Bedrohter Trockenwald in Argentinien: Grüne Zeiten, schlechte Zeiten
Immer schneller wird im Gran Chaco für die Viehzucht gerodet. Wird das Freihandelsabkommen mit der EU das weiter beschleunigen?
S anft hebt der kleine Helikopter ab, dreht eine Schleife und schraubt sich nach oben. Der Flug geht über den Wald im Norden Argentiniens. Aus der Höhe sind drei verschiedene Grüntöne zu erkennen. „Das dunkle Grün ist Wald, das hellere sind gerodete Flächen und das Hellgrün sind die künstlich angelegten Weiden“, sagt Noemi Cruz von der Waldkampagne Greenpeace Argentina.
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Greenpeace Argentina fordert den sofortigen Stopp der Abholzungen und dokumentiert die Entwaldung im Norden des Landes. Mit Beobachtungen vor Ort und Satellitenbildern. „Was wir da unten sehen, ist das hier“, sagt Cruz und zeigt auf ihren Laptop. Auch hier sind die drei Schattierungen deutlich zu erkennen, wie mit der Rasierklinge gezogen unterteilen sie die Bilder in Wald-, Kahlschlag- und Weideflächen.
Der ursprüngliche Wald in Formosa ist Teil des Gran Chaco, ein Waldgebiet, das sich über Argentinien, Paraguay und Bolivien erstreckt. Mit mehr als 1 Million Quadratkilometer ist der Gran Chaco das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika. In Sachen Artenvielfalt steht er dem international weitaus bekannteren Amazonas-Regenwald kaum nach: 3.400 Pflanzenarten gibt es hier, 500 Vogel-, 150 Säugetier-, 120 Reptilien- und 100 Amphibienarten, so die neuesten Erhebungen.
Leicht gebeugt fliegt der Helikopter. Am Horizont schlängelt sich der Río Bermejo in braunen Kurven durch den Wald. Unten sind jetzt die scharfen Kanten zwischen den verschiedenen Grüntönen klar zu erkennen. Kleine braune Punkte bewegen sich auf dem Hellgrün. „Rinder, die auf den neu angelegten Weiden grasen“, sagte Noemi Cruz und deutet auf einen gelben Punkt im dunklen Grün: „Ein Bulldozer.“ Der Hubschrauber geht tiefer, zieht Kreise über dem Bagger, der mit seiner Stahlplatte voraus den Wald niederreißt. Der Lärm des Rotors übertönt das Krachen und Knacken der umgeknickten und fallenden Bäume.
Das Abkommen
Der Mercado Común del Sur, kurz Mercosur, wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay als Wirtschaftsvereinigung gegründet. 2019 hatten sich die Europäische Union und der Mercosur nach mehr als 20 Jahren Verhandlungen auf ein Freihandelsabkommen geeinigt, das jedoch noch immer nicht ratifiziert wurde und damit auch nicht in Kraft gesetzt ist. Sollte das Abkommen tatsächlich umgesetzt werden, würde eine der größten Freihandelszonen der Welt mit rund 780 Millionen Menschen entstehen.
Die Hindernisse
Vor allem die Abholzung des Regenwalds unter Brasiliens rechtsextremem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro hatte die Absegnung des Abkommen blockiert. Gegenwind gibt es aber auch aus Österreich und von den französischen Agrarverbänden. Mit dem Amtsantritt von Lula da Silva in Brasilien haben die Gespräche wieder an Fahrt aufgenommen. Statt das Abkommen komplett neu zu verhandeln, sollen mit zusätzlichen Vereinbarungen und Auflagen zum Umweltschutz die Vorbehalte ausgeräumt werden. Das Ziel ist eine Ratifizierung noch in diesem Jahr.
30.000 Hektar werden pro Jahr abgeholzt
Argentinien gehörte einmal zu den zehn Ländern mit der größten Waldfläche der Erde. Die seit 1976 erstellten Statistiken zeigen, dass immer mehr abgeholzt wird – im Gran Chaco noch schneller als im Amazonas-Regenwald. Um der Abholzung Einhalt zu gebieten, wurde 2007 ein viel gelobtes Waldschutzgesetz in Kraft gesetzt. Die Provinzen sollten Bestandsaufnahmen ihrer noch vorhandenen Wälder machen und in drei Schutzzonen einteilen: eine rote, strenge Schutzzone, eine gelbe Zone für gemischte Nutzung von Forst- und Landwirtschaft, aber ohne Abholzung, und eine grüne Zone für weitgehend freigegebene Abholzung.
In Formosa erwies sich das Schutzgesetz als Bumerang. 45 Prozent der 7 Millionen Hektar Wald wurden als grün ausgewiesen, 65 Prozent davon dürfen gerodet werden. Anstatt sie zu bremsen, wurde die Abholzung des Walds legalisiert. Die Grundbesitzer in den grünen Zonen freuten sich über die stark gestiegenen Preise ihrer Waldflächen. Im Durchschnitt werden hier jedes Jahr 30.000 Hektar abgeholzt. Wenn diese Geschwindigkeit beibehalten wird, ist bald nicht mehr viel von einem zusammenhängenden Waldgebiet übrig.
Nachdem der Helikopter von seinem Flug zurückkehrt, werden die neuen Beobachtungen ausgewertet. „Wenn das Abkommen EU-Mercosur in Kraft tritt, wird der Abholzungsdruck auf die letzten ursprünglichen Wälder Argentiniens immens steigen“, sagt Noemi Cruz. „Die Zerstörung des Walds ist ein Verbrechen und sollte als Straftat verfolgt werden.“
Am kommenden Donnerstag tagt der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel zum Thema Handel. Dabei soll auch über den Stand der Dinge beim Freihandelsabkommen mit der lateinamerikanischen Wirtschaftsorganisation Mercosur gesprochen werden, über das seit mehr als 20 Jahren verhandelt wird. Vor drei Jahren wurde dabei eine Einigung erzielt, das Abkommen ist aber auch wegen fehlender Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen noch nicht ratifiziert. Geht es nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin, soll es mit entsprechenden Zusatzvereinbarungen schleunigst in Kraft treten.
Und unten, auf dem Boden der Tatsachen, sehen manche die Rodungen weniger dramatisch als Greenpeace.
„Das Einzige, was der Wald bringt, ist Armut, Elend und Unterernährung. Der Wald produziert keine Nahrungsmittel“, sagt Juan de Hagen. Produktionsleiter von „El Torro“. Mit seinem Pickup ist er auf dem Weg zur Rinderfarm. „Nach dem Waldschutzgesetz von 2007 haben wir in Formosa ein Abholzungspotenzial von 3 Millionen Hektar Wald“, sagt er und deutet auf den entlang der Landstraßen stehenden Wald. Davon könnten 2 Millionen in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Dieses Potenzial nicht zu nutzen, hieße, die Provinz und ihre Menschen zur Armut zu verurteilen.
Ginge es nach de Hagen, würde in Formosa der ganze Wald in Weideland verwandelt. „In-Produktion-Setzung“ nennt er das. „In Formosa kostet ein Hektar Wald zwischen 300 und 400 Dollar“, rechnet er vor. „Dazu kommen etwa 500 Dollar für Rodung und Umwandlung in Weideland.“ Das ist viel billiger als in Argentiniens Kernland, wo zwischen 10.000 und 14.000 Dollar pro Hektar Ackerland verlangt wird. Die Aussicht auf derartige Wertsteigerungen hat Immobilienunternehmen auf den Plan gerufen, die Waldflächen aufkaufen, entwalden lassen und auf einen profitablen Weiterverkauf hoffen.
De Hagen hat den Pickup am Straßenrand abgestellt und steigt über den Drahtzaun einer Weide. „Hier ist nichts abgeholzt. Die Rinder dort stehen auf der früheren Sandbank eines Flusses“, sagt er und deutet auf eine Herde brauner und schwarzer Bradford- und Brangus-Rinder. Bradford und Brangus sind Kreuzungen mit den aus Asien stammenden Zebu-Rindern. Sie können den extremen Temperaturen im Sommer standhalten.
