Beherbergungsverbote und Corona: Ein großes Hin und Her
Übernachtungsverbote für Reisende aus Risikogebieten sollen das Infektionsgeschehen eindämmen. Doch Gerichte und Länder kippen das Verbot.
Inhaltsverzeichnis
Die Verbote zielen auf Hotels und andere Orte der entgeltlichen Übernachtung wie Ferienwohnungen und Campingplätze. Verboten ist jeweils die Beherbergung von Gästen aus Städten und Landkreisen, in denen die Zahl der binnen 7 Tagen neu Infizierten über dem Schwellenwert von 50 pro 100.000 EinwohnerInnen liegt. Ausnahmen gibt es bei Vorlage eines aktuellen Attests, dass man nicht mit Covid-19 infiziert ist.
Am Donnerstag kippten der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim und das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg die jeweiligen Regelungen in Baden-Württemberg und Niedersachsen, während das OVG Schleswig die Verordnung in Schleswig-Holstein aufrecht erhielt. Noch ist der Trend also nicht ganz eindeutig.
Die Landesregierungen im Saarland, in Sachsen, Hessen und Bayern haben inzwischen auf ihre Beherbergungsverbote verzichtet, teilweise unter dem Eindruck der Gerichtsurteile. Derzeit halten aber noch vier Länder – Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein – an ihren Regelungen fest.
Ein großer Flickenteppich
Es ist nicht das erste Mal seit Beginn der Pandemie, dass es einen Flickenteppich unterschiedlicher Länderregelungen gibt. Der Grund ist immer der selbe: für die Corona-Bekämpfung sind vor allem die Länder zuständig. Ihre Befugnisse stammen zwar aus einem Bundesgesetz, dem Infektionsschutzgesetz, doch über die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ entscheiden in der Regel die Landesregierungen per Rechtsverordnung. Bund-Länder-Konferenzen wie am Mittwoch dienen nur der Koordination, können aber keine verbindlichen Beschlüsse fassen.
Weil die Länder die Regeln machen, sind vor allem Landesgerichte für die Kontrolle zuständig. OVGs und VGHe können in den meisten Ländern sogar ganze Verordnungen für nichtig erklären. Wegen der vagen gesetzlichen Vorgaben ist der entscheidende Prüfungsmaßstab in der Regel das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Nutzen und Schaden der staatlichen Maßnahmen werden dabei abgewogen. Auch hier können unterschiedliche Lagen, aber auch unterschiedliche Prioriäten der RichterInnen schnell zu unterschiedlichen Regelungen führen.
So sah der VGH Mannheim in Hotels kein erhöhtes Infektionsrisiko, weil man dort meist unter sich bleibe. Die eigentlichen Treiber der Pandemie seien Feiern in größeren Gruppen. Für Gäste aus Risikogebieten sei es zudem nicht zumutbar, sich jeweils ein Attest ihrer Unbedenklichkeit zu besorgen, weil dies angesichts begrenzter Testkapazitäten oft zu lange dauere. Das OVG Lüneburg argumentierte ähnlich.
Das OVG Schleswig sah den Ausgang seines Prozesses dagegen als offen an und entschied sein Eilverfahren deshalb anhand einer Folgenabwägung. Ohne Beherbergungsverbot könnten viele Menschen aus Risikogebieten nach Schleswig-Holstein reisen, die sonst nicht kommen würden, so die RichterInnen. Das sei angesichts der stark steigenden Infektionszahlen eine Gefahr für das Gesundheitswesen.
Ist eine drastische Maßnahme verhältnismäßig?
Alle Gerichtsurteile sind nur Momentaufnahmen. Je nach Entwicklung der Pandemie, Verhalten der Bevölkerung und Dauer der Maßnahmen können die Wertungen der RichterInnen im nächsten Monat oder gar der nächsten Woche schon wieder anders aussehen. Diese Flexibilität, sich an wechselnde Lagen anzupassen, sollte jedoch nicht als Nachteil, sondern als Vorteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips gesehen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands