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Bedrohtes Erinnern im Oldenburger LandGedenken darf nichts kosten

Wehnen war ein NS-Tatort: In der dortigen Heilanstalt wurden Patienten zu Tode gehungert. Die Kreise wollen die Gedenkstätte nicht finanzieren.

Ehemaliger Behandlungsraum in der Gedenkstätte: Die Erinnerungsarbeit hat nur 30 Quadratmeter zur Verfügung Foto: Gedenkstätte

Brot für Brot, Portion für Portion, wurde den psychisch Kranken Pa­ti­en­t*in­nen der „Heil- und Pflegeanstalt Wehnen“ vorenthalten – und Brot für Brot, Portion für Portion sparte sich der zuständige Fürsorgeverband im Oldenburgischen Land ab den 30er Jahren ein kleines Vermögen zusammen.

Noch bevor das NS-Regime die „Euthanasie“ von psychisch Kranken beschloss, schufen die Ärz­t*in­nen hier durch systematisches Verhungernlassen Fakten. Schon ab Mitte der 1930er Jahre verdoppelte sich in der Klinik bei Bad Zwischenahn die Sterbezahl.

Seit 21 Jahren wird der mindestens 1.500 Toten in der Gedenkstätte Wehnen auf dem Gelände der heutigen Karl-Jaspers-Klinik gedacht. Aufgedeckt hatte die Zusammenhänge seit Ende der 1990er-Jahre der Oldenburger Historiker Ingo Harms in zahlreichen Studien. Er und weitere Engagierte, darunter Angehörige von Opfern, bauten ab 2004 eine Gedenkstätte auf – rein ehrenamtlich.

Städte und Kreise verweigern das Gedenken

Rein ehrenamtlich wird die Gedenkstätte bis heute betrieben, auf kleinstem Raum. Eine Möglichkeit zur Professionalisierung steht seit drei Jahren im Raum, ein großer Teil der Kosten dafür wäre bewilligt – doch die zuständigen Landkreise und Städte verweigern bisher ihren Teil der Förderung: Es geht um jeweils 14.000 Euro, die sie drei Jahre lang aufbringen müssten.

Die Bedingungen der Gedenkstättenarbeit wirken aus der Zeit gefallen. Vier Tage in der Woche hat die sie geöffnet, nach Anfrage auch am Wochenende, doch Mitarbeitende gibt es nicht. Ausschließlich eine vom Jobcenter geförderte AGH-Kraft, die sich ein paar Euro zum Bürgergeld dazuverdienen kann, sorgt für regelmäßige Öffnungszeiten.

Es gibt keine Toilette, keinen Seminarraum, und auch die beiden Ausstellungsräume sind zusammen gerade einmal 30 Quadratmeter groß: Schulklassen müssen geteilt werden, um die Ausstellung besuchen zu können.

Für anschauliche Ausstellungsstücke, für digitale Formate, fehlt jeder Platz: Ein paar vollgeschriebene Stelltafeln an den Wänden machen die Ausstellung aus. Die über 100 Besuchergruppen im Jahr werden allein durch das Team von fünf Ehrenamtlichen betreut und begleitet. „Wir können so nicht mehr weitermachen“, sagt Harms, „wenn nichts passiert, steht die Zukunft der Gedenkstätte auf dem Spiel.“

Zumindest für das Platzproblem und damit für viele weitere Sorgen der Engagierten steht seit drei Jahren eine Lösung greifbar nah: Die Karl-Jaspers-Klinik hat dem Gedenkkreis einen größeren Gebäudekomplex in Aussicht gestellt, mit einem großem Ausstellungsraum, einem eigenen Seminarraum für die vielen Anfragen von Besuchergruppen, sogar mit Büroraum und Toiletten.

Doch für die notwendige Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes und nicht zuletzt für die Neukonzipierung einer passenden Ausstellung gehen Kosten einher: Samt einer Personalstelle geht es um 740.000 Euro für drei Jahre.

Von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten wird in Aussicht gestellt, die Hälfte der Kosten zu übernehmen. Für die weiteren 370.000 Euro wurde ein Antrag beim Bezirksverband Oldenburg gestellt.

Der ist nicht irgendwer, sondern der Rechtsnachfolger des Landesfürsorgeverbandes, des für die Hungermorde verantwortlich war. Doch der hat die Verantwortung abgegeben an die neun Städte und Landkreise, die als Träger für den Bezirksverband Oldenburg (BVO) fungieren.

Einzig die Stadt Oldenburg bringt schon jedes Jahr verlässlich 9.000 Euro für die Gedenkstätte auf. Die Stadt Delmenhorst hat das Thema in den vergangenen Jahren zumindest behandelt: Zwischendurch gab es Zusagen für eine Förderung über 5.000 Euro – weit unter dem Betrag, der gefordert wäre.

