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Bauernverband und MassentierhaltungHilses Abwehrkräfte schwinden

Auf die Ärzte-Initiative gegen Massentierhaltung reagiert Niedersachsens Bauern-Boss Werner Hilse mit Ablenkungsmanövern.

Die Proteste gegen die Vergabe von Antibiotika sind alt - vielleicht finden sie mehr Gehör, wenn sich auch die Bauern davon bedroht fühlen. Bild: dpa

BREMEN taz | Als in der Woche vor Pfingsten eine Gruppe anerkannter Infektiologen und Hygiene-Ärzte in Hannover die bundesweite „Ärzte-Initiative gegen Massentierhaltung“ vorstellte, hätten die Bauern und ihre Interessenvertreter alarmiert sein müssen: Sie sind zu allererst gefährdet durch den Vormarsch antibiotikaresistenter Keime.

Aber statt einer besorgten Nachfrage, wie man sich denn schützen könne, kam bloß eine motzige Erklärung von Werner Hilse: Der ist Vorsitzender des Landvolks, wie der Bauernverband in Niedersachsen heißt, und er forderte, jeder solle „vor seiner eigenen Tür kehren“. Doch der Versuch, vom Thema abzulenken, ist höchst fahrlässig. Schließlich hat gerade erst der Chef der Weltgesundheitsorganisation, Keiji Fukuda, zu „schnellem und koordiniertem Handeln“ gegen Antibiotikaresistenzen aufgerufen. Sonst bewege sich „die Welt in eine postantibiotische Ära, in der gewöhnliche Infektionen wieder tödlich sein können“.

Das aber betrifft zu allererst die Mitglieder des Landvolks. Denn: Die Nasenschleimhäute von Schweinehaltern sind laut „MedVet-Staph“, dem vom Bundeswissenschaftsministerium initiierten Forschungsverbund, „bis zu 77 Prozent“ mit dem MRSA-Erreger besiedelt, und laut Robert Koch-Institut haben „Menschen mit direktem Tierkontakt ein 138-fach erhöhtes Risiko eine MRSA-Besiedlung zu erwerben als nicht Exponierte im gleichen Umfeld“.

Langwierige Therapien

Zwar ist eine MRSA-Besiedlung an sich keine Krankheit. Aber: Selbst ein Kratzer kann, MRSA-infiziert, zum ernsten gesundheitlichen Problem werden, das lange Therapien, den Verlust betroffener Gliedmaßen und Schlimmeres nach sich zieht. Erschreckend an Hilses Erklärung ist ihre Ignoranz: statt sich um die Gesundheit der Verbandsmitglieder seines Verbands zu sorgen, verwahrt sich der Bauernboss vor allem „gegen eine Differenzierung der Landwirtschaft in ’groß‘ und ’klein‘“.

Dabei ist der Zusammenhang zwischen Resistenz, Tierstückzahl und Haltungsform empirisch belegt: Eine Mikrobiologen-Gruppe hatte schon 2011 das Fehlen der besorgniserregenden Keime in tiergerechten Haltungssystemen festgestellt. In der Vorgänger-Untersuchung hatte dasselbe Team Besiedlungswerte nahe 100 Prozent in „konventionellen“ Betrieben nachgewiesen.

Irreführend ist vor diesem Hintergrund Hilses Hinweis auf „Studien britischer Wissenschaftler“. Vermutlich ist es eine einzige. Anfang des Jahres sorgte die Fehlinterpretation einer vom Mikrobiologen Guanghui Wu koordinierten Untersuchung in Schweinehalterforen für ein großes Hallo. Sie beschäftigt sich, anders als Hilse offenbar glaubt, nicht mit sämtlichen resistenten Keimen, sondern nur mit einem: Escherichia coli des Resistenztyps eSBL – also Bakterien, die ein viele Antibiotika aushebelndes Enzym bilden.

Fragwürdige Studie

Allerdings hat Wu nur sehr wenige Tier-Isolate aus einem mit vier Jahren vergleichsweise großen Zeitraum gesammelt. Basis der Untersuchung sind Proben von 35 Puten – (drei davon vom Kontinent), 157 Hühnern (fast alle aus den Niederlanden) und insgesamt 17 Schweinen (davon eins britisch). Verglichen wurde mit 274 Menschen-Isolaten, mehrheitlich aus dem UK. Starke Mensch-Tier-Übereinstimmungen hat er nur bei 1,2 Prozent gefunden.

