Beliebte Jägerei: Töten aus Lust
Warum schießen Menschen auf Tiere, wenn sie gar nicht müssen? Die Literatur deutet auf einen Zusammenhang von Erotik und Tötungsakt hin.
BREMEN taz | Halali. Die Jagd ist aus. Seit Donnerstag herrscht Schonzeit in Niedersachsen, wenigstens für Rehböcke und die anderen Schalenwildarten, endlich auch für Grau-, Kanada- und Nilgänse und Fasane – das hat die neue Jagdzeitenverordnung von Agrarminister Christian Meyer (Grüne) schon etwas vereinheitlicht.
Kleine Raubtiere dürfen dagegen noch bis März erlegt werden, und Kaninchen, die sich ja auch mangels Kleinräuber zu stark vermehren, dürfen Jäger noch bis Mitte Februar schießen, ja doch, es geht ums Töten, und um die Lust daran. Das ist das Problem. Ohne das ließe sich die Jagd nämlich als totale Mega-Erfolgsstory erzählen. Immer mehr machen mit! Allein in den fünf norddeutschen Bundesländern gibt es laut DJV bereits 95.913 JagdscheininhaberInnen, davon 60.000 in Niedersachsen!
Und die Zahlen – steigen: In Schleswig-Holstein um gute zwei, in Bremen um deutlich über vier Prozent! Es sind mittlerweile auch Frauen dabei! Und unter Produktionsgesichtspunkten geht’s ohnehin ganz steil nach oben, schon lange, da reicht ein Blick in den gerade vorgelegten niedersächsischen Landesjagdbericht: Okay, bei Wildschweinen gab es mit 39.369 Abschüssen eine leichte Delle, und es wurden mit 13.534 auch 564 Damhirsche weniger getötet als im Vorjahr, aber dafür wurden 8.238 Rothirsche erschossen – so viel wie nie! – und sage und schreibe 135.358 Rehe: Rekord!
Seit 1958 haben sich alle Jagdstrecken mindestens verdoppelt, eher verdreifacht, und „trotz der hohen Abschusszahl wächst die Population weiter“ berichtet die dpa, wobei die Präposition falsch gewählt scheint: Statt „trotz“ müsste es vermutlich „wegen“ heißen. Denn klar, ein völlig enthemmter Abschuss kann die Ausrottung von Tierarten nach sich ziehen.
Entladung im erfolgreichen Tötungsakt
Doch jenseits davon ist die Annahme, dass ein gesteigerter Jagddruck die Reproduktionsraten erhöht, durch Beobachtungen gut fundiert: Besonders aussagekräftig sind die Ergebnisse der über 22 Jahre betriebenen Wildschwein-Studie der französische Ökologin Sabrina Servanty. Die dokumentiert, dass Wildsauen deutlich früher fruchtbar werden in stark bejagten Gebieten: Fast jede dritte einjährige Bache hat dort bereits geworfen, während in Gegenden, wo die Schweine fast unbejagt bleiben, die Jungtiere auch unter besten Bedingungen, bei reichlich Eicheln und Buchen, noch gar keine Frischlinge in den Wald setzen.
Wildbestände jedenfalls scheinen sich selbst zuverlässiger zu regulieren als der freie Markt. Von der Jagd hingegen ist nachgewiesen nur, dass sie den Mittagstisch der JägerInnen reguliert – und ihren Hormonhaushalt. Denn natürlich geht es um die, sagen wir: Freude, um das oft als überwältigend beschriebene Glücksgefühl, um die Anspannung, sei es des Lauerns und Suchens, sei es die Erregung des Hetzens und Treibens – und ihre Entladung im erfolgreichen Tötungsakt.