Für sich genommen hätte der Betrag eine Hilfe sein können – doch die Zahlung wurde von der Stadt an die Zusage durch andere Landkreise gekoppelt. Die gab es nicht – das Geld musste folglich zurücküberwiesen werden.

„Die Gedenkstätte will immer noch mehr“, sagt ein Pressesprecher der Stadt Delmenhorst dazu. „Aber der Rat hat entschieden. Das ist eine demokratische Entscheidung, mit der man sich dann auch einfach mal abfinden muss.“ Von vier anderen angefragten Landkreisen gibt es bis Redaktionsschluss gar keine Rückmeldung.

Insgesamt neun Gebietskörperschaften, so der technokratische Ausdruck für die Städte und Kreise, müsste der Gedenkkreis überzeugen, über drei Jahre 14.000 Euro zu zahlen – mehr oder weniger gleichzeitig, da die Umsetzung vom Beitrag eines jeden einzelnen abhängig ist. „Wenn wir jeden Landkreis ansprechen sollen, sind wir völlig überfordert“, sagt Harms.

Das Team von fünf Ehrenamtlichen ist gut beschäftigt mit der täglichen Gedenkstättenarbeit. Anfragen von Angehörigen müssen bearbeitet werden, mehrmals in der Woche gibt es Besuchergruppen, die eine Führung bekommen.

„Außergewöhnlich schwierig“ sei die Situation mit neun Ansprechpartnern, bestätigt auch die Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, die ihren Teil der Förderzusage an weitere Förderer bindet. Eine Gruppe von Historiker*innen, der „Arbeitskreis Euthanasieforschung“, hatte deshalb schon im Herbst in einem gemeinsamen Aufruf nicht nur die finanzielle Verpflichtung der Kommunen gefordert, sondern auch die Rückkehr des BVO an den Verhandlungstisch.

Die jetzige Situation sei „untragbar“ und müsse „früher oder später zur Schließung der Gedenkstätte führen“, heißt es im Aufruf. Der BVO hält sich bedeckt. Die Finanzierung über eine der verbands­eigenen Stiftungen sei schwierig, weil der jeweilige Stiftungszweck nicht die Unterstützung einer Gedenkstätte umfasse.

Und von den Trägerkommunen bekomme man zwar über eine Verbandsumlage bestimmte organisatorische Kosten ersetzt, ob über eine Umlage auch die Gedenkstätte finanziert werden könnte, sei jedoch nicht sicher. Schließlich heißt es in der Verbandsordnung, der BVO erhalte „außer dem Ersatz der nachgewiesenen Kosten für die zentralen Verwaltungsdienste keine sonstigen Zuwendungen“.

Der Profiteur hält sich bedeckt

Der Bezirksverband könne letztlich nichts unternehmen, die Entscheidung liege allein bei den Landkreisen, so auch der Tenor der Geschäftsführung. Harms überzeugt das nicht. „Die Geschäftsführung redet in den gemeinsamen Sitzungen mit den Landkreisen durchaus mit: Die können Themen setzen, die können Diskussionen anstoßen und Lösungen vorschlagen.“

Der BVO ist Rechtsnachfolger des Landesfürsorgeverbands, der im Dritten Reich gegründet worden war und die Psychiatrie im Land Oldenburg organisierte. Nach den Forschungsergebnissen von Harms gab es für das Aushungern der Pa­ti­en­t*in­nen neben ideologischen vor allem finanzielle Gründe: Der Verband sparte sich durch die winzigen Portionen und durch den Verzicht aufs Heizen im Winter Patient für Patient sein Vermögen zusammen, auf dem auch noch in der Nachkriegszeit die Arbeit des Nachfolgeverbands BVO aufbaute.

Auf der Webseite des BVO gibt es den stolzen Hinweis, man sei „seit über 100 Jahren sozial-regional engagiert“. Auch Daten aus der NS-Zeit werden in der eigenen historischen Darstellung nicht übersprungen – sie beschränken sich jedoch auf „Gründung“ oder „Übernahme“ verschiedener Institutionen, auf die zahlreichen Opfer des Fürsorgeverbands gibt es keinerlei Hinweis.

„Der BVO bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung“, schreibt ein Sprecher des Verbands auf Nachfrage, „weiß aber auch, dass zur Verantwortung eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung gehört.“ Darin klingen Zweifel an der bereits geschehenen Aufarbeitung der Verbandsgeschichte durch Ingo Harms an. Konkret werden will man allerdings nicht: Von fachlichen Mängeln der bestehenden Studien wisse man nichts, heißt es.

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