Behörden und Rechtsextremismus: Doppelt blinder Fleck
Nach dem Anschlag von Halle ermittelten Journalisten schneller als die Behörden. Sind die hilflos oder ignorant, wenn es um rechten Terror geht?
J ournalisten waren schneller als die Polizei, und dafür mussten sie sich noch nicht mal besonders beeilen: In der Sendung Frontal21 strahlte das ZDF am Dienstag ein Interview mit einem Letten aus, der bis vergangene Woche ein Internetforum mit rechtsextremen Inhalten betrieb. In diesem Forum war auch der Halle-Attentäter Stephan B. aktiv.
Der Täter hatte seine Tat dort angekündigt und auf den Livestream des Attentats verlinkt. Die Polizei, so der Lette, interessierte sich dennoch nicht sonderlich für das Forum. Ermittlungsbehörden hätten sich bis zum Zeitpunkt des Interview noch nicht bei ihm gemeldet. Das Forum, die Posts des Attentäters und alle dessen Daten habe er zwei Tage nach dem Anschlag selbst gelöscht.
Blöd gelaufen: Hätten die Ermittler rechtzeitig in Riga angerufen, hätten sie möglicherweise Spuren des Attentäters sichern können, die jetzt verloren sind. Gleichzeitig hätten sie dafür gesorgt, dass seine Posts nicht mehr öffentlich abrufbar sind – aus Respekt vor den Opfern und zum Schutz vor Nachahmern. Dass sie den Anruf unterlassen haben, ist kein Zufall. Die Boards und Foren der rechtsextremen Onlinesubkultur mit ihren Bildchen, Witzchen und Hassparolen sind für die Sicherheitsbehörden eben ein blinder Fleck. Genaugenommen: ein doppelter blinder Fleck.
Dass die Behörden die Gefahr rechtsextremer Gewalt unterschätzen, galt lange als linke Paranoia. Nach Halle scheint aber sogar bei den Verantwortlichen angekommen sein, dass an den Warnungen etwas dran war. Selbst das BKA fragt sich mittlerweile, warum es zwar hunderte islamistische Gefährder auf dem Schirm hat, aber nur ein paar Dutzend rechtsextreme.
Einfacher in der Kneipe
Ganz abwegig ist es da nicht, zu vermuten, dass sich die Ermittler einem islamistischen Forum nach einem islamistischen Anschlag schneller gewidmet hätten als einem rechtsextremen Forum nach dem Halle-Anschlag.
Dazu kommt, dass die Behörden bestimmte Bereiche des Internets offenbar weniger stark im Blick haben als analoge Räume. Hätte sich Stephan B. nicht online radikalisiert, sondern in einer Kneipe, hätte er dort seine Tat per Aushang angekündigt und Bauanleitungen für Waffen verteilt – schwer vorstellbar, dass die Polizei den Wirt nicht früher oder später aufgesucht hätte.
Als im Juli im hessischen Wächtersbach ein Rechtsextremer aus rassistischen Motiven einen Mann anschoss und in seiner Stammkneipe damit prahlte, schauten die Beamten selbstverständlich dort vorbei.
Doch nach Halle könnte etwas passieren. Der Verfassungsschutz spricht nun von internationalen Netzwerken, in denen sich neue Tätertypen herausbilden. Meint man es sehr gut mit Innenminister Seehofer, dann kann man ihm unterstellen, dass er mit seiner pauschalen Schelte gegen Gamer eigentlich das Richtige meinte – dass nämlich seine Leute diese rechtsextremen Plattformen, Boards und Unterforen genauer anschauen müssen.
Zu spät, ganz nah
Zu spät kommt das alles trotzdem. Die Attentäter von Christchurch, Poway und El Paso stammten offenbar aus einem ähnlichen Onlinemilieu wie Stephan B.
Und auch in Deutschland gab es einen Vorgänger: David Sonboly, der Jugendliche, der 2016 im Münchner Olympiaeinkaufszentren aus rassistischen Motiven neun Menschen tötete. Radikalisiert hatte auch er sich im Internet im Umfeld rechtsextremer Gamer. Lange wehrten sich Teile von Politik und Sicherheitsbehörden dagegen, den politischen Charakter der Tat anzuerkennen. Die Chance, Konsequenzen zu ziehen, haben sie so verpasst. In Halle hat sich das gerächt.
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