Bebauung von Osnabrücker Grünflächen: Finger weg
Beton statt Natur: Ein wichtiger Freiraum Osnabrücks, Teil der „Grünen Finger“, soll bebaut werden. Eine Protestkampagne wirft der Politik Wortbruch vor.
Viele Städte wären froh, besäßen sie, was Osnabrück besitzt: Ein System naturnaher Freiflächen, das die offene Landschaft mit der Innenstadt verbindet – gut für Biodiversität, Stadtklima, Grundwasser und Naherholung. Osnabrück nennt es: „Grüne Finger“.
Das Problem: Freiräume wecken Bebauungswünsche. Derzeit im Visier der Planer: ein Teil des Grünen Fingers „Röthebach/Belmer Bach“, geprägt von Feldern und Wäldchen. Dort soll der „Förderschulcampus Friedensweg“ entstehen, für die Montessori- und die Anne-Frank-Schule, beide sanierungsbedürftig. Grüne, SPD, CDU und Volt haben es im Rat so beschlossen, Anfang Dezember.
Das Forschungsprojekt der Hochschule Osnabrück „Produktiv. Nachhaltig. Lebendig. Grüne Finger für eine klimaresiliente Stadt“ hat zwar 2018 bis 2021 den ökologischen und sozialen Wert der Grünen Finger bekräftigt. Und es gibt einen Ratsbeschluss von 2022, der die Grünen Finger als „identitätsstiftend“ bezeichnet und ihnen eine „herausragende Bedeutung“ attestiert. Sie seien zu schützen, weiterzuentwickeln.
Vom Freiraum her gedacht
Auch Osnabrücks Integriertes Stadtentwicklungsprogramm (Step) „Erkennen. Erhalten. Entwickeln“ hat die Grünen Finger 2024 räumlich final definiert, auf der Grundlage von „Produktiv. Nachhaltig. Lebendig“. Osnabrück solle künftig „vom Freiraum her gedacht werden“. Aber der Förderschulcampus zeigt: Es gibt Ausnahmen.
Das Umweltforum Osnabrücker Land ist empört. Die Politik sei „wortbrüchig“ geworden. „Das ist absolut widersinnig“, sagt Andreas Peters der taz, Vorsitzender des Forums. „Das ist ein Kaltluftentstehungsgebiet! Und da soll jetzt massiv gebaut werden?“ Jüngst hat sich im Forum ein Kampagnenbündnis gebildet, das auf einen Planungs- und Baustopp zielt. Mit dabei: Die Bürgerinitiativen „Naturnaher Schinkel“ und „Schutz des Grünen Fingers Sandbachtal“.
„Die Stadt sagt, ihr seien die Grünen Finger wichtig“, sagt Marita Thöle vom Lenkungsteam der Kampagne zur taz. „Aber ständig sind sie beschnitten worden. Und diese Salamitaktik geht weiter.“ Die Politik mache sich unglaubwürdig: „Die tun so, als hätten wir eine zweite Erde.“
Bach wird renaturiert
„Die Grünen Finger haben in den städtebaulichen Planungen der Stadt Osnabrück eine herausragende Bedeutung“, schreibt Simon Vonstein der taz, Sprecher der Stadt Osnabrück. Im Step sei „an wenigen Stellen“ eine Neuabgrenzung der Grünen Finger „zugunsten einer Siedlungsentwicklung“ vorgenommen worden. „Allerdings geschah dies vor dem Hintergrund der Abwägung der Belange des Natur- und Freiraumschutzes.“ Die beeinträchtigten Funktionen, schreibt das Step vor, würden aufrechterhalten: „Der funktionsbezogene Ausgleich innerhalb des Grünen Fingers ist im Bebauungsplanverfahren zu sichern.“
Beim Röthebach/Belmer Bach umfasse das, so Vonstein, dass „der derzeit teilweise verrohrte und stark begradigte Lauf des Röthebaches reaktiviert und renaturiert“ werde. „Die Nord-Süd-Durchlüftungsschneise bleibt erhalten.“ Insgesamt werde „verglichen zur vorherigen, größtenteils landwirtschaftlichen Nutzung eine ökologische Aufwertung erreicht“.
„Die Idee des Förderschul-Campus am Standort ist seit Jahren bekannt“, sagt Volker Bajus der taz, Vizevorsitzender der Stadtratsfraktion der Grünen. „Die Kritik kommt daher für uns überraschend.“ Ursprünglich habe die Stadt die Flächen erworben, um dort eine dichte Wohnbebauung zu schaffen. Auf Druck der Grünen sei darauf verzichtet worden. „Mit einer Machbarkeitsstudie wurde untersucht, wie eine Teilfläche schonend für den Förderschulcampus nutzbar ist, während der andere Teil ökologisch aufgewertet und für die Naherholung überhaupt erstmals zugänglich gemacht werden kann.“
Pufferfläche für Regenfälle
Bajus betont: „Wenn das Umweltforum jetzt neue Hinweise hat, dass dies nicht aufgeht, nehmen wir das sehr ernst.“ 100 Hektar planungsrechtlich vorbereiteter Bauflächen, die in den Grünen Fingern lagen, würden durch die Flächendefinition des Step nicht mehr weiterverfolgt. Verblieben seien nur gut 15 Hektar, ein Fünftel davon für den Förderschulcampus.
Das „Gesamtergebnis“ bewertet Landschaftsplaner Hubertus von Dressler, emeritierter Professor der Hochschule Osnabrück, der „Produktiv. Nachhaltig. Lebendig“ geleitet hat, „in diesem Punkt positiv“, die Idee der Ausgleichsmaßnahmen inklusive.
In „allen weiteren Punkten“ des Grüne-Finger-Beschlusses von 2022 komme er aber „zu einem negativen Urteil“, schreibt er der taz. Insbesondere habe mit dem Beschluss des Step eine Grüne-Finger-Charta beschlossen werden sollen. „Das ist einfach bisher übergangen worden.“
Das Entwicklungskonzept des Forschungsprojektes sehe das Umfeld des Röthebachs für die Schaffung einer Schwammzone vor, eines Feuchtgebiets, als „großräumige Pufferfläche für Starkregen und zur Kühlung der Stadt“. Aber: Die Chance, den betroffenen Raum „meinetwegen auch in Verbindung mit der vorgesehenen Bebauung der Schulen“ beispielhaft im Sinne der Klimaresilienz von Osnabrück zu entwickeln, werde „offensichtlich vertan“.
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