Bedrohung: Narrenfreiheit für Neonazis
Im mecklenburg-vorpommerischen Jamel hat eine Gruppe Rechtsradikaler viele Dorfbewohner vertrieben, die ihre Gesinnung nicht teilten. Die, die blieben wurden bei einem Festival angegriffen.
Über diese Post freute sich nicht jeder: In ihren Briefkästen fanden Anwohner in der mecklenburg-vorpommerischen Gemeinde Jamel unlängst die Einladung: "Wir heiraten: Sven & Netti." Am kommenden Samstag werden die meisten aber nicht zur Hochzeit der zukünftigen Familie Krüger gehen, die auf dem Dorfplatz stattfinden soll. Sie haben Angst. Denn seit Jahren gehen von dem vorbestraften NPD-Kreistagsabgeordneten Sven Krüger massive Einschüchterungen aus.
Eine schmale Straße führt zu dem kleiner Weiler zwischen Wismar und Grevesmühlen. Am Dorfeingang weist ein Holzpfahl mit Wegweisern in Frakturschrift auf die Entfernung einschlägiger Orte hin, wie: "732 Kilometer bis Königsberg". Gut sichtbar ist in der Ortsmitte ein großer Findling mit einem Schild aufgerichtet. "Dorfgemeinschaft Jamel - Frei Sozial National". Das stimmt auch fast: Nach Bedrohungen und Bränden zogen viele Anwohner weg, die keine rechtsradikalen Nachbarn haben wollten. Stattdessen siedelten sich Neonazis an. Die meisten Häuser im Dorf sollen Krüger gehören. Im alten Forsthof am Rande des Dorfes blieben jedoch die Autorin Birgit Lohmeyer und ihr Mann, der Musiker Horst Lohmeyer, wohnen.
Vor sechs Jahren zogen sie in das Haus und hier geschah auch der Übergriff bei dem von den beiden organisiertem Open-Air-Festival "Rock den Förster". Vom 6. bis zum 8. August fand das Event mit mehreren Bands statt. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) war der Schirmherr. Das Konzert, sagt Horst Lohmeyer, soll aber nicht als Veranstaltung gegen Rechts, sondern für Demokratie und Toleranz verstanden werden. Und da sie seit vier Jahren bei sich auf der Wiese die unkommerzielle Veranstaltung ausrichten, dachten sie, würde es, wie so oft, bloß bei Provokationen bleiben.
Schon im Januar 2007 fuhr der Innenausschuss des Landtags zu einem Ortstermin nach Jamel:
Krüger war damals schon lange wegen eines Angriffs auf eine Jugendgruppe inhaftiert gewesen.
Häuser von Zugezogenen waren abgebrannt worden.
Ermittlungen liefen wegen Wehrsportübungen.
Nicht-rechte Anwohner wurden verscheucht, Kameraden zogen zu.
2009 zog die NPD mit Krüger dennoch in den Kreistag Nordwestmecklenburg ein.
Vorsichtshalber wurde dennoch das Gelände eingezäunt und bewacht. Samstag in den späten Abendstunden sprangen dann aber zwei Neonazis über die Absperrungen. "Hier rocken wir!" stand auf ihren Shirts, sie pöbelten und schlugen zu. Befürchtet wurde, dass weitere Rechte kämen, denn anlässlich des Festivals hatte Krüger wie in den Jahren zuvor zu einem Gegen-Fest geladen. Über 50 Neonazis waren angereist. Auf dem Dorfplatz hatten sie einen riesigen Feuerscheit aufgebaut. "Sah aus wie ein Scheiterhaufen", sagt ein älterer Herr, der mit dem Fahrrad unterwegs ist.
Kaum waren die Rechtsradikalen auf dem Gelände, wurde die Polizei gerufen. Polizeiautos und Krankenwagen rasten zum Ort. "Die Lage war nicht gleich einschätzbar", sagt Klaus Wiechmann, Pressesprecher der Polizeidirektion Schwerin. Die Beamten gingen zwischen die Festivalbesucher und die Neonazis. "Eine Person erlitt durch einen Neonazi eine Körperverletzung", sagt Wiechmann. Sehr aggressiv sollen sich die Neonazis auch gegenüber der Polizei verhalten haben, sagen Festivalgäste. "Platzverweise wurden nicht sofort befolgt", bestätigt Wiechmann. Ein Tatverdächtiger kam in Haft.
Von Jamel aus startete Krüger auch seine berufliche Karriere als Abrissunternehmer. Das Logo seiner Abrissfirma ziert der Spruch: "Jungs fürs Grobe". Ein Mann mit einem Hammer zerschlägt etwas, das einem Davidstern gleicht. Über zehn Kameraden soll Krüger beschäftigen. Seine Geschäfte laufen so gut, dass er in Grevesmühlen Teile einer Betonfabrik kaufen und zu einen NPD-Bürgerbüro ausbauen konnte. In dem "Thing-Haus" richtete die NPD am 25. Juli ein Kinderfest aus.
Um 14 Uhr beginnt am Samstag die Hochzeit mit Kaffeetrinken und Volkstanz. Die NPD-Granden der Fraktion um Udo Pastörs werden wohl zur Feier kommen. "Der Krüger hat hier doch Narrenfreiheit", sagt eine Frau aus einem Nachbarort. "Wir sind auch da", fügt Polizist Wiechmann hinzu.
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