Bebauung an spanischen Küsten: Die Playas verschwinden einfach
Natürliche Strände passen sich dem Klimawandel an. Sind sie zugebaut, werden sie bei Extremwetter weggeschwemmt. In Spanien wird das zum Problem.
Die Einschätzungen differieren, amtliche Zahlen gibt es nicht – aber in einem sind sich in dem auch bei Ausländern beliebten Badeort an der Costa Brava in Katalonien alle einig: Der Strand wird seit Jahrzehnten „kleiner, kleiner und noch mal kleiner“, wie sich der langjährige Gaststättenbetreiber Aldo ausdrückt.
Das passiert nicht nur in Platja d'Aro. Das Phänomen des „Strandsterbens“ ist auch andernorts zu beobachten. Experten sehen eine Ursache darin, dass Küsten direkt bis zum Strand bebaut wurden. Schützende Dünen gibt es oft nicht mehr. An einer natürlich gebliebenen Uferlinie würde der Strand einfach langsam landeinwärts wandern – was nicht möglich ist, wenn er bis nah ans Meer bebaut wurde.
„Natürlich gebliebene Strände können sich leicht an den Klimawandel anpassen, da sie fähig sind, sich bei steigendem Meeresspiegel zurückzuziehen und zu erhöhen“, sagt Francesca Ribas von der Universitat Politècnica de Catalunya in Barcelona. Wenn sich der Strand aber wegen des vielen Betons nicht verschieben könne, verschwinde er.
Düstere Prognose
Dass Dünen zu Promenaden umgewandelt wurden, sei ein großes Problem, erklärt die Expertin für Küstendynamik. Die Anpassungsfähigkeit der Strände werde eingeschränkt, das Risiko von Überschwemmungen bei Stürmen erheblich erhöht. Auch Staudämme an Flüssen in Küstennähe sowie der Bau von Sport-Häfen und anderer Infrastruktur in Küstennähe förderten die Erosion.
Auch in anderen Küstengegenden, etwa in Kalifornien und in Florida, in der Türkei, in Brasilien und an der Goldküste in Australien schwindet der Strand. Ein Faktor ist dabei der Klimawandel. Unter den vom Klimawandel und Anstieg des Meeresspiegels geprägten Bedingungen könnte „die Hälfte der weltweiten Sandstrände bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein“, hieß es schon 2020 in einer in der Fachzeitschrift Nature Climate Change vorgestellten Studie.
Die Stadt Barcelona schätzt, dass dort jedes Jahr 30.000 Kubikmeter Sand weggespült werden. Das seien über zehn Prozent des Gesamtbestandes. Ribas ist aufgrund ihrer Tätigkeit bestens informiert, aber auch sie erlebt als Strandgängerin unangenehme Überraschungen: „Ich war erst vor wenigen Jahren total überrascht, als ich an einigen Stränden im Llobregat-Delta südlich von Barcelona, die bis dahin keine Probleme mit Erosion gehabt hatten, eine gewaltige Rückbildung bemerkte.“
90 Prozent weniger Sand
Es gibt wissenschaftliche Erhebungen, die die Schwere des Problems mit Zahlen verdeutlichen. Ribas zitiert internationale Studien, wonach im Zeitraum 1984 bis 2015 circa 25 Prozent der Strände weltweit von chronischer Erosion betroffen waren. Das basiere auf Schätzungen anhand von Satellitenbildern. Das Kartografische und Geologische Institut Kataloniens (ICGC) ermittelte, dass in dieser Region sogar 65 Prozent aller erfassten Strände (319 von insgesamt 489) zwischen 1956 und 2019 geschrumpft seien.
„Einer der bemerkenswertesten Fälle ist Montgat, dessen Strand 90 Prozent seines Sandes verloren hat“, heißt es von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Allein seit Juli 2023 ging dort die Gesamtfläche des Strandes nach amtlichen Angaben von 25.000 auf 6.400 Quadratmeter zurück. Im Frühjahr war die Lage nach einem großen Sturm so schlimm, dass die Ortschaft nahe Barcelona sogar erwog, die Sommersaison abzusagen. „Wir hatten fast nicht einmal mehr Platz, um einen Rettungsschwimmer-Stuhl hinzustellen“, sagt die für Umwelt zuständige Stadträtin Tania González der Zeitung El Periódico.
