piwik no script img

Behandlung von GeflüchtetenDas letzte Hemd

Kommentar von Susanne Memarnia

Ab März werden Flüchtlinge in einem „Dublin-Zentrum“ in Eisenhüttenstadt interniert. Die Verantwortung für alle Probleme wird bei ihnen abgeladen.

Nicht mehr als „Bett und Brot“ (Symbolbild: Flüchtlingsunterkunft in Süddeutschland) Foto: IMAGO/imagebroker

J etzt ist es also soweit: Die Verschärfungen, die die Ampel voriges Jahr als angebliches „Sicherheitspaket“ beschlossen hat, werden in die Tat umgesetzt. Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Land registriert wurden, bevor sie hier Asyl beantragten, bekommen in Brandenburg ab dem 1. März keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr, sondern nur noch „Bett und Brot“ für zwei Wochen. So lange werden sie in einem „Dublin-Zentrum“ in Eisenhüttenstadt interniert, bis sie zurückgeschoben werden können – oder „freiwillig“ nach Polen zurückgehen.

Was die Politik damit erreichen will, ist klar: Die Flüchtlinge sollen weg, so schnell es geht. Warum sie hier sind, ist völlig egal, ebenso, ob man sie würdig behandelt, wie es Menschen gegenüber Menschen tun sollten. Hauptsache weg. Weil hierzulande der politische Diskurs seit dem Anschlag von Solingen wieder einmal völlig durchgeknallt ist – wie es seit über 30 Jahren murmeltiertagmäßig immer wieder geschieht. Wieder einmal sind „die“ Flüchtlinge die Schuldigen, eine Gefahr für „uns“, die man einfach nur schnell loswerden will.

Vergessen wird dabei, dass es die EU selbst war, die mit ihrem kranken Dublin-System den ganzen Schlamassel selbst herbeigeführt hat. Wobei Deutschland eine herausragende Rolle gespielt hat: Es fing damit an, dass Anfang der 90er Jahre unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) das im Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde – in Reaktion auf die wildgewordenen Mobs, vor allem in Ostdeutschland (Rostock, Hoyerswerda), die seinerzeit mit Pogromen und Morden ihre Meinung zur Migrationsgesellschaft kundgetan hatten.

Es waren die geistigen Väter jener, die 30 Jahre später als „besorgte Bürger“ der AfD zuströmen und damit die „bürgerlichen“ Parteien zu immer neuen rassistischen Höhenflügen anspornen. Jedenfalls lautet die Einschränkung des Grundsatzes „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ (Art. 16a, Absatz 1) seither so: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist …“

Die Deutschen verschoben also das Problem des Asyls seinerzeit auf ihre europäischen Nachbarn – und es war der angeblich so europäisch denkende Birnen-Kanzler, der im sich entwickelnden Dublin-System sodann darauf drängte, dass die EU-Außenländer für die Aufnahme von Flüchtlingen zuständig wurden. Was für ein schöner Traum: Deutschland, umgeben von europäischen Freunden und „sicheren“ Drittstaaten wie der Schweiz, würde dank „Dublin“ bald gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen müssen!

Über den Tisch gezogen

Warum EU-Außenländer wie Italien und Griechenland damals dieser Grundregel zustimmten, ist heute vergessen – vermutlich hat Deutschland ihnen Geld geboten oder sie anderweitig mit „Hilfszusagen“ erpresst. Seither dürften sich die Regierungsschefs dieser Länder wiederholt an den Kopf gegriffen haben, dass sie sich so über den Tisch hatten ziehen lassen. Und hier liegt seither das Grundproblem der EU: Was sollen die EU-Außenstaaten bitteschön machen mit den vielen Flüchtlingen, für die sie nun allein und ganz offiziell zuständig sind?

Natürlich haben sie Wege entwickelt, mit dem Problem fertig zu werden: Italien, das ist bekannt, winkt Flüchtlinge, die mit Booten kommen, immer wieder durch bis an die Grenze zu Österreich. Man hat auch schon gehört, dass Afrikaner in italienischen Flüchtlingszentren „Fahrtgeld“ bekommen, um nach Deutschland reisen zu können.

Eine andere Strategie, die in Polen, Bulgarien und Griechenland gefahren wird: Man macht den Flüchtlingen das Leben so schlecht wie möglich, lässt sie ohne Geld und Unterstützung, inhaftiert sie, nimmt ihnen alles weg. Das ist zweifelsohne bösartig und unmenschlich – ein bisschen aber auch verständlich. Denn warum sollen sich ausgerechnet die Länder am Rand der EU, die alle nicht die wohlhabendsten sind, um alle Flüchtlinge kümmern, der reiche EU-Norden dagegen nicht?

Zumal die Flüchtlinge ohnehin lieber in den Norden wollen, wo es Arbeit gibt – und damit Geld und eine Zukunft. Und wer hat in Afghanistan wohl schon von Tschechien oder Bulgarien gehört? Natürlich kennt man dort vor allem „Made in Germany“.

So funktioniert das Dublin-System also auf allen Ebenen nicht: Die EU-Außenländer wollen es nicht, sondern nur die EU-Länder, die wie Deutschland davon profitieren würden, wenn es funkionierte. Die Flüchtlinge wollen es nicht. Und es entspricht auch nicht der wirtschaftlichen Kraft der EU-Länder.

Die Flüchtlinge sind mal wieder schuld

Aber wer soll laut hiesiger Politik nun daran schuld sein, dass „Dublin“ nicht funktionert? Die Flüchtlinge natürlich, die sich „irregulär“ oder gar „illegal“ nach Deutschland aufmachen, obwohl wir hier doch gar nicht für sie zuständig sind. Was macht man da? Man behandelt sie auch hier so schlecht wie möglich, sperrt sie in „Zentren“, gibt ihnen nur ein Butterbrot und bald nicht mal mehr das.

Warum machen Politiker so etwas? Warum meinen SPD-Politikerinnen wie Nancy Faeser und Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange, dass dies eine gute Idee ist? Natürlich weil sie glauben, dass ihnen das Wahlvolk die „klare Kante“ gegenüber Flüchtlingen honorieren wird.

Zu befürchten ist, dass sie sich verrechnen, wie schon so oft, und die Leute doch lieber dem „Original“ AfD ihre Stimme geben, wenn sie „harte“ Flüchtlingspolitik wollen. Wobei, letztens Endes ist es wohl egal, wenn die SPD – oder wie in der Ampel die Grünen – sich nicht zu schade dafür ist, Flüchtlingen buchstäblich das letzte Hemd zu nehmen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!