „kein Top-Down-, sondern ein Bottom-Up-Ansatz“, sagte Alabali-Radovan." --> Nur weil die Bundesbeauftragte mit neuen Buzzwords von einer Art Graswurzelbewegung schwadroniert, wird die Aussage nicht richtiger.

    Natürlich handelt es sich um einen Top-Down, oder auf deutsch: von oben verordneten, Ansatz. Der Bund stellt 12 Millionen Euro zur Verfügung und schafft hauptamtliche Stellen. Noch mehr von oben geht gar nicht. Sowohl die Finanzierung als auch die Anzahl der Stellen werden verordnet.

    Ein Bottom-Up-Ansatz wäre, wenn die "Communities" diese Beratungsangebote selbst schafft (und sich im Kern auch um deren Finanzierung kümmert).

    Der größte Witz ist aber folgende Aussage, die nahe an Fake-News vorbeischrammt:

    "Eine Vollzeit-Beratungsstelle ist zurzeit für etwa 900.000 Ein­woh­ne­r*in­nen zuständig." Auf diese Zahl kommt man nur, wenn man 84 Millionen Einwohner teilt und großzügig (von 840.000 auf 900.000) aufrundet. Nur dürfte aber das Beratungsinteresse von Babys und Kleinkindern (ca. 5 Millionen) Einwohner gegen Null tendieren. Allein dadurch kommt ein Beratungsstelle auf 800.000 Einwohner.

    Zudem dürfte der Beratungsbedarf von Deutschen ohne Migrationshintergrund gegen Null tendieren, selbst wenn man von der Prämisse ausgeht, dass es auch Rassismus gegen Weiße gibt. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist 27,8 %. Der wahre Beratungsschlüssel ist daher wohl eine Vollzeit-Beratungsstelle auf ca. 212.000 Personen und damit fast fünfmal besser als behauptet.

    Warum verbreitet die taz hier falsche Zahlen?