Beef zwischen Drake und Kendrick: Eine Fehde ohne Sieger
Die Rap-Superstars duellieren sich mit Disstracks. Die klingen eher nach Informationskrieg statt Beleidigungen.
M anche Leute tun sich schwer, ein Kompliment anzunehmen. In einem gemeinsamen Song der Rapper Drake und J. Cole kürte Letzterer 2023 die „Big Three“ und meinte damit weder Wildtiere noch Weltmächte, sondern die drei besten lebenden Rapper. Das seien er selbst, Drake und Kendrick Lamar. Daraus hätte ein Schulterschluss werden können, aber der abwesende Dritte sah es anders. „Scheiß auf die Big Three“, antwortete Lamar im März auf dem Track „Like That“. Es gebe nur ihn – „Big Me“. Seitdem befinden sich Drake und Lamar in einem erbitterten Rap-Beef – also einer rein musikalisch geführten Fehde. Hoffentlich.
In der Nacht von Montag auf Dienstag kam es zu einem Drive-by-Shooting vor Drakes Villa in Toronto. Ein Sicherheitsmann des Stars wurde angeschossen. Über mögliche Motive wollte die örtliche Polizei bislang keine Angaben machen. Soweit man weiß, sind Drake und Kendrick eigentlich nicht in kriminelle Machenschaften verstrickt – anders als bei Rap-Rivalitäten der Vergangenheit wie zwischen Tupac Shakur und The Notorious B.I.G., die beide erschossen wurden.
Die Fehde zwischen Drake und Lamar wird aufmerksam verfolgt. Innerhalb weniger Wochen sind zehn Disstracks erschienen. Die Aufmerksamkeit rührt daher, dass J. Coles These über die besten lebenden Rapper wohl viele unterschreiben würden. Drake und Lamar sind die größten Stars der vorerst letzten Hip-Hop-Generation, die die Popkultur so richtig geprägt hat. Das Genre ist nicht mehr der Taktgeber für die Charts und für Jugendkultur, der es vor einigen Jahren noch war.
Die noch anhaltende Relevanz von Drake und Lamar speist sich derweil aus zwei gegensätzlichen Ansätzen: Drake gilt als talentierter Hitschreiber, als Meister im Erkennen von Trends. Lamar, der als bislang einziger Rapper mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, ist bekannt als Kritiker*innenliebling mit komplexen Erzählungen. Womöglich hätte Drake die Spitze aus „Like That“ auch ignorieren können, wäre der Song nicht in sein Territorium eingedrungen: an die Spitze der US-Charts. Beef zahlt sich aus.
Wenn das Popcorn im Hals feststeckt
Aus dem Streit der beiden ist längst ein Pop-Spektakel geworden: In Social Media, in Podcasts und Memes verfolgen die Fans jedes Detail des Beefs, decodieren die Songs bis zur letzten Note und überschlagen sich mit teils wilden Analysen. Dabei hätte den Fans eigentlich das Popcorn im Hals stecken bleiben müssen, schon bevor in Toronto Schüsse fielen. Denn dieser Beef zeigt vor allem, was passiert, wenn der Wettkampfgeist und Mut zum Tabubruch der Hip-Hop-Kultur auf die Aufmerksamkeitsspiralen moderner Social-Media-Diskurse prallen. Man landet dann bei Themen, die für ein Unterhaltungsprogramm denkbar ungeeignet sind, wie häusliche Gewalt und Pädokriminalität.
Drake will im Track „Family Matters“ wissen, dass Lamar seine Partnerin geschlagen habe. Kendrick antwortete darauf mit Tracks, in denen er Drake einen Pädophilen nennt und ihn mit Harvey Weinstein vergleicht. In Folge der krassen Anschuldigungen warfen sich beide Rapper gegenseitig mangelnde Sorgfaltspflicht und fehlende Belege vor. Dabei ist höchst fraglich, ob es auch nur einem der beiden tatsächlich um den Schutz möglicher Opfer geht. Keiner von ihnen ist moralisch erhaben: Kendrick Lamar arbeitete noch auf seinem letzten Album mit dem für sexuelle Nötigung und Körperverletzung verurteilten Kodak Black zusammen, Drake arbeitete auch nach dessen Verurteilung wegen häuslicher Gewalt noch mehrfach mit Chris Brown.
Rapper haben sich in Beefs schon immer furchtbare Dinge vorgeworfen. Drake und Kendrick tun dies nun aber im Wissen um das Gewicht, das derlei Vorwürfe gerade auf Social Media entwickeln. Das Gewaltpotenzial von Männern gegenüber Frauen und Kindern wird ausgenutzt, um eine rhetorische Waffe zu schaffen. Ernsthaften Auseinandersetzungen mit Missbrauch erweist das einen Bärendienst.
Der Informationskrieg im Rap-Beef
Der Trend zum Rap-Beef, der mehr an schockierenden Enthüllungen interessiert ist als an kreativen Beleidigungen, war schon beim letzten öffentlichen Streit Drakes zu beobachten: Der Rapper Pusha T machte 2018 in einem Disstrack bekannt, dass Drake einen Sohn geheimhielt. Kendrick Lamar hat nun behauptet, sein Antagonist habe außerdem noch eine Tochter. Drake gab in seiner Antwort an, dies sei eine Falschinformation, die er Kendrick als Falle bewusst zugespielt habe. Der moderne Rap-Beef ist wohl ein Informationskrieg. Zwar analysieren Fans auch den Wortwitz einzelner Zeilen. Insgesamt überwiegt aber das Gefühl, eine politische Desinformationskampagne zu beobachten statt eines lyrischen Wettkampfs.
Wo ist derweil J. Cole, der dritte der eingangs erwähnten „Big Three“? Der veröffentlichte Anfang April einen einzigen Disstrack, für den er sich wenig später entschuldigte, die Veröffentlichung von den Streaming-Diensten entfernen ließ und damit den einzigen charmanten Moment dieser ansonsten ziemlich toxischen Geschichte schuf. Vielleicht ahnte er schon, dass aus einer Rap-Fehde im Informationszeitalter niemand als echter Sieger hervorgehen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr