Bekenntnisse eines Obamaniacs: Das gute Amerika

Durch Barack Obama schlägt der Amerikahass in Amerikaliebe um. Das zeigt: Was als "Antiamerikanismus" erschien, war lediglich eine enttäuschte Liebe.

Gestalt gewordenes gutes Amerika: Barack Obama an der Siegessäule. Bild: Reuters

Wer Menschen ein wenig mit dem Blick des Ethnologen betrachtet, für den bot sich Donnerstagabend an der Siegessäule ein bemerkenswertes Spektakel. Und nicht der Redner Barack Obama war das Ereignis - sondern das Publikum. Das Entzücken in den Augen, die Ergriffenheit, diese Bereitschaft, sich begeistern zu lassen, all das hatte, wertfrei gesagt, etwas sehr Interessantes. Obama hat Charisma, wenngleich er es bei dieser Rede weit weniger virtuos ausspielte als gewohnt, aber dieses Charisma liegt auch im Auge des Betrachters. Erst im Dialog mit diesem Publikum wird aus dem Auftritt des Präsidentschaftskandidaten eine Erscheinung.

Plötzlich sind wir wieder alle Amerikaner. Und wie weggeblasen scheint das, was man jahrelang als Antiamerikanismus angesehen hat - diese Identifikation der USA mit George W. Bush, dieses Amalgam aus Ressentiment, Halb- und Eh-schon-Wissen, für das alles schlecht ist, was von der anderen Seite des Nordatlantiks kommt: Fastfood, Konsumismus, Imperialismus, Hollywood, Nike und Disney.

Messianische Erwartung

Aber auch die Charakterisierung dieses Gefühlscocktails als "Antiamerikanismus" hatte immer etwas Vorschnelles. Übersah sie doch, dass, wie immer bei Hasslieben, der Hass auch die Liebe voraussetzt. Dieser "Antiamerikanismus", wenn wir ihn überhaupt so nennen wollen, war eben auch ein Phänomen enttäuschter Liebe. So, als habe George W. Bush und seine Gang und das rechte Amerika unser imaginäres Amerika gekapert. Unser Amerika im Kopf: das egalitäre Amerika, das Amerika von Greenwich Village, von Dylan, von Woodstock. Dieses Amerika, mit dessen Songs Generationen aufwachsen, das uns allen, kaum sind wir in der Pubertät, den Soundtrack zu unseren Freiheitsfantasien liefert. Bushs Amerika kann man nur richtig hassen, wenn man dieses imaginäre Amerika verehrt. Und dieses imaginäre Amerika ist natürlich nicht nur Phantasma, keine bloße Fata Morgana. Es ist das Amerika, mit dem sich reale geschichtliche Erfahrungen verbinden. Das Amerika der GIs, die noch den Besiegten der geschlagenen Menschenschinder-Armee auf die Beine helfen, Kaugummi und Marshallplan im Tornister. Dieses gute Amerika verkörpert jetzt Barack Obama.

Den Frust, den Bush auslöste, bekommt Obama in gewechselter Münze zurück: als unbedingte Zuneigung, gewürzt mit einer Prise messianischer Heilserwartung. Er ist dafür ideal, weil er nicht nur das Richtige sagt, sondern in einer Art von Identitätspolitik, von Body-Politics, auch verkörpert. "Ich spreche zu Ihnen als Mit-Weltbürger", sagte er der jubelnden Menge. Das ist mehr als nur schön gesagt von einem Mann mit kenianischem Vater, einer Mutter aus Kansas, der noch dazu prägende Jugendjahre in Indonesien verbrachte. Er hat von Kindheitstagen gelernt, die Welt mit den Augen der anderen, auch sich durch die Augen der anderen zu sehen. Diese Fähigkeit, die es ihm ermöglicht, einen Draht zu völlig verschiedenen Milieus herzustellen, ist übrigens das Geheimnis von Obamas kometenhaften Aufstieg.

Wie bei jedem Hype kommen jetzt auch die Stimmen derer, die warnen. Die "Obamania" programmiere die Enttäuschung schon voraus. Gar so viel werde sich ja nicht ändern in der US-Außenpolitik: Schließlich bleiben die USA die Hypermacht, die vor allem ihre eigenen Interessen im Auge hat. Obama werde sich schon arrangieren, mit den Konservativen, mit den Militärs, mit den Multis, kurzum mit dem, was dem Durchschnittslinken so als die Achse des Bösen gilt. Das klingt realistisch, aber warum ist dieser Realismus eigentlich von Miesepetertum so verdammt schwer zu unterscheiden? Ja, möglicherweise wird uns auch Obama enttäuschen, so wie Tony Blair schon Hoffnungen geweckt und so wenig erfüllt hat. Aber warum dieses Insistieren auf die Enttäuschung, die manchmal fast nach einer Lust am Leiden aussieht?

Ja, auch Bill Clinton brachte nicht viel voran: Aber erstens lagen zwischen dem kooperativen Führungsgeist Clintons und dem "Wir-gegen-Sie" der Bush-Leute doch auch Welten; und zweitens war Clinton ab 1994 ein Gefesselter, gefangen von der Bitterkeit und der Obstruktion einer reaktionären Kongressmehrheit.

Realistischer Idealist

Obama wäre der stärkste demokratische Präsident seit Johnson. Er wolle nicht Präsident werden, er wolle ein "großer Präsident" werden, sagte er einmal. Zumindest würden es ihm die Umstände nicht verunmöglichen. Obama ist ein "realistischer Idealist", schreibt Fareed Zakaria im neuen Newsweek. Es ist dieser Menschenschlag, der die Welt verändert. Miesepetrisches Gekeppel und die sichere Überzeugung, es gäbe ohnehin nichts zu gewinnen, hat dagegen noch niemanden zu Engagement aktiviert. Sehen wir es doch einmal so: Wenn wir uns einen idealen modernen progressiven Politiker ausgemalt hätten, dann wäre ziemlich sicher Obama rausgekommen. Wenn ich die Wahl habe zwischen verstaubter linker Miesmacherei und der Obamanie, brauche ich nicht lange nachdenken: Trust the Hype!

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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