Bayerns Atommüll-Dilemma: Söder gegen Söder
Der Streit ums Atommüll-Endlager ist nicht der Lackmustest für die Kanzlerambitionen des CSU-Chefs. Aber er wirft eine entscheidende Frage auf.
D ie Versuchung war sicherlich da, und es gab Zeiten, da hätte ihr ein Markus Söder wohl kaum widerstehen können: die Versuchung, mal wieder so richtig auf den Tisch zu hauen, den Mir-san-mir-Bayern raushängen zu lassen, denen da oben im übrigen Deutschland deutlich verstehen zu geben, dass sich Bayern das nicht gefallen lasse und in diesem schönen Freistaat ganz bestimmt kein Platz für ein Atommüll-Endlager sei. Basta! Der Beifall der CSU-Stammtische wäre dem Ministerpräsidenten sicher gewesen. Restdeutschland jedoch hätte mal wieder die Nase gerümpft über Söder, die CSU oder gleich ganz Bayern. Allzu fein wird in solchen Situationen nicht unterschieden.
Aber Söder widerstand. In die Falle, es sich mit den einen oder den anderen zu verderben, tappte der Mann, in dem nicht wenige den Heilsbringer der Union sehen, nicht. Stattdessen war seine Reaktion auf den Zwischenbericht zur Endlagersuche wohlaustariert. „Wir müssen uns stellen, keine Frage“, sagte der Ministerpräsident. Ausschließen gehe nicht. Aber schon wissen, wie’s ausgeht, gehe eben auch nicht. Allgemeinplätze, gegen die sich kaum etwas vorbringen lassen kann. Und mit dem Befremden darüber, dass ausgerechnet Gorleben schon zum jetzigen Zeitpunkt ganz raus ist, steht Söder nicht allein da. Auch die Annahme, dass das Nürnberger Stadtgebiet vielleicht kein idealer Standort sein könnte, wird man Söder zugestehen, ohne gleich Eigeninteressen des Nürnbergers zu unterstellen.
Söder hält zwar an seiner Einschätzung fest, dass die bayerischen Böden – ganz gleich, ob Salz, Ton oder Granit – für ein Endlager ungeeignet sind, verschließt sich aber nicht einer weiteren Erkundung, es werde keine Totalblockade geben. Die schlimmste Drohung hört sich so an: „Wir bringen uns konstruktiv ein. Konstruktiv heißt aber auch: mit Argumenten.“ Und die schärfste Kritik kriegen ohnehin die bayerischen Grünen ab, da kann man schließlich nichts falsch machen: Wie die sich bei der Standortsuche anbiederten, schimpft Söder, das gehe gar nicht.
Klar ist, dass die Staatsregierung in den kommenden Jahren alle Kräfte aufbieten wird, um ein Endlager unter bayerischem Boden zu verhindern. Söder hat bereits eigene Expertisen angekündigt. Wie ergebnisoffen diese angelegt sein werden, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Jedenfalls dürfte seine Argumentationslinie auch weiterhin eine strikt wissenschaftliche bleiben.
Für das andere hat Söder seinen kleinen Koalitionspartner. Bei der Pressekonferenz am Montag hatte der Ministerpräsident denn auch Thorsten Glauber, den Umweltminister von den Freien Wählern, im Schlepptau, der sogleich polemisierte, dass den Bericht auch ein Geologiestudent im dritten Semester hätte anfertigen können, und prophezeite, dass kein Thema die Menschen in den bayerischen Regionen künftig mehr bewegen werde als die Standortsuche.
Und Glaubers Parteifreund Florian Streibl, seines Zeichens Fraktionschef im Landtag, legte gleich noch mit einer Watschn für Söders Vorgänger Horst Seehofer nach: Man müsse jetzt ausbaden, was jener 2013 verbockt habe, als er zugestimmt habe, die Gebietskulisse für die Atommüll-Endlagersuche auf Bayern auszudehnen – im Gegenzug für die Ausländermaut. Für ein „Linsengericht“, so Streibl, habe Seehofer die Heimat verkauft.
Angriffe auf seinen Vorgänger steckt Markus Söder in der Regel gut weg. Die wirklich interessanten internen Auseinandersetzungen finden andernorts statt: zwischen CSU-Chef Söder und Ministerpräsident Söder. Irgendwann geht es nicht mehr nur um Corona, und dann wird Söder die Frage beantworten müssen, wie er es künftig mit der Abwägung bayerischer und bundesdeutscher Interessen hält. Halb Deutschland fragt sich derzeit angesichts des Söder’schen Höhenflugs: Kann der Kanzler? Will der Kanzler? Wird der Kanzler? Doch davor steht zunächst eine andere Frage: Kann der Deutschland?
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