Behördenversagen in Großbritannien: Morde als Politikum
Premierminister Keir Starmer kündigt öffentliche Untersuchung von möglichem Behördenversagen im Zusammenhang mit den Messermorden von Southport an.
Dabei waren in der nordwestenglischen Stadt Southport drei Mädchen getötet und zehn weitere Personen verwundet worden. Das Massaker hatte verbreitete Unruhen mit Übergriffen rechtsextremer Mobs gegen Migranten und Flüchtlinge nach sich gezogen.
Bei der Untersuchung werde es, so Innenministerin Yvette Cooper, um die Frage gehen, wieso Rudakubana sich in eine so gefährliche Person verwandelte und wieso das staatliche Antiradikalisierungsprogramm Prevent, das terroristische Gefährder frühzeitig erkennen und gezielte Maßnahmen gegen sie ermöglichen soll, den ruandischstämmigen Jugendlichen trotz dreimaliger Hinweise durch andere Behörden ignorierte.
Extrem gewalttätige Einzelpersonen, die keiner Gruppe angeschlossen seien, stellten eine neue Art der Gefahr zusätzlich zum organisierten Terrorismus dar, sagte Starmer, vor seiner politischen Karriere britischer Generalstaatsanwalt. Änderungen in den Antiterrorgesetzen schließe er deswegen nicht aus.
Stamer: Isolierte Einzeltäter statt Terrornetzwerke
Starmer bemängelte auch gesellschaftliche Veränderungen, die es Menschen ermögliche, Parallelexistenzen zu führen. Isolierte Einzeltäter „in ihren Schlafzimmern“ seien an die Stelle von Terrornetzwerken wie al-Qaida getreten, ähnlich wie bereits in den USA. Der Staat reagiere zudem immer nur auf Kampagnen oder tragische Ereignisse. Die Untersuchung solle hierunter einen Schlussstrich ziehen und zu Veränderungen führen, sagte er.
Am Montag hatte der Prozess gegen Rudakubana begonnen. Es dürfte schnell gehen: Der 18-Jährige bekannte sich schuldig, das Urteil wird für Donnerstag erwartet. Rudakubana ist im walisischen Cardiff geboren und lebte zuletzt mit seinen aus Ruanda eingewanderten Eltern in Southport. Von Gewalt angezogen, baute er sich ein Wissen über historische Genozide auf.
Womöglich steht am Ursprung dieser Faszination der Familienhintergrund. Rudakubanas Vater Alphonse soll in der Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) gedient haben, die 1994 gegen die damals Völkermord an Tutsi betreibenden ruandischen Regierungstruppen und Hutu-Milizen kämpfte und schließlich siegte; RPF-Präsident Paul Kagame regiert Ruanda bis heute.
Entgegen der anfangs von Rechtsextremisten gestreuten Gerüchte, dass es sich beim Täter von Southport um einen muslimischen Asylbewerber handele, sind beide seine Eltern stark christlichen Glaubens. Zunehmend zurückgezogen lebend, wurde Rudakubana, nachdem er einmal ein Messer in seine Schule mitgenommen hatte, aus seiner Schule geworfen.
Rechte werfen der Regierung Vertuschung vor
Ein andermal soll er versucht haben, mit einem Baseballschläger Schüler und Lehrer zu bedrohen, und er war wegen Gewalt gegen einen Mitschüler vorbestraft. Er war außerdem im Besitz eines Al-Qaida-Handbuches und soll versucht haben, die Biowaffe Rizin herzustellen.
Seit Letzteres bekannt wurde, werfen rechte Kreise der Labour-Regierung Vertuschung vor. Kritik auch seitens der oppositionellen Konservativen gibt es weiterhin daran, dass die offensichtlich mangelhafte Antiterrorüberwachung Rudakubanas zunächst von den Behörden verschwiegen wurde.
Keir Starmer bestätigte jetzt, er habe das alles gewusst, aber bewusst nicht öffentlich erwähnt – um das laufende Verfahren nicht zu gefährden, wie er jetzt zur Rechtfertigung sagte. Die Opposition hält diese Rechtfertigung für unglaubwürdig.
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