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Begehren und HandelnWas wir wollen und was wir sind

Dem eigenen Begehren nachzugehen, ist nur dann gestattet, wenn eine konsensfähige Person in einem konsensfähigen Moment dazu auffordert.

„Es wäre absurd einen Moralkodex über etwas zu stülpen, über das wir keine Macht haben“ Foto: imagebroker/imago images

M ein erstes regelmäßiges SM-Verhältnis hatte ich mit einem Mann mit eis­blauen Augen, einem langweiligen Beruf und einem feinen, leisen Sinn für Humor. In meiner Erinnerung sitzen wir immer draußen und trinken Bier. Außer natürlich, wenn wir bei ihm waren, er hatte eine saubere, geschmackvolle Wohnung, weiße Vorhänge, die er zuzog, auch sonst viel Weiß, wenig Bemerkenswertes. Ich erinnere mich überhaupt, dass ich eine Zeit lang vergeblich nach etwas Bemerkenswertem an ihm suchte.

Es war mir unbegreiflich, dass er gewöhnlich sein sollte. Da er es genoss, zu beherrschen und zu schlagen, musste es mehr an ihm geben, das nicht ganz normal war, schloss ich. Und war mir nicht im Klaren, dass ich mich damit selber für nicht ganz normal hielt.

Es fällt uns schwer, zu unterscheiden zwischen dem, was Menschen begehren, dem was sie tun und dem, wer sie sind. Das fällt etwa auf, wenn Medien Pädophilie mit sexueller Gewalt an Kindern gleichsetzen. Begehrensebene und Handlungsebene vermischen.

Wenn erstmals über einen Fall von sexueller Gewalt an Kindern berichtet wird, liegt meist noch kein psychologisches Gutachten über den oder die mutmaßliche Täter*in vor. Man weiß nicht, ob er oder sie auch pädophile Neigungen hat. Und dennoch gehen die Begriffe wie Synonyme auf Sendung. „Ein Pädophiler …“ – Begehren und Handeln. Untrennbar verwoben im Sein.

Begehren ist nicht falsch

Pädophilie ist eine Neigung. Unser Gesetz und unser Moralverständnis verbieten, ihr auf eine Art und Weise nachzugehen, die Kinder involviert, weil Kinder nicht konsensfähig sind. Eine Neigung ist es auch, jemand schlagen, treten oder würgen zu wollen. Es ist nur dann gestattet, dem nachzugehen, wenn eine konsensfähige Person in einem konsensfähigen Moment dazu auffordert. Begehren an sich hingegen ist nicht verboten und auch nicht falsch.

Es kann gar nicht falsch sein, ebenso wenig wie es richtig sein kann. Es wäre absurd einen Moralkodex über etwas zu stülpen, über das wir keine Macht haben. Schwerkraft, die Härte von Fels, den Siedepunkt von Wasser. Aber genau das prägt den Diskurs über sexuel­les Begehren seit Jahrhunderten.

Sage mir, was du begehrst, und ich sage dir, wer du bist, singt der Chor aus Kirche, Psychoanalyse und Neurowissenschaft, sobald wir lernen horny zu sein. Die populärwissenschaftliche Obsession mit der „Ursache“ von sexueller Orientierung ist nur eine Stimmlage davon, Lady Gagas „Born this way“ eine weitere. Das Thema ist immer dasselbe: Sein und Anderssein. Anstatt anzuerkennen, dass Begehren a) im Moment entsteht; b) weder richtig noch falsch sein kann und c) niemanden etwas angeht.

Der Mann mit den blauen Augen ist mir übrigens irgendwann abhandengekommen. Ihn verschlang eine monogame Blümchenbeziehung. Nach allem, was ich weiß, hat er nie zurückgeschaut. Auch das ist Begehren – und auch das muss man akzeptieren.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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