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Beat Happening

Neues von Larry Clarke, Richard Linklater oder Ethan Hawke: Das b.film-Festival präsentiert viele international hoch gelobte Filme, die es bis heute nicht auf den deutschen Markt geschafft haben

Larry Clarke festigt mit „Bully“ endgültig seinen Ruf als notgeiler Onkel Viele Produktionen entwerfen ein apokalyptisches Bild der US-Jugend

von ANDREAS BUSCHE

Es ist bekanntermaßen nicht gerade so, dass nach der großen Dotcom-Schwemme die alten Medien gestärkt aus den Umverteilungskämpfen hervorgegangen sind. Aber immerhin haben sie sich wacker geschlagen. Ähnlich sieht es auch mit dem b.film- Festival aus, dem letzten Überbleibsel des ehemaligen New-Media-Kongresses BerlinBETA, der nach akuter Unterfinanzierung in diesem Jahr abgesagt werden musste. Einen gewissen Symbolwert für die Frustrationen in den Neuen Medien hat das Ganze schon. Was geblieben ist nach all den revolutionären Businessplänen und bahnbrechenden P2P-Verfahren, ist also doch wieder das alte Medium Kino: immer noch verhaftet einer alchemistischen Licht/Schatten-Magie statt sexy Pixeln, inzwischen über 100 Jahre alt, schwerfällig – und downloaden kann man auch nix. Aber auch die Finanzierung des b.film-Festivals stand lange Zeit auf der Kippe. Geholfen hat, dass sich der BerlinBETA-Vorgänger nie auf geliehenes Kapital verlassen musste. Das persönliche Risiko, wie sich Festivalleiter Andreas Döhler ausdrückt, sei im Jahr 2002 zwar größer, aber es lohne sich auch, das einzugehen.

Die Schwerfälligkeit einer ganzen Branche ist der große Vorteil des b.film-Festivals. Mehr noch als in den letzten Jahren finden sich im diesjährigen Programm eine Vielzahl von international hoch gelobten Filmen, die es bis heute nicht auf den deutschen Markt geschafft haben. Während Döhler und sein Partner Anatol Weber in den letzten Jahren noch jede Menge internationale Festivals abklappern mussten, reichte in diesem Jahr fast schon ein Blick in die Liste der amerikanischen Kinostarts, um sein Festival hochkarätig zu bestücken. Mit Larry Clarkes „Bully“, den Star-Vehikeln „Hotel“ (von Mike Figgis) und „Chelsea Walls“ (Ethan Hawkes Regiedebüt), Richard Linklaters „Tape“, der Melville-Verfilmung „Bartleby“ und dem Teenage-Angst-Mystery-Thriller „Donnie Darko“ hat das b.film-Festival einige der interessantesten US-Produktionen der letzten Jahre in seinem Programm. Und die meisten von ihnen werden danach wahrscheinlich auch nicht mehr allzu oft auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein. Döhler: „Der deutsche Verleihmarkt befindet sich derzeit in einem Umbruch. Für unabhängige US-Produktionen zum Beispiel ist der Markt schwieriger geworden, weil es für sie keine Verleihförderung mehr gibt und für kleinere Verleiher das Risiko einfach zu groß geworden ist. Als Festival kann man da etwas dagegenhalten und diese Filme wieder ins Bewusstsein von Publikum und Presse bringen.“

Larry Clarkes „Bully“ hat in diesem starken Teilnehmerfeld zweifellos die Pool-Position. Bereits vor einem Jahr in Venedig als etwas zweifelhafte „Teenploitation“ kritisiert, erweist sich Clarke mit „Bully“ nicht nur ein weiteres Mal als hipper Chronist einer desolaten Jugend, sondern festigt auch endgültig seinen Ruf als notgeiler Onkel. Mit „Bully“ (wildes Teenie-Gevögel mit einigen unschönen physischen Eskalationen, Shots unter die Röcke von jungen Mädchen, wo sich das Schamhaar aufreizend kräuselt, und generell: lieber ein Blick mehr als einer zu wenig) hat Clarke einen Crossover angetestet, den er mit seinem drauffolgenden Film „Teenage Cavemen“ inzwischen zur Vollendung gebracht hat: eine unverblümt-pädophile Fashion-Pornografie, wie von skrupellosen Jugendkultur-Trendforschern ausgedacht. Auf Dauer würde das stark an Reiz verlieren, wenn es nicht so erfrischend deprimierend wäre.

„Bully“ ist hier nicht der einzige Film, der ein apokalyptisches Bild der Jugend entwirft. Die kanadische Independent-Produktion „Manic“, sein US-Pendant „Prozac Nation“ (unter anderen mit Christina Ricci) und Toshiaki Toyodas „Pornostar“-Nachfolger „Blue Spring“ sind in der Freudlosigkeit ihrer Schilderung der Adoleszenz nicht weniger desillusionierend und niederschmetternd, verzichten jedoch auf Clarkes spektakuläre Effekte. Durch den schwer unterschätzten „Donnie Darko“ dagegen zieht sich zunächst eine somnambule Angststimmung, die zum Ende hin in blanke Hysterie umschlägt. Drew Barrymores verzweifeltes „We’re losing them!“ wäre die treffende Überschrift für diesen imaginären Themenkomplex. Das Amerika Donnie Darkos, im Film immer in Begleitung eines überdimensionalen Hasen, wirkt wie eine düstere Todesfantasie.

Bestimmte Themen tauchen auffällig oft im Festivalprogramm auf: Gewalt zum Beispiel. „Ichi the Killer“ von Japans Wunderkind Takashi Miike („Audition“) und Claire Denis’ „Trouble Every Day“ bilden die Klammern um diesen wie immer hochaktuellen Komplex. Beide spielen bis an die Grenzen der Leidensfähigkeit mit der Erotik von Schmerz und Sadismus, kommen aber zu ganz unterschiedlichen Resultaten. Während Miike ein spektakuläres, in seinem irrsinnigen Bilder-Furor fast avantgardistisches Feuerwerk aus bizarren Charakteren (ein „Crybaby“ als eiskalte Killermaschine und ein ultramasochistischer Yakuza-Killer mit angeschlitzten Mundwinkeln), Blodshed/Gore, Körpersaft-Orgien und Sex/Gewalt-Impressionen abfackelt, lässt Denis ihre melancholische Vampirgeschichte von den Tindersticks untermalen und den Zuschauer langsam ganz alleine zwischen ihren unnahbaren Figuren stehen. Die erratische Montage von Denis Bildern und die gegensätzliche Körpersprache Vincent Gallos und Beatrice Dalles erzeugen einen Entfremdungseffekt, der sich im blutrünstigen Finale schließlich zu einem brachialen Schock steigert.

In der Zusammenstellung der Filme lässt sich beim b.film-Festival also durchaus eine persönliche Handschrift erkennen. Hierin liegt auch immer noch der Reiz des Festivals im Vergleich zu anderen Filmfestivals ähnlicher Größenordnung. Mit seinen Sektionen „Independent Images“, „Music Department“, „Digital Vision“ (unter anderem mit einem Special der amerikanischen Autorenfilm-Initiative „InDigEnt“) und der Kooperation mit dem First Steps Award behält das b.film-Fesival außerdem eine Übersichtlichkeit, die sich vor allem an inhaltlichen Aspekten orientiert. Auf die Stars muss auch in diesem Jahr verzichtet werden.

Das b.film-Festival findet statt von heute bis zum 18. September in den Kinos Babylon-Mitte, Blow-Up, Central und Hackesche Höfe, genaue Termine siehe cinema-taz

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