Bayerisches Nationalmuseum: Starker Tobak für den Altar
In der Ausstellung „Kunst und Kapitalverbrechen“ im Bayerischen Nationalmuseum sind die Bilder Veit Stoß' für den Münnerstädter Altar zu sehen.
Ein über und über behaarter, fast zwei Meter hoher Frauenkörper, das lange gewellte Haupthaar gleitet über die Scham, dazu vier farbstarke Gemälde, die spektakulär verdichtet und gar nicht fromm die Geschichte von dem Martyrium des Heiligen Kilian erzählen. Das ist schon starker Tobak für die Ausgestaltung eines Altars.
Lieblich ist hier gar nichts und die Gemeindemitglieder, die sich zum Gottesdienst in die der Heiligen Magdalena gewidmeten Kirche in Münnerstadt einfanden, hatten einst mancherlei nicht nur fromme Möglichkeiten, sich kontemplativ in die Mystifizierung von göttlicher oder klerikaler Weisheit, Mahnung und Sinnhaftigkeit zu versenken.
Das spätgotische Retabel wurde um 1650 dem Zeitgeschmack folgend abgebaut und in Einzelteilen verstreut verkauft. Die elegante Heiligenfigur der Sünderin, die der Legende nach Jesus die Füße wusch, mit ihrem Haar trocknete, später in der Wüste Buße tat für ihren lasterhaften Lebenswandel, die flankierenden, teils gefiederten Engel, die Assistenzfiguren des Heiligen Kilian und der Heiligen Elisabeth werden nun im Bayerischen Nationalmuseum mit Leihgaben aus Würzburg, Nürnberg und Berlin erstmals wieder zusammengeführt.
Äußerst moderner Gestaltungswillen
„Kunst und Kapitalverbrechen.Veit Stoß, Tilman Riemenschneider und der Münnerstädter Altar“ läuft noch bis zum 2. Mai im Bayerischen Nationalmuseum München. Der Katalog kostet 29,- (Museum) bzw. 39,- Euro (im Buchhandel). Ab 14.4. wieder nur digitaler Rundgang.
Der erste Großauftrag des Würzburger Meisters Tilman Riemenschneider (um 1460–1531) belegt sein herausragendes Können, seinen äußerst modernen Gestaltungswillen und seine virtuose Arbeitsweise. Die großen, gelängten Figuren sind weitgehend aus einem Lindenstück geschnitzt und, was um 1490/92 nicht üblich war, auf sogenannte Holzsichtigkeit angelegt. Vielleicht war aber auch kein Geld für den Fassmaler da, der die Skulpturen farbig gestaltet hätte. Riemenschneider machte buchstäblich das Beste daraus.
Gut zehn Jahre später wurden die Skulpturen dann doch bemalt. Die Flügel des Altars sollten nun von dem Nürnberger Bildschnitzer Veit Stoß (um 1447–1533) mit der Legende zum Martyrium des Frankenpatrons Kilian dekoriert werden. Stoß war mit seinen Krakauer Skulpturen, Grabmalen und Retabeln weithin bekannt geworden, inzwischen jedoch in Ungnade gefallen und geächtet.
Der streitbare und spekulativen Geldgeschäften stets zugeneigte Stoß hatte sich über den Tisch ziehen lassen. Er rief die Gerichte an, doch die verlangten zum Beweis einen Schuldschein für das den Betrügern geliehene Geld. Den gab es nicht. Veit Stoß legte ein gefälschtes Dokument vor. Er flog auf – und sah dem Tod ins Auge.
Urkundenfälschung war ein Kapitalverbrechen
Denn Urkundenfälschung war in Zeiten, in denen sowieso nicht lang gefackelt wurde, ein Kapitalverbrechen (caput = der Kopf) mit Todesfolge. Nicht zuletzt aufgrund seines hohen Ansehens als Bildschnitzer, vor allem aber auch als Zeugnis unanfechtbarer Machtausübung, ließ man Gnade vor Recht ergehen und seine Wangen mit glühenden Eisen durchbohren.
Stoß war’s dennoch nicht geheuer in Nürnberg. Auf der Flucht vor der Nürnberger Gerichtsbarkeit hatte er Unterschlupf bei seinem Schwiegersohn in Münnerstadt gefunden. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, der Not gehorchend und absolut nicht von Selbstzweifeln geplagt, schuf er hier sein einziges malerisches Werk.
Seine vierteilige Kilians-Historie hat er nicht als brave Schilderung angelegt. Kompositorisch wie in einer blutrünstigen Graphic Novel unserer Tage lässt er das Personal, dramatisch inszeniert, dichtgedrängt in dynamischer Bewegung und stark an den vorderen Bildrand gerückt, in perspektivisch gewagten, vielleicht auch aus Unvermögen vage arrangierten Räumen agieren.
Reicher Fundus an Foltergerätschaften
Prachtvolle Gewänder, expressive Gestik und Mimik belegen Lug und Trug, Mord und Totschlag im fränkischen Fürstenhaus. Bischof Kilian, unerschrockener Mahner gottesfürchtiger Sittlichkeit, wird, angestiftet von der sündigen Herzogin, umgebracht – und hundert Jahre später heiliggesprochen.
Das Bayerische Nationalmuseum hat die Ausstellung aus seinem reichhaltigen Fundus mit anschaulichem Foltergerät, mit Richtschwert, Schmuck, Textilien und Skulpturen ergänzt; am schönsten der bronzene „Astbrecher“ des Nürnberger Künstlerkollegen Adam Kraft von 1490.
Es ist, wohl heutigen Aufmerksamkeitsstrategien entsprechend, schon ein bisschen weit hergeholt, das zu keiner Zeit gemeinsame Schaffen der beiden Ausnahmekünstler am Münnerstädter Altar an Stoß’ Verfehlung festzumachen. Die einigermaßen überschwängliche, auch grobe – aber sehr eindrucksvolle – Bildhauermalerei hat ohnehin nicht viel mit dem feinsinnigen Naturell der charakteristisch introvertierten, inzwischen wieder holzsichtigen Figuren Riemenschneiders gemein.
Veit Stoß erledigte seinen Auftrag mit großer Lust am drastischen Ausdruck und ohne sich weiter um harmonische Korrespondenz mit dem Werk des Kollegen zu bemühen. Er war, wie zeitgenössische Quellen belegen, ein ruppiger Kerl, geldgierig, ein notorisch Betroffener vor Gericht – und ein genialer Künstler. Das eine schließt das andere weder aus noch ein. Jede heute gern geführte diesbezügliche Debatte ist schlicht müßig.
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