Beginn der Winterzeit: Aufwachen!
Die gute Nachricht: An diesem Wochenende können alle eine Stunde länger schlafen. Die Winterzeit beginnt. Die schlechte Nachricht: Unserer inneren Uhr ist das komplett wurscht
In den Berliner Siemens-Werken geht es rau zu. Riesige Stahlrohre und Betonquader stapeln sich, Maschinen fräsen präzise Formen in Metallplatten, Männer in blauer Arbeitskleidung hieven Kupfergestelle ineinander. Es stinkt nach heißem Stahl und verschmortem Plastik. Hier, im Werk Spandau, werden Bauteile für die Industrie produziert, U-Boot-Motoren, Turbinen, Kraftwerkspumpen. Es darf keinen Fehler in den Abläufen geben, jeder Handgriff ist zeitlich exakt festgelegt.
Genau deshalb wird hier etwas so Sensibles wie die innere Uhr der Menschen erforscht. Die tickt nämlich nicht nach Dienstplan.
Dieser Text erscheint in der aktuellen sonntaz vom 24./25. Oktober - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Wenn in der Nacht zum Sonntag die Uhren wieder auf Winterzeit zurückgestellt werden, kann der Großteil der Deutschen aufatmen: eine Stunde weniger Schlafmangel! Denn der inneren Uhr ist die Zeit auf der Küchenuhr egal. Für sie zählt die Zeit, die die Sonne vorgibt. Ein spezieller Bereich im Gehirn registriert das Sonnenlicht über die Augen, er signalisiert dem Körper: Jetzt beginnt der Tag, fang an zu arbeiten!
"Selbst wenn wir im Sommer die Uhr um eine Stunde vor und im Winter eine Stunde zurückstellen: unsere innere Uhr pfeift auf diesen Beschluss. Sie stellt sich in der Sommerzeit trotzdem nicht um", erklärt Till Roenneberg das Phänomen.
Der Biologieprofessor von der Ludwig-Maximilians-Universität München erforscht seit vierzig Jahren die innere Uhr. Roenneberg leitet die Studie im Berliner Siemens-Werk. Aus der Beobachtung der 320 Schichtarbeiter gewinnt er viele Erkenntnisse. Denn das, was die Deutschen zweimal im Jahr bei der Zeitumstellung trifft - die Erschütterung ihrer inneren Uhr - ist für Schichtarbeiter in vielfachem Ausmaß Routine. Die medizinischen Folgen sind bekannt: Depressionen, Herz-Kreislauf- und Magen-Darm-Probleme, bis hin zu Brust- oder Prostatakrebs.
Um mehr über die biologische Zeitmessung zu erfahren, ermitteln der 56-jährige Roenneberg und seine Mitarbeiter zunächst den Chronotyp jedes einzelnen Schichtarbeiters. Der Chronotyp bezeichnet den individuellen Tagesrhythmus, unabhängig von Wecker und Dienstplan. Dafür sammeln die Forscher seit zwei Jahren Daten: über die Schlafgewohnheiten der Arbeiter, ihre soziale Zufriedenheit, Krankheiten. Sie testen zu verschiedenen Uhrzeiten ihre kognitiven Fähigkeiten und messen ihre körperliche Aktivität.Am Schluss kommt raus: Eule oder Lerche. Als Eule gilt, wer die genetische Veranlagung hat, erst spät müde zu werden. Lerchen dagegen haben ihre aktivste und leistungsfähigste Zeit am frühen Morgen. Dazwischen gibt es natürlich etliche Abstufungen.
"Entgegen einem allgegenwärtigen Gesellschaftsbild hat die innere Uhr nichts mit Disziplin zu tun", erklärt Roenneberg, "sondern mit Genen." Er kämpft dafür, dass die innere Uhr als echtes biologisches System ernst genommen wird. "Bei uns herrscht immer noch so eine Reiß-dich-zusammen-Mentalität, wenn man erwähnt, wie schwer es einem fällt, morgens früh aufzustehen." Dabei kann der Betroffene meist gar nichts dafür: selbst wenn eine Eule todmüde ist und um zwanzig Uhr ins Bett geht, kann sie nicht einfach einschlafen. Ihr körpereigener Rhythmus erlaubt das nicht. Und wer abends oft zu müde zum Ausgehen ist, kennt den Satz: Jetzt sei doch nicht so lahm, komm doch mal mit! Für Lerchen die reinste Qual.
Aber der Mensch weiß sich zu helfen. Um Schlafmangel zu vermeiden und leistungsfähig zu bleiben, verbinden viele unbewusst Chronotyp und Beruf. Künstler oder Schriftsteller haben meist die Freiheit aufzustehen, wann sie wollen, dadurch sammeln sich hier die Eulen. Manager hingegen sind eher Lerchen, hier ist Leistung am Morgen zwingend. Statistisch erreichen Frühtypen sogar ein besseres Abitur als Spättypen - die Prüfungen sind morgens. Zu früh für Eulen, um sich zu konzentrieren.
Wie die Abiturienten haben auch Schichtarbeiter nicht die Wahl, wann sie aufstehen und arbeiten müssen. Ihre Dienstzeiten sind festgelegt: drei Schichten, wöchentlich wechselnd. Die innere Uhr gerät dabei völlig aus dem Konzept, eine Folge sind signifikant erhöhte Krankheitsraten, mehr Fehler und Unfälle in der Produktion. Das kostet. Ziel von Roennebergs Forschung ist es, ein System zu entwickeln, Schichtarbeit auf die individuellen Chronotypen abzustimmen.
Doch der Biologe will mit seiner Forschung nicht nur Kosten senken: "Es geht dabei auch um Kulturwandel", erklärt er, "mir ist es wichtig, ein Bewusstsein für Chronotypen und die innere Uhr zu wecken." In Deutschland, hat Roenneberg herausgefunden, gibt es einen leichten Eulenüberhang. Schul- und Arbeitszeiten sind deshalb generell zu früh angelegt, meint er. "Der Idealfall wäre natürlich: Schmeißen Sie Ihren Wecker weg, schlafen Sie ein und wachen Sie auf, wenn es Ihre innere Uhr sagt." Dass das für die meisten nicht so einfach zu machen ist, weiß Roenneberg natürlich, doch es sollte mehr Toleranz, mehr Gleitzeit und Flexibilität in der Arbeitswelt geben. Vielleicht können Eulen so ja Manager werden - und Lerchen Barpianisten.
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