Endlagerung von Atommüll: 194.157 mögliche Quadratkilometer
Über die Hälfte Deutschlands eignet sich geologisch als Standort für ein Atommüll-Endlager. Die Auswahl soll transparent verhandelt werden.
Die taz zumindest hat Glück: Der Boden unter der Berliner Friedrichstraße ist nicht geeignet, für eine Million Jahre sicher den deutschen Atommüll zu lagern. Das geht aus einer Karte hervor, die die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) am Montag in ihrem lang erwarteten „Zwischenbericht Teilgebiete“ veröffentlicht hat. Wer will, kann auf der interaktiven Übersicht sehen, ob seine Region möglicherweise zum Standort des deutschen Atom-Endlagers werden kann.
Dafür kommen immerhin 194.157 Quadratkilometer, 54 Prozent der Fläche Deutschlands, infrage. Diese 90 „Teilgebiete“ bilden nun „den Ausgangspunkt für die weiteren Arbeiten im Standortauswahlverfahren“, hieß es von der BGE. Ab jetzt soll auf diesen Flächen ernsthaft nach einem Standort für ein atomares Endlager für 10.500 Tonnen hochradioaktiven Müll gesucht werden – und nebenbei möglicherweise noch für ein zweites Lager für etwa 300.000 Kubikmeter mittel- und schwachstrahlenden Müll aus dem Asse-Bergwerk. Das bisher als Endlager festgelegte Gorleben ist nicht unter den geeigneten Orten angegeben.
Die Gebiete mit ausreichenden Formationen von Ton, Salz oder Kristallin, die die BGE nach einer dreijährigen Datenanalyse definiert hat, erstrecken sich über weite Teile von Nord-, Süd- und Ostdeutschland (siehe Karte). Platz ist also genug im Untergrund, „Deutschland ist gesegnet mit allen Wirtsgesteinen“, sagte BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz.
Entstehen soll ein großes unterirdisches Bergwerk, mindestens 300 Meter und höchstens 1.500 Meter unter der Oberfläche. Das „Wirtsgestein“ muss mindestens 100 Meter dick sein. Dort sollen ab 2050 die heißen, gefährlichen und stark strahlenden Abfälle entsorgt werden, die bisher in Zwischenlagern an den Atomkraftwerken stehen. Wie, wann und in welchen Behältern die Endlagerung genau passieren soll, ist noch unklar.
Der Bericht nennt die verschiedenen Vor- und Nachteile der Gesteinsarten: Im Ton gibt es 12 geeignete Gebiete mit einer Gesamtfläche von 131.000 Quadratkilometern. Das Gestein lässt Gase, Flüssigkeiten und strahlende Teilchen kaum durch – verliert aber bei großer Wärme diese Barrierefunktion. Ein Endlager in Ton hätte eine unterirdische Ausdehnung von 10 Quadratkilometern.
Im Salz wäre ein Bergwerk nur 3 Quadratkilometer groß, es gibt 162 geeignete Orte auf 36.000 Quadratkilometern. (Die Standorte können sich überlappen.) Der Vorteil: Salz ist dicht gegen Wasser und Gase, leitet die Wärme gut ab und kann Risse im Gestein selbst schließen. Nachteil: Wassereinbrüche wären ein Problem, die radioaktive Teilchen austreten lassen können. Und Kristallin, darunter Granit, ist fest, gut gegen Wasser und Hitze gewappnet – aber es hat Probleme mit zerklüfteten Strukturen.
Für die Bewertung hat die BGE zuerst im Ausschlussverfahren Regionen eliminiert, die etwa wegen Bergbau, Vulkanismus oder jungen Grundwassers ungeeignet sind. Im zweiten Schritt wurden die Regionen ausgesiebt, die den Mindestanforderungen wie Tiefe, Ausdehnung und Gesteinsdicke nicht entsprechen. Und in einem dritten Schritt wurden „geologische Abwägungskriterien“ berücksichtigt, etwa die Reaktion des Gesteins auf die Wärme aus den Lagerbehältern und die langfristige Stabilität des Gesteins.
Mit dem Bericht der BGE beginnt nun ernsthaft die Suche nach einem Endlager. Mitte Oktober soll der Bericht in einer „Fachkonferenz“ in Kassel und danach auf drei weitere Konferenzen mit der Öffentlichkeit debattiert werden. Später soll die BGE entscheiden, welche Gegenden an der Oberfläche näher untersucht werden. Dann sollen mindestens zwei Gebiete auch unterirdisch erkundet werden. Nach dem „Standortauswahlgesetz“ sollen 2031 Bundestag und Bundesrat über einen Standort entscheiden. Ab 2050 soll demnach das Endlager fertig sein – allerdings rechnen viele ExpertInnen mit Verzögerungen auf dem Weg.
Nur schlechte Lösungen
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) lobte das Verfahren und erklärte, die „Voraussetzungen für ein möglichst sicheres Endlager sind gegeben“. Dem widersprach der Atomexperte von Greenpeace, Heinz Smital. Bei der Lagerung von Atommüll gäbe es keine guten, „sondern nur schlechte und noch schlechtere Lösungen“, das Verfahren werde schwierig und konfliktträchtig bleiben. Ähnlich kritisierte auch Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative „ausgestrahlt“. Statt echter Einbindung der betroffenen Menschen gebe es nur eine „Pseudobeteiligung“. „Die BGE entscheidet selbst, ob sie die Einwände gegen ihre eigenen Ergebnisse ernst nehmen möchte oder nicht“, sagte er. Zudem kritisiert Stay, dass die Kriterien, anhand derer die verbliebenen Standorte im weiteren Verfahren gemessen werden, nicht gewichtet sind. „Damit besteht die Gefahr, dass am Ende nicht der Standort ausgewählt wird, der am besten geeignet ist, sondern der, der die kleinste Hausmacht im Bundestag hat“, so Stay.
Für ein geordnetes Verfahren brauche es mehr Einsatz der Bundesregierung, forderte das „nationale Begleitgremium“ (NBG), das die Endlagersuche begleitet und transparent gestalten soll. Es fehle an Geld, damit das NBG seine Aufgaben lösen und eine „Transparenzlücke schließen“ könne.