Bayern im Uefa-Cup weiter: Ohne Sinn und Tempo
Bayern München kann gegen zehn Spieler vom FC Getafe einfach nicht mithalten und erreicht doch das Halbfinale des Uefa-Cups. Torsteher Oliver Kahn findet das 3:3 nach Verlängerung "einzigartig".
Der Tag danach begann und entließ die Kontrahenten wieder in verschiedene Welten. Die Fußballer des FC Bayern saßen kurz nach Mitternacht vor dem Stadion abfahrtbereit in ihrem Luxusbus, der sie zum Bankett ins Madrider Hotel bringen würde, wo traditionell nach Europacupspielen durch den halben Kontinent gekarrte Spezialitäten gereicht wurden. Die Spieler des FC Getafe gingen in die Vereinsgaststätte. Schinkenkeulen hängen dort zwischen Wimpeln, an Werktagen müssen die Sportler die Sitzplätze gegen Arbeiter von der nahen Baustelle behaupten. Nur Oliver Kahn war noch in der Welt dazwischen, auf dem Weg zum Bus, vor der Tür zur Stadionkneipe. "Die Leute reden immer von Manchester", sagte der Torwart: vom Champions-League-Finale 1999, als Bayern durch zwei Tore in der Nachspielzeit gegen United verlor. "Ich werde noch in zehn Jahren von Getafe reden."
Der Fußball hat am Donnerstag alles, was er hat, und von allem ein bisschen zu viel, in dieses Uefa-Cup-Viertelfinale gepackt. Als Luca Toni in der letzten Minute der Verlängerung den 3:3-Ausgleich köpfte, der dem FC Bayern nach dem 1:1 in München das Weiterkommen garantierte, hatte sich der Aberwitz überschlagen. Diese Partie lieferte so viele Momente und Volten, dass man sehr lange keinen Fußball mehr schauen müsste: Man hat genug Stoff, um davon zu zehren; um sich zu erinnern: damals in Getafe. "Es war einzigartig", sagte Kahn.
In den Ecken der Tribünen wächst Gestrüpp, die Lautsprecheranlage scheppert, und auf der winzigen Ehrentribüne des Getafer Kolosseums saß am Donnerstag der spanische König Juan Carlos. Die große Welt traf die Madrider Vorstadt, die 17.000 Zuschauer waren in Jahrmarktsstimmung, und Getafes Elf, erst im vierten Jahr in Spaniens erster Liga, Mittelmaß dort derzeit, lief zur Form einer absoluten Spitzenelf auf. All diese Gegensätze vereint, erschufen eine betörende Anmut, und dann sah Getafes auffälligster Spieler der Saison, Rubén de la Red, nach sechs Minuten die Rote Karte. Das Spiel wurde ein Epos.
Cosmin Contra rannte 50 Meter Haken schlagend durch die Münchener Reihen, um den Ball zum 1:0 ins Tor zu knallen. Braulio hatte Kahn schon umdribbelt und rutschte vor dem leeren Tor aus. Franck Ribéry erzwang in der vorletzten Minute mit dem 1:1 die Verlängerung. Diese hatte kaum begonnen, da lag Getafe mit 3:1 vorne. Als Bayern dabei war, aufzugeben, lenkte sich Getafes Torwart Pato - zu deutsch: die Ente - Abbondanzieri einen harmlosen Freistoß durch die eigenen Beine, Luca Toni staubte ab zum 3:2. Und der Rest ist Geschichte.
"Großartiges Spiel!", sagte der König zu Bayerns Vizepräsident Karlheinz Rummenigge. "Und ich habe geschwiegen", erzählte Rummenigge, "dem König widerspricht man ja nicht." Das Spektakel hatte seine Kraft gerade aus dem Gegensatz geschöpft, dass die großen Bayern im Vergleich taktisch und technisch verstörend schlecht aussahen. "Schwache Nerven", attestierte Trainer Ottmar Hitzfeld seinen Spielern, "das war teilweise schon enttäuschend, wie wir das Spiel nur verschleppten."
In den zwei exzellent gestaffelten defensiven Viererreihen Getafes fand Bayern weder Raum noch Rhythmus. Ihre Ideen wurden immer simpler, erst versuchten sie es mit Flanken vom Flügel, dann Ribéry ganz alleine mit Dribblings, schließlich verkleideten sie sich als englische Elf aus den Achtzigern: Ein langer, hoher Pass nach dem anderen flog auf Stürmer Luca Toni. Das berühmte Oliver-Kahn-Prinzip war ihre ganze Methodik: Weiter, immer weiter. "Diese Bayern sind die Alliierten der dunklen Seite des Fußballs", klagte die Zeitung As. Mit welcher Systematik und Dynamik Getafes Fabio Celestini und Casquero im Mittelfeld die Bayern unterdrückten, wie sauber und schnell Getafe nach vorne passte, offenbarte die ganze Münchener Unordnung, entblößte etwa Mark van Bommel an diesem Abend als Fußballer ohne Sinn und Tempo. Wie konnten sie als Sieger vom Platz gehen? "Ich mag den Spruch vom Bayern-Dusel nicht", sagte Rummenigge. "Aber heute haben wir ihn gehabt."
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