Auf „El Torro“, benannt nach dem Stier, ist der Name Programm. Die Rinderfarm umfasst 5.200 Hektar Fläche. 1.900 Hektar sind Weideland, 560 Hektar Ackerland für den Anbau von Mais. Der Rest ist Wald – noch. Bis zu 3.600 Rinder werden pro Jahr produziert. „Jungrinder aus hundertprozentiger Weidewirtschaft für den Export“, sagt de Hagen. Erst vor ein paar Tagen hätten sie vier Lkws mit 200 jungen Ochsen beladen. Jeder mit etwa 500 Kilo, bestimmt für einen Schlachthof in Rosario mit dem anschließenden Exportziel EU.
Aber de Hagen ist wütend auf Europa. Was den 39-Jährigen aufregt, ist die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Sie verbietet die Einfuhr und den Verkauf von Rindfleisch und Sojabohnen, deren Produktion mit Entwaldung in Verbindung stehen. Seit Anfang des Jahres müssen Importunternehmen nachweisen, wann und wo diese produziert wurden, und überprüfbare Angaben machen, dass sie nicht von Waldflächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurden.
Was für die EU dem Schutz des Walde und des Klimas dienen soll, ist für de Hagen eine Einmischung in die Angelegenheiten seines Landes. „In Europa haben sie seit den Zeiten der Römer alle Wälder abgeholzt, und jetzt wollen sie uns das verbieten.“ Die heutigen EU-Bürokraten und -Parlamentarier seien sicher nicht dafür verantwortlich, dass in Europa keine ursprünglichen Wälder mehr stünden, so de Hagen. Aber sie würden dafür dem Rest der Welt auch keine Bußgelder zahlen. „Wenn der Wald in Lateinamerika einen Umweltservice leisten soll, in dem er unangetastet bleibt, dann sollte die EU dafür auch eine Gegenleistung erbringen“, sagt er.
Juan de Hagen, Rinderzüchter
Seit dem Beginn des Soja- und Maisbooms in den Nullerjahren werden im Kernland der argentinischen Landwirtschaft zunehmend Flächen für deren Anbau genutzt. Der Anbau von Ölsaaten und Getreide garantiert weitaus mehr Rendite als die Rinderzucht. In den Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und Córdoba wurde in großem Umfang Weideland in Ackerland umgewandelt. Inzwischen wird auf jedem noch so kleinen Zipfel Anbau betrieben.
Viehwirtschaft dagegen ist mobiler als Ackerbau, lautet eine Produzentenweisheit. Und so drängt die Rinderzucht immer weiter nach Norden und erschließt neue Weideflächen. Einst marginale Provinzen wie Formosa mit ihren unrentablen Wäldern geraten in den Fokus, wenn es darum geht, neue Flächen für die Rinderzucht zu gewinnen.
Darauf, dass sich dieser Prozess entschleunigen könnte, deutet nichts hin. Im Gegenteil, die massive Steigerung der Produktion von Agrarerzeugnissen für den Export ist Staatspolitik, unabhängig davon, welchem politischen Lager die jeweilige Regierung angehört.
Wenn das Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und der Europäischen Union in Kraft treten sollte, dürften die Exporte aus den landwirtschaftlich hochentwickelten zentralen Regionen Argentiniens deutlich zunehmen. Die Produktion ohne Schutzklauseln für andere Abnehmerländer dürfte sich dagegen nach Norden verlagern, auch nach Formosa.
Der Druck auf die Wälder wird steigen – und die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten droht ihr Ziel zu verfehlen. „Was den Wald gerade am meisten schützt, sind die weiten Transportwege“, sagt Juan de Hagen. Bisher muss das Vieh aus Formosa weite Strecken zu den Schlachthöfen und dann über 1.000 Kilometer zum Exporthafen in Rosario gebracht werden. Auch de Hagen hat heute noch einen weiten Weg vor sich, er verabschiedet sich, und fährt in seinem Pickup davon.
Lange war der Gran Chaco ein ungestörtes, zusammenhängendes Waldgebiet für die dort lebenden indigenen Völker. Die Sommer sind hier extrem heiß, während es im Winter sogar Frost geben kann. Europäische Kolonisatoren und Einwanderer bevorzugten deshalb andere Regionen. Der Name „Chaco“ stammt aus der indigenen Sprache Quechua. Das Wort cha bezeichnet eine ruhende Sache, und das Suffix cu drückt den Plural aus. Und „Chacu“ war auch eine Jagdmethode: Ein Ring von Jägern kreiste ein Waldstück ein und verengte den Kreis immer mehr.
