Belgien legt zwei Atomkraftwerke still: Kleiner Riss mit großen Folgen
Wegen Sicherheitsbedenken sind Reaktoren in zwei belgischen AKW stillgelegt worden. Um die Versorgung zu gewährleisten, müssen eventuell Laufzeiten verlängert werden.
BRÜSSEL taz | Der Riss im Reaktorbehälter des belgischen Atomkraftwerks Doel bei Antwerpen ist nur 20 Millimeter groß. Aber er stellt die Energieversorgungssicherheit des gesamten Landes in Frage. Zwei Reaktoren wurden bereits vorübergehend stillgelegt.
„Im schlimmsten Fall werden wir (die Reaktoren) Doel 3 und Tihange 2 für die Stromproduktion in Belgien verlieren“, heißt es in einem internen Papier der belgischen Kontrollbehörde für Reaktorsicherheit.
Dies würde bedeuten, dass der Fahrplan für den Atomausstieg im Königreich ordentlich durcheinander gewirbelt würde. Bereits jetzt werden Forderungen von der grünen Opposition im Parlament und von Umweltschutzverbänden laut, dass der Atomausstieg schneller kommen müsse, als er bisher geplant ist.
Bisher sollen die belgischen Atomreaktoren schrittweise zwischen 2015 und 2025 vom Netz genommen werden. Das hatte das Parlament in Brüssel 2003 beschlossen. Allerdings fehlen die Alternativen. Die Atomkraftwerke produzieren etwas mehr als die Hälfte des belgischen Stroms.
Erneuerbare Energien liefern dagegen bisher nur lächerliche 3,2 Prozent. Der Rest wird mit Kohle und Gas abgedeckt. „Wir haben schon sehr viel Zeit verloren. Seit Jahren kämpft Belgien mit der Stromversorgung. Aber es gibt nach wie vor keinen ordentlichen Plan“, klagt Eloi Glorieux von Greenpeace Belgien.
„Äußerst aufmerksam“
Im vergangenen Jahr hat die Regierung in einer Studie errechnet, dass 2017 rund 2.000 Megawatt installierter Stromleistung fehlen werden, um die Versorgung des Landes sicher zu stellen. Sollten die beiden betroffenen Reaktoren nun gar nicht mehr ans Netz gehen, wird diese Situation noch dramatischer. Wahrscheinlich ist dann, dass die noch älteren Reaktoren, die ursprünglich 2015 stillgelegt werden sollten, länger laufen müssen - trotz der damit verbundenen möglichen Risiken.
Das Problem ist, dass der beschädigte Reaktorbehälter aller Voraussicht nach weder repariert noch ausgetauscht werden kann. Dem Betreiber, GDF-Suez, bleibt nur die Möglichkeit zu beweisen, dass trotz des Risses keinerlei Risiko für den weiteren Betrieb besteht. Das dürfte sehr schwierig werden.
Die belgische Innenministerin Joelle Milquet hat bereits angekündigt, sie werde „äußerst aufmerksam“ sein. „Die Sicherheit der Arbeiter und der Bevölkerung steht an oberster Stelle“, sagte Milquet. Beide belgische Atomkraftwerke liegen mitten in stark bewohnten Gebieten. Der Reaktor Doel 3, der nun abgeschaltet worden ist, liegt nur wenige Kilometer vom Antwerpener Stadtzentrum entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Amnesty-Bericht zum Gazakrieg
Die deutsche Mitschuld
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Wirbel um Schwangerschaftsabbruch
Abtreiben ist Menschenrecht
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel
Hilfslieferungen für den Gazastreifen
Kriminelle Geschäfte mit dem Hunger
Kritik an Wohnungspolitik der Regierung
Mietenpolitik der Ampel? Deckel drauf!