Diese findet in der einschlägigen Dichtung, dafür lohnt es sich, Michael Zachcials volksliederarchiv.de zu durchforsten, ihren Ausdruck als sich verselbstständigende Geräusch- und Explosivstoffkulisse: ’s blitzt und dampft und Pulver, Rohr und Büchse knallen, Hörner schallen, Jagdgeschrei, und Valleri Valera ha ha ha und juheirassa. Die Lärm-Topoi treten in einer Häufung auf, die eher einer inneren Realität zu entsprechen scheint, der Fröhlichkeit, dem maximierten Vergnügen, „daß ich kann das Stück erlegen/sei’s ein Hirschlein oder Schwein/ei, was kann wohl schöner sein“ – der Lust an der praktizierten Gewalt: „das Wildbret zu erlegen mein’ Lust hab ich daran“.
Es ist ein Tötungsakt, der sich selbst als eine Annäherung an Natur deutet: „Es ist“, schreibt Joseph von Eichendorff, der gewiss kein Jagdgegner war, „des Jägers dunkelwüste Lust, das schönste, was ihn rührt, zu verderben.“ Moderner, etwas weniger mystisch-raunend, hat das der 2009 gestorbene Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin vor zehn Jahren gefasst: Die Jagd eröffne einen „Freiraum für Verbrechen bis zum Mord und sexuelle Lust“ und sei „ohne vorsätzliche Tötung nicht zu haben“, schreibt er. „Leidenschaftlich Jagende wollen töten.“ Und: „Jagd ohne Mord ist ein Begriff, der sich selber aufhebt.“ Der Band heißt: „Die Leidenschaft des Jägers“ – und ist eher eine Art Selbstanalyse als eine Autobiografie. Denn Parin wusste sich selbst vom „Jagdfieber“ infiziert, dass ihn seit seiner Jugend „immer wieder mit der gleichen Macht wie sexuelles Begehren“ erfasst habe.
Das ist eine brisante Verknüpfung. Denn die Verbindung von Lust und Töten, sei es als Mordlust oder Lustmord, das ist der Erzklassiker nicht akzeptierter Verhaltensweisen. Und es versteht sich daher fast von selbst, dass in dem historischen Moment, in dem die Idee einer über das Recht erhabenen absoluten Herrschaft in die Krise gerät, auch das Jagen problematisiert wird. Und skandalisiert.
So attackiert der bedeutende norddeutsche Publizist und Satiriker Christian Ludwig Liscow 1739 in seiner Hamburger Zeit den „Unsinn unserer Jaeger“, der zur Verrohung führen müsse: „Wer viel mit Blut umgehet, wird blutgierig, und wer sich erst angewoehnet hat, die Thiere ohne Erbarmen zu morden, und zu quaelen, dem kan mit der Zeit die Lust ankommen, es mit Menschen eben so zu machen“, warnt er. Bei Niccolò Macchiavelli dagegen war die durch die Praxis der Jagd mögliche Pflege der Wehrkraft sowie der Fähigkeit, grausam zu sein, noch ein Grund gewesen, sie dem Fürsten für Friedenszeiten anzuraten.
Blutbad für alle
Aber eben: So wie ihn diese Entscheidungsgewalt über Leben und Tod erst zum Herrscher macht, kann auch er allein sie ausüben. Die Jagd ist Adelsprivileg, königliches Regal, in Deutschland bis 1848, in Frankreich bis zur Großen Revolution – und mit der Volksherrschaft kommt auch die Forderung nach einer „liberté illimitée de la chasse“ auf, dem Blutbad für alle: Es ist Robespierre, der sie 1790 mit Nachdruck erhebt. Gabriel Comte de Mirabeau setzt gegen ihn durch, dass die Republik das Jagdrecht an den Grundbesitz koppelt. Er wird schon bald sehen, was er davon hat.
Das verhohlene Wissen um die eigene Grausamkeit, gemessen an der Unschuld des Tiers, hat oft seinen Niederschlag in Jägerliedern gefunden: Da schaut etwa das Reh mit gebroch’nen Augen „den Jäger an/Als wollt’es sagen: Was hab ich dir getan?“, noch eindringlicher vielleicht findet es sich in den älteren, ungeschliffenen Versionen von „Gestern Abend ging ich aus“.