„Wir Indigene haben existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor Kolumbus und all die anderen kamen. Wir waren Nomaden und sind von Zeit zu Zeit weitergezogen“, sagt Noolé vom Volk der Pilagá. Für den Nationalstaat heißt sie Zipriana Palomo. „Als wir Personalausweise bekamen, wurde wir als weiblich oder männlich eintragen, unser Alter wurde geschätzt.“
Damals konnten viele weder lesen noch schreiben und schon gar nicht Spanisch verstehen. Auf den Ämtern hätten sie oft abwertende oder hässliche Namen bekommen. „Mir haben sie den Namen Zipriana Palomo gegeben. Meine Mutter nannte mich Noolé“, sagt sie.
Noolé macht sich auf den Weg zum Kürbisfeld ihrer Chacra. Chacras werden in Argentinien die kleinen Farmen genannt. „Wir denken gar nicht darüber nach, wie viel Geld das Land wert ist“, sagt sie. Am Ende des Pfads öffnet sich der Wald zu ihrem Feld. Rinder muhen in der Ferne, nicht sichtbar, aber deutlich hörbar. „Dort hinten haben sie den Wald gerodet und Weiden angelegt“, sagt sie und zeigt in die Richtung, aus der das Muhen der Tiere kommt.
Der Wald um ihre kleine Farm werde immer löchriger, sagt Noolé, bückt sich und reißt ein Grasbüschel aus. „Diese Art von Gras wächst hier eigentlich nicht.“ Die werde auf den Weiden ausgesät, der Wind wehe die Samen überall hin. Ihr prüfender Blick gilt jedoch den Kürbissen. Es ist Erntezeit. Ein paar Schritte entfernt liegt ein angefressener Kürbis. „Auch den Tieren im Wald wird der Lebensraum genommen. Sie kommen jetzt immer öfter auf unsere Felder.“
Die Sonne steht jetzt hoch, Insekten surren in der Hitze. „Vorgestern hat es zum Glück geregnet. Noch zwei Tage, dann können wir ernten“, sagt sie und macht sich auf den Rückweg durch den schattigen Wald zu ihrem kleinen Anwesen. Drei kleine Holzhäuser, die Dächer mit halbierten Palmenstämmen gedeckt.
Hühner laufen umher, spindeldürre Hunde schnüffeln neugierig herum. Neben einer Schubkarre liegen die Melonen der gestrigen Ernte. Auf der offenen Feuerstelle dampft es aus einem Wasserkessel. Der Matetee wird aufgegossen und macht im Schatten eines großen Johannisbrotbaums die Runde.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Fortschritt, nur für wen?
Ja, im Fernsehen sei über ein Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU gesprochen worden, sagt Noolé. Sie hätten über Handel und Fortschritt gesprochen. „Fortschritt, immer heißt es Fortschritt. Für wen?“ Noolé schaut sich fragend um, dann gibt sie die Antwort. „Für uns ist dieser Fortschritt Kahlschlag und Entwaldung.“
Zu keinem einzigen Treffen seien sie eingeladen worden. „Wir Indigene existieren da gar nicht.“ Ihr Fortschritt seien die Chacras und der Wald. Hier produzieren sie die Nahrungsmittel für ihre Familien und ein wenig für den Verkauf, um andere Produkte wie etwa Zucker oder Fleisch zu kaufen.
In einem ihrer Lieder heiße es, der Wald sei ihre Mutter, er gebe ihnen Schutz, Nahrung und Medizin, erzählt sie. Und der Wald habe auch viele gerettet, als damals das Flugzeug kam, aus dem geschossen wurde und sie sich unter den Bäumen versteckten. Mehr als 400 Pilagá wurden 1947 von bewaffneten Polizisten erschossen. „Einfach so, weil wir die Weißen störten“, sagt sie.
Noolé erzählt vom Massaker von Rincón Bomba, ein Blutbad, das lange Zeit verschwiegen wurde. Doch die Indigenen schlossen sich zusammen, sammelten Zeugenaussagen und reichten eine Klage wegen Menschenrechtsverbrechen gegen den argentinischen Staat ein, die nun vor einem Bundesgericht in zweiter Instanz anhängig ist.
Ohne Wald, ohne Hoffnung
„Ohne den Wald sind die Indigenen ohne Hoffnung“, sagt Pablo Chianetta. Er ist Experte für die indigene Bevölkerung der Wälder des Gran Chaco. Er leitet eine lokale NGO, die mit indigenen Völkern wie den Pilagá zusammenarbeitet, die heute noch in rund 180 Gemeinschaften leben. Chianetta sagt: „Der Wald ist der Schlüssel für die Kontinuität der indigenen Völker. Der Wald ist die Schule für ihre Kinder. “
Dieser Wald ist nun in Formosa in Gefahr. Dabei sei die Region einmal Vorreiter bei der Vergabe von Land an Indigene gewesen, sagt Chianetta. Von den 1980ern bis Anfang der 90er Jahre wurden Landtitel für 300.000 Hektar an anerkannte indigene Gemeinschaften übergeben.
Ende der 1990er begann dann das Rollback. „Heute werden die indigenen Gemeinschaften nicht mehr als eine Bereicherung angesehen, sondern als eine triste Angelegenheit, die Kosten verursacht und denen man Land geben muss. Sie sind wie der schmutzige Wald, der sauber gemacht werden muss.“
Absurd, meint Chianetta. „Dort, wo Indigene und Kleinbauern leben, sind die am besten gepflegten Wälder, mit den besten Bedingungen. Für sie ist der Wald ein Lebensraum, hier leben die Geister, die Mythen, die Ahnen.“
Viele indigene Gemeinschaften haben keinen Eigentumstitel für das Land, auf dem sie leben. Sie müssen sich zu Gemeinschaften und Genossenschaften zusammenschließen, die wiederum von der Provinz anerkannt werden müssen. Und dort, in den Schreibtischschubladen der Provinzbehörde, verstauben die Anträge.
Die Sonne steht jetzt tief. Auf der Chacra von Mariela Soto kommen die Ziegen zurück. „60 Muttertiere und eine Menge Zicklein“, sagt die 41-jährige Farmerin. Mit Schwung öffnet sie das Gatter. „Sie sind den ganzen Tag draußen im Wald und kümmern sich um sich selbst.“ Abends kommen sie von allein zurück. „Das macht vieles einfacher“, sagt Soto, die die Farm allein mit ihrem kleinen Sohn betreibt. Für Rinder habe sie auf ihren 15 Hektar zu wenig Platz und nicht genügend Wasser.
„Ich stehe jeden Tag mit der Ungewissheit auf, dass sie mir mein Land wegnehmen könnten“, sagt Mariela Soto. Obwohl schon ihre Eltern auf der Chacra lebten, hat sie hier nur eine Duldung. Eigentümer ist der Staat, und der erkennt ihre Kooperative nicht an.
„Es gibt tausend Hindernisse, und sie erfinden immer neue“, sagt Soto und entrollt demonstrativ die Fahne der Frente Nacional Campesino, dem Dachverband der Kooperativen. Wenn große Unternehmen Tausende Hektar Wald kauften, um ihn abzuholzen, gehe alles ruckzuck, sagt sie. „Dann kommen sie mit einem Räumungsbefehl und tragen dich weg wie einen Müllsack.“
Als die Finca La Florencia im Westen der Provinz Formosa 2011 geräumt wurde, begannen sie sich zu organisieren. Damals wurden über 200 Familien von den 90.000 Hektar vertrieben. Ein geräumter Campesino, also ein Farmer, sterbe an Traurigkeit, sagen sie. „Wenn sie dir dein Land wegnehmen, deine Wurzeln ausreißen, wo deine Kinder und Enkelkinder aufgewachsen sind, fühlst du nur noch eine tiefe Ohnmacht“. Tränen stehen ihr in den Augen. „Wir würden den Wald nie abholzen, nicht nur weil unser Vieh davon lebt. Der Wald ist unser Leben, einfach alles.“
Bis Ende des Jahres will die Europäische Union das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nach über 20 Jahren Verhandlungen ratifizieren.
Die fünftägige Recherchereise wurde von Greenpeace organisiert. Die Kosten hat die taz getragen.
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