Folgen für den Tourismus
Die Küstenerosion hat alarmierende Folgen, nicht nur für Yaiza Castro. Fast in ganz Spanien und auch in Katalonien ist Tourismus eine der Haupteinnahmequellen. Und der ist stark abhängig von den Stränden. Ribas weist auch auf die Gefährdung vom „sehr wertvollen Ökosystem“ hin. Und: „Strände sind für die dahinter liegenden Städte der bestmögliche Schutz vor Stürmen, da sie die Energie der Wellen absorbieren. Wenn es keinen Strand gibt, haben Stürme eine viel zerstörerischere Wirkung“, sagt sie.
In Katalonien und anderen betroffenen Küstenregionen Spaniens gibt es immer mehr Menschen, die dem Verlust der Strände nicht tatenlos zusehen wollen. Aufklärungs- und Protestaktionen sollen informieren. In Valencia etwa wurden jüngst mit einer kilometerlangen Menschenkette Maßnahmen gefordert. In Katalonien gab es Anfang August in Calella de Palafrugell unweit von Platja d'Aro eine Open-Air-Theateraufführung der Organisation SOS Costa Brava über die ökologischen Folgen der ungebremsten Bauwut.
Ribas beobachtet, dass nicht nur in Spanien, sondern „weltweit ein Umdenken stattfindet“. In Spanien gibt es vielerorts strengere Bauvorschriften, das Küstengesetz wurde verschärft. Immobilienbesitzer haben Angst vor möglichen Enteignungen. Trotzdem findet die Bauwut kein Ende, oft wird illegal gebaut. Neben Megaunterkünften werden – wie etwa in Bilbao – auch große Museen in Küstennähe errichtet. SOS Costa Brava kämpft auch vor Gericht unter anderem gegen einen geplanten Ausbau der Marina in Platja d'Aro und weitere Projekte zum Bau von Hotelkomplexen und vieler Wohnsiedlungen entlang der beliebten Urlaubsregion.
Was macht die Regierung?
Pau Bosch, Vizepräsident dieses Zusammenschlusses von über 25 Umweltschutzgruppen, betont im Interview der Deutschen Presse-Agentur, dass sich der unermüdliche Kampf lohne. Es habe bereits Erfolge gegeben. „Dank unseres Einsatzes wurde unter anderem in Katalonien der städtebauliche Masterplan für die Küste genehmigt, um verschiedene Naturgebiete zu schützen, die zerstört werden sollten.“ Es gebe aber weiterhin Pläne zum Bau von insgesamt 40.000 neuen Wohnungen und Hotelkomplexen in 22 Gemeinden der Costa Brava, „was sich sehr negativ auf die Küstenlinie und das Meer auswirken wird“.
Das Umweltministerium der linken Regierung in Madrid, die für den Küstenschutz vor allem verantwortlich ist, betreut Dutzende Projekte mit Gesamtinvestitionen von rund 250 Millionen Euro. Nicht selten werden die Pläne aber von regionalen Behörden aus Angst vor finanziellen Einbußen blockiert oder verzögert. „Das Aufeinanderprallen von touristischer Entwicklung und Küstenschutz ist spürbar“, analysiert La Vanguardia.
Welche Lösungen gibt es? Bisher hat man es mit teuren und wenig nachhaltigen Sandaufschüttungen versucht, unter anderem sogar mit Importen aus der Sahara. Solche Aktionen, von Ökologen als „Flickwerk“ kritisiert, sollen in Spanien stark reduziert werden, auch weil weltweit ein großer Mangel an Sand herrscht. Die Errichtung von Schutzanlagen wie Wellenbrechern half oft nur kurzfristig und erwies sich teils auch als kontraproduktiv.
Unpopuläre Maßnahmen
Ribas sieht nur einen wirklichen Ausweg: „Wir müssen dem Meer das zurückgeben, was wir ihm gestohlen haben.“ Das Zauberwort laute Renaturierung. „Man muss die ursprünglichen Dünensysteme wiederherstellen und wenn nötig Strandpromenaden abbauen und weiter hinten wieder errichten, auch wenn diese Maßnahmen unpopulär sein mögen“, fordert sie.
In Katalonien gehen zwei Gemeinden dieses Jahr mit gutem Beispiel voran: Vila-seca und Calafell wollen unter anderem die Promenaden von der Küste weg verlegen. Auch Mallorca hat das Problem – und ebenfalls Gemeinden, die Pionierarbeit leisten. In dem bei deutschen Touristen beliebten Badeort Cala Millor im Osten der Insel gibt es das Projekt „Life Adapt“ zum Erhalt des Strandes. Die angestrebten Lösungen orientieren sich an der Natur, was unter anderem die Zurücksetzung der Strandpromenade beinhaltet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen