Bauernproteste in den Niederlanden: Lauter und radikaler

In den Niederlanden demonstrieren Landwirte mit Blockaden, Supermarktregale bleiben leer. Dabei gibt es Überschneidungen mit „Coronaleugnern“.

Menschen und Traktoren stehen auf einer Straße

Bauern blockieren am 4. Juli die Straßen in Amsterdam Foto: Peter Dejong/ap

AMSTERDAM taz | Blockierte Logistikzentren von Supermärkten überall im Land, leere Regale in der Frischwarenabteilung, Millionenschäden für die Supermarktketten: Die Bauernproteste in den Niederlanden haben mit mehrtägigen Aktionen zu Wochenbeginn eine neue Stufe erreicht. Bei einer Kundgebung auf dem Dam-Platz mitten in Amsterdam stand auf einem Transparent zu lesen: „Der Krieg ist begonnen, und wir gewinnen.“

Landesweit wurden zahlreiche Demonstranten festgenommen. Im friesischen Heerenveen lief die Räumung einer Blockade so aus der Ruder, dass drei Bauern unter Verdacht auf versuchten Totschlag festgenommen wurden und die Polizei gezielt auf einen Traktor schoss.

Natürlich stehen längst nicht alle protestierenden Landwirte hinter dieser Gewalt. Doch ein Ende der Aktionen ist derzeit nicht abzusehen. Sollte die Regierung ihre Pläne zur Reduzierung von Stickstoffemissionen weiterverfolgen, werde man „mehr leere Regale sehen“, zitierte das Algemeen Dagblad die Bäuerin Sanne Ezendam und ihren Kollegen Koos Cromwijk, die am Montag in Utrecht eine Pressekonferenz gaben. Die jüngsten Aktionen seien „nur eine Warnung“, hieß es weiter.

Der ehemalige Minister Johan Remkes soll in dem Konflikt vermitteln und im August einen Dia­log mit den Landwirten starten. Die sehen die Benennung Remkes skeptisch und fordern die Rücknahme der Regierungspläne, die Stickstoffemissionen bis 2030 zu halbieren.

In den Niederlanden sind die Emissionen mehr als dreimal so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Einer Studie aus 2019 zufolge ist die Landwirtschaft mit 61 Prozent die wichtigste Quelle. Um die Reduzierung der Stickstoffemissionen sollen sich im Detail die jeweiligen Provinzen kümmern.

Radikale Rhetorik bei Protesten

Hinter den Protesten, die seit Ende Juni anhalten, steckt jedoch wesentlich mehr. Auch die sogenannten Freedom Convoys mischen mit. Diese protestierten seit dem Spätwinter in Kanada gegen Maßnahmen in der Coronapandemie und fanden auch im den Niederlanden Nachahmer.

Rhetorische und symbolische Überschneidungen gab es schon vorher: die Selbststilisierung als Freiheitskämpfer, der Fake-News-Vorwurf gegen die Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks NOS oder die umgedrehte niederländische Flagge. In diesem Sommer flattert sie bei Protestaktionen an zahlreichen Traktoren, in An­lehnung an einen alten Brauch aus der niederländischen Seefahrt, mit dem die Bemannung ausdrücken wollte: „Blau, weiß, rot, Schiff in Not.“

Heutzutage bezieht sich die vermeintliche Notlage aus Sicht der Demonstrierenden auf den Zustand des ganzen Landes. In einem Aufruf im Nachrichtendienst Telegram am Montag hieß es: „Dies ist der Moment, in dem du alles verändern kannst. Unsere Autonomie und Freiheit steht auf dem Spiel. Dies hat nicht nur mit den Bauern zu tun, es geht um so viel mehr.“ Als stolzes Volk wolle man Widerstand leisten gegen alles, was nicht stimme in diesem Land. „Lass den niederländischen Löwen in dir brüllen wie noch nie zuvor.“

Ein zentraler Akteur der Proteste ist die sogenannte Farmers Defence Force, die mit ihrer radikalen Rhetorik weit über die traditionellen Agrarverbände hinausgeht. Der Vorsitzende Mark van den Oever fiel bereits vor Jahren damit auf, dass er die Situation der Bauern mit jener der Juden während des Zweiten Weltkriegs verglich. Ihr Logo, die zwei gekreuzten Mistgabeln, taucht überall auf den Demonstrationen auf. Organisiert habe man die jüngsten Blockaden freilich nicht, betont die Organisation.

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