Denn in denen ist die von einer dunklen Erotik geprägte vorwurfsvolle Klage des armen Häschens aufbewahrt, das vom Jäger ertappt, vom Hund erschnappt, per Büchse erlegt ins Haus gebracht worden ist: Dort ziehe ihm der Jäger, beschwert es sich, „Pelz und Hosen aus/legt mich auf das Küchenbrett, […] Steckt den Spieß von hinten ein“ – und mündet in einer nicht zu beantwortenden Frage „Wie kann er so grob doch sein!“, der Stimme, wenn man so will, des Gewissens, oder der verletzten Konvention, die den Jäger heimsucht: „Ein aufgeklärter Mensch jagt nicht“, so hatte Parin geschrieben, „das ist gleichermaßen das Gesetz abendländischer Ethik“ – und sich zur Ausnahme erklärt.
Das macht moralisch-ethische Diskussionen über Jagd so unergiebig: Klar lassen sich, ohne die entscheidende Frage nach der Lust am Töten zu stellen, auf technischer Ebene Abmilderungen vorstellen, über die sich trefflich streiten lässt: So führt Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) derzeit einen erbitterten Krieg gegen das von Umweltminister Robert Habeck (Grüne) nach niedersächsischem Vorbild verfügte Verbot von Bleimunition ab kommenden März: Die Zahl der an Schwermetallvergiftung verendeten Greifvögel ist zu hoch, meint der Minister, und Blei im Rehbraten auch für Menschen ungesund. Unverbleit zu schießen sei Tierquälerei, behauptet Carstensen. Die Patronen würden nicht zuverlässig genug töten. Die Tiere würden leiden.
Eine Nützlichkeitserzählung
Grundsätzlich aber hat die Jagd erbitterte Gegner, die sich im Recht sehen. Und Befürworter, die ihre dunkelwüste Lust hinter legitimatorischen Diskursen verschanzen. Denn diese sind, das lässt sich an der jagdlichen Praxis der DDR abbuchstabieren, sehr modellierbar, wo nicht völlig austauschbar: So ist die Jagdkultur voller Rituale mit quasi-sakraler Entlastungsfunktion. Um derartigen „Bräuchen einen sozialistischen Anstrich zu verleihen, gingen Lehrbücher, Artikel und Aufsätze zu dem Thema nicht mehr auf die Ursprünge ein“, berichtet Meike Haselmann in einem Aufsatz über „Die Jagd in der DDR“, stattdessen wurden sie „im Rahmen des Sozialismus neu kontextualisert.
Das Schüsseltreiben etwa bedeutet das Aufbahren der gesamten erlegten Strecke vor dem Försterhaus, um „dem Wild die letzte Ehre“ zu erweisen, wie es in dem Jagdlied „Halloh! Die Flinten von der Wand“ heißt. Die Redaktion der offizielle Jagd-Gazette der DDR hatte dagegen laut Haselmann Anweisung, den „erzieherischen Wert“ der symbolischen Handlung zu rühmen, „der vor allem der Festigung des Kollektivs“ hätte dienen sollen.
Aber auch wer der gegenwärtigen Nützlichkeitserzählung der Verbände glauben will, landet bei einem motivationalen Problem: Dass immer mehr auch junge Menschen aus lauter Pflichtgefühl und Tierliebe viel Zeit und noch mehr Geld dafür aufwenden, schießen zu lernen, um im Wald in ihrem Dienst am Artenschutz gewissenhaft ein Reh nach dem anderen zu erlegen – also sehr plausibel klingt das nicht.
Nicht das Töten, sondern die Lust daran macht die Jagd zum Skandalon. Das eben nicht dadurch zu kompensieren ist, dass eine abgeschossene Gans zuvor länger und besser gelebt hat, tiergerechter, oder warum nicht: würdiger, als ein Stück von vornherein produktförmiges Mastgeflügel. Das stirbt, unbesungen und ungesehen, auf gleichsam industrielle Art. Und völlig lustlos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland