: Belichten heißt Erinnern
Der Tod, das Sein, die Hundescheiße: In Jan Peters' Essayfilm „Dezember 1 – 31“ geht es um alles und auch um das Nichts. Zwischen Yüksel Yavuz und Monika Treut ist das der interessanteste Hamburger Beitrag für die Berlinale ■ Von Jan Distelmeyer
Das mit der Realität im Kino ist eine schwierige Angelegenheit. Oder eine ganz einfache. Ein Satz von Jean-Luc Godard, der sich seiner schlichten Wahrheit wegen erfolgreich gegen das Todzitieren behauptet hat, lautet: Film ist Realität, 24mal in der Sekunde. Jedes Filmbild formt und formuliert seine eigene Wirklichkeit, stellt seine eigenen Gesetze auf, die durch unseren Blick lebendig werden. Das neue Projekt des Hamburger Jan Peters, Dezember 1 – 31, ist mehr als nur ein weiterer Beleg dieser Behauptung. Der Regisseur bebildert und reflektiert sie auf eine außergewöhnlich leichte und persönliche Weise, ohne sie jemals aussprechen zu müssen.
Am Freitag wird Dezember 1 – 31 auf der Berlinale als Beitrag des Internationalen Forums des Jungen Films seine Premiere feiern. Damit ist er neben Filmen wie Yüksel Yavuz' hier schon gestarteter Aprilkinder, Monika Treuts Gendernauts und Peter Sempels Nina Hagen Punk & Glory der letzte von insgesamt zehn Hamburger Berlinale-Beiträgen.
„Okay, die Kamera läuft auch. Der Ton schlägt aus. Ganz schön hoch! Das sollte ich vielleicht noch mal nachregeln.“ Vor einer winterlichen Hamburger Hafen-Kulisse spricht Jan Peters per Mikrofon in seine Super-8-Kamera. Es ist der 1. Dezember 1997, und von diesem Tage an wird er einen Monat lang täglich eine dreiminütige Filmrolle belichten, die Länge eines handelsüblichen Super-8-Films.
Drei Minuten, in denen alles Mögliche passieren kann, das zumeist sehr privat beginnt und dann mit flottem Rhythmus zur Alltagsphilosophie aufsteigt, um sich im nächsten Augenblick an mysteriösen Phänomenen wie Telefonzellen, Riesen und Autobahnschildern festzubeißen. 31mal wird eine Spule beginnen und nach rund drei Minuten abrupt auslaufen, womit auch der Ton jedesmal mitten im Satz abgeschnitten wird. „Einmal im Monat jeden Tag eine Rolle Film belichten gegen das Vergessen, das ist die Idee.“
Was hier, weil es allein Text ist, unangenehm prätentiös klingen muß, ist eigentlich das genaue Gegenteil. Dezember 1 – 31 lebt vielmehr von seiner Leichtigkeit, mit Dingen umzugehen, die wie der Tod eines Freundes zugleich „schwer“ wiegen. Zeit, Tod, Sein, Nichts, Leben, Filme tauchen auf und verschwinden wieder, weil es vielleicht gerade etwas Wichtigeres gibt: zum Beispiel Mäuse in der Wohnung oder Reinigungsroboter in der Pariser Metro.
Die Kamera ist Begleiter und immer auch Thema. Jan Peters' Probleme, sich auf der Fahrt zu seiner Freundin nach Paris lauthals singend selbst zu filmen, gehören genauso dazu wie seltsame Störsignale in einer französischen Satellitenanlage, die sofort zu wilden Spekulationen um verborgene Zeichen aus dem Jenseits genutzt werden.
Der Charme und visuelle Reiz von Dezember 1 – 31 hat jedoch nichts mit Abbildungsrealismus oder ähnlichem Irrglauben zu tun. Auch und gerade der Momentcharakter der einzelnen Filme ist Teil einer Inszenierung, die offen als ästhetisches Prinzip funktioniert. Nicht alle Filme sind auf Super 8 gedreht, es wird innerhalb der „Rollen“ geschnitten, und auch der Ton bricht stets gezielt da ab, wo es einer sprunghaften Logik folgend paßt. Diese Struktur sorgt für Spannung, für ein ebenso wechselndes Tempo von Bildern und Worten, Themen und Motiven, die durch Jan Peters' Kommentare zusammengehalten und auseinandergerissen werden.
So spiegelt sich der Film in seinen Themen Zeit, Tod und Geschichte einerseits selbst und kann andererseits über die Frage philosophastern, wie der Schnee in Paris überleben kann und welche wichtige Aufgabe dabei der Schutzfaktor „Hundscheiße“ spielt.
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