Das mag am Design liegen: Die allein auf die Niederlande und den Vergleich von erkrankten Menschen und Geflügel fokussierte Untersuchung der Mikrobiologin Maurine Leverstein-van Hall hatte bei 516 menschlichen und 98 tierischen Proben aus einem Dreimonats-Zeitraum eine Übereinstimmung von 35 Prozent der menschlichen mit den tierischen Erregerstämmen gezeigt. In einem noch breiteren Rahmen hat den Zusammenhang gleichzeitig die Medizinerin Ilse Overdevest in ihrer Dissertation untersucht - mit ähnlichen Ergebnissen.

Trotzdem bleibt wahr, dass Doktor Wuss Stichproben-Ergebnisse wie er selbst schreibt "nahe legen (suggest), dass das Wichtigste , um die Ausbreitung von ESBL-positiven E.coli unter Menschen unter Kontrolle zu bringen, derzeit die Minimierung der Mensch-zu-Mensch-Übertragung" ist. Das allerdings ist schon seit Jahren weltweit Lehrmeinung.

Recht hat Hilse, wenn er betont, dass die Verordnung von Antibiotika allein Sache von Ärzten ist. „In der Landwirtschaft werden Antibiotika nicht prophylaktisch eingesetzt, sondern ausschließlich auf Anordnung eines Tierarztes zur Behandlung kranker Tiere“, hat er klargestellt. Der Medikamenteneinsatz werde damit „auf Notfälle“ begrenzt.

Das ist indes nicht beruhigend. Denn die Vergabe erlaubt - ganz im Sinne des von Thomas G. Blaha und seinen Promovenden bereits 2006 am Versuchsgut der Tierärztlichen Hochschule Hannover für die Schweine-Haltung entwickelten Tierbehandlungsindex - Rückschlüsse auf die Morbidität der Tiere. Sprich: Im Postleitzahlen-Bereich 49 – also von Osnabrück bis Haren und zwischen Meppen und Lohne – leben nicht nur sehr viele, sondern vor allem sehr kranke Tiere.

Tiermedizinischer Notfall

Denen wurden laut dem im April vom Bundesamt für Gesundheit vorgelegten „Bericht über den Antibiotikaverbrauch“ allein 2012 bis zu 800.000 Kilo Antibiotika verabreicht, das entspricht rund 90 Kilo stündlich.

Das ist ein schlagender Beweis dafür, dass Kurzmastbroiler krank werden, wenn bis zu 28 Tiere auf einem Quadratmeter eingequetscht werden. Und dass diese Enge jede Krankheit zur Stall-internen Epidemie avancieren lässt, ist klar: Das Emsland ist, nach der Analyse der Landvolk-Chefs, ein einziger tiermedizinischer Notfall. Gut, dass er das endlich einsieht.

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9 Kommentare

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  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Wie wärs mal mit Verantwortung übernehmen- für SICH und seine Umwelt.

    Nicht bei jedem banalen Infekt zum Hausarzt gehen , wenig -bis garkein Fleisch essen. Hm?

     

    Man muss sich mal langsam von dem Märchen verabschieden Fleisch sei ein Stück Lebenskraft

    • @9076 (Profil gelöscht):

      Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich bei jedem Wehwehchen gleich zum Arzt renne, viel Fleisch esse und keine Verantwortung für mich und meine Umwelt übernehme? Kennen wir uns? Ich bitte doch darum, nicht so voreingenommen zu sein!

      • 9G
        9076 (Profil gelöscht)
        @SaLo66:

        Ich kenne sie doch garnicht und meinte sie auch garnicht. Sorry wenn es so rüber kam.

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    "Ich persönlich habe Sorge, schon wieder ein Antibiotikum gegen einen Vireninfekt verschrieben zu bekommen. "

     

    Wechseln sie den Hausarzt!

    • @9076 (Profil gelöscht):

      Alles klar. Schönen Tag noch.

  • Zur AB-Resistenz ein Facebook-Kommentar von Detlef Steinert, Chefredakteur dlz-Agrarmagazin, den er am 6.6. beim ZDF gepostet hat. Er bezieht sich auf den Beitrag vom 4.6.: „Gefahr aus dem Stall. Tödliche Keime – machtlose Politik“. (…) Teil 2: ...

    2. verweise ich auf eine Pressekonferenz in dieser Woche in Hannover. Dort hat sich ein Aktionsbündnis gegen Massentierhaltung vorgestellt. In der anschließenden Fragerunde hat der Federführende, ein Humanmediziner, eingeräumt, dass bei Weitem die meisten Antibiotikaresistenzen andernorts entstehen als in Nutztierbeständen, sondern z.B. bei unsachgemäßer Anwendung im häuslichen Bereich, siehe oben, oder infolge mangelnder Befolgung von Hygieneregelungen im Krankenhaus. Bei dem Gespräch, dass zur Kurzfassung des Beitrages bei Volle Kanne stattfand, hat der anwesende Wissenschaftsjournalist, wie ich finde, daher auch zurecht gerade gerückt, dass dies auch keine Frage kleiner oder großer Tierbestände ist.sind) - in ihrem Beitrag an keiner Stelle erfährt, dass auf Mengenbasis der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin den in der Tiermedizin um Längen übersteigt.“ (…)

  • Zur AB-Resistenz ein Facebook-Kommentar von Detlef Steinert, Chefredakteur dlz-Agrarmagazin, den er am 6.6. beim ZDF gepostet hat. Er bezieht sich auf den Beitrag vom 4.6.: „Gefahr aus dem Stall. Tödliche Keime – machtlose Politik“. (…) Teil 1:

    „1. es ist richtig, dass in der Tiermedizin Antibiotika in ähnlicher Höhe eingesetzt werden wie von Ihnen angeführt. Richtig ist aber auch, dass ein Großteil davon nicht in Nutztierbeständen, sondern im Heimtierbereich eingesetzt werden. Richtig ist zudem, dass man - vergleicht man nur auf Massenbasis, was eh schon die wichtigere Facette Wirksamkeit pro Volumeneinheit unberücksichtigt lässt (die ist bei Humanantibiotika um ein Vielfaches höher als bei Tieren Angewendeten; und damit auch das Risiko von Resistenzbildungen bei unsachgemäßer Anwendung, etwa zu frühes Absetzen als vom Arzt verordnet, weil sich Mensch schon besser fühlt, obwohl nach wie vor Keime in seinem Organismus am Werk sind) - in ihrem Beitrag an keiner Stelle erfährt, dass auf Mengenbasis der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin den in der Tiermedizin um Längen übersteigt.

    • @SaLo66:

      "...in ihrem Beitrag an keiner Stelle erfährt, dass auf Mengenbasis der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin den in der Tiermedizin um Längen übersteigt."

       

      Ach ja? Nach den Daten, die ich gefunden habe, lag der Verbrauch in der Humanmedizin 2010 bei ca. 1400t, und in der Tierhaltung bei ca. 900t. Also gingen 60% der AB in die Humanmedizin und 40% in die Tiermedizin. "Um Längen mehr" is wohl was anderes.

       

      Quelle: http://tinyurl.com/abvergleich

  • Verehrte taz-Redaktion, ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass Eure Abwehrkräfte schwinden. Denn wenn man über Antibiotikaresistenzen redet, ist es – auch im Sinne einer langfristigen Problemlösung – fahrlässig, sich auf die Massentierhaltung zu beschränken.

    Ganz abgesehen davon, dass es mit Blick auf eine unvoreingenommene Berichterstattung einen unguten Eindruck hinterlässt: Ich frage mich, warum Sie die Rolle der Humanmedizin außen vor lassen? In Deutschland werden übermäßig viel Antibiotika verschrieben und eingenommen. Und wie ist das mit dem Problemfeld Krankenhaushygiene? Man hätte vielleicht einen Blick in die Niederlande werfen können, die die Keiminfektionen sehr gut in Griff bekommen haben. Eines kann ich Ihnen sagen: Deutschlands Bauern haben zu Recht mehr Angst vor einem längeren Krankenhausaufenthalt als vor ihren Tieren. Ich persönlich habe Sorge, schon wieder ein Antibiotikum gegen einen Vireninfekt verschrieben zu bekommen.

    Darüber hinaus bringen Menschen Keime aus dem Urlaub mit oder sie werden von Haustieren übertragen. Keime finden sich auf (Bio-) Fleisch, Obst und Gemüse. Es gäbe sehr viel zum Thema zu sagen, denn: Es ist komplex! Nun denn, das Einprügeln auf die Massentierhaltung ist schick, und die einseitige Berichterstattung in den Medien (NDR, ZDF, Zeit online etc.) zu Antibiotikaresistenzen eine der – vielen – Blüten. Denn daneben hat die Massentierhaltung ja auch schon Schuld am Klimawandel und dem Hunger in der Welt. Unter anderem. Schön, wenn ein Sündenbock für alle Fälle das Leben einfach macht, nicht wahr? ;-)