Bau­ar­bei­te­r*in­nen auf der Zinne: Zuckerwatte gegen den Tariffrust

Die Baubranche boomt – die Beschäftigten wollen auch davon profitieren. Am Samstag protestierten in Osnabrück Bau­ar­bei­te­r*in­nen.

Zwei Bauarbeiter entfernen auf einer Autobahn Fugenmaterial aus der Fahrbahn

Wie weit die Anfahrt zur Baustelle ist, interessiert viele Ar­beit­ge­be­r*in­nen nicht Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

OSNABRÜCK taz | Auf dem Platz vor dem Osnabrücker DGB-Haus wuchtet ein bronzener „Stahlarbeiter“ mit nacktem Oberkörper eine gewaltige Kurbelwelle über den Boden. Die pathetische Klassenkampf-Kunst von Tud Majores ist die perfekte Kulisse für den Protest, den Bau­ar­bei­te­r*in­nen aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg hier am vergangenen Samstag auf die Straße getragen haben.

Laut Polizei sind es in Osnabrück rund 500 Menschen, die gegen das Stocken der Tarifverhandlungen für die bundesweit knapp 900.000 Beschäftigten der Baubranche demonstrieren. Mit Kompressor-Fanfaren und Trillerpfeifen, Fahnen und schwarzen T-Shirts mit „Hard Working Heroes since 3.000 B.C.“ auf der Brust. Viele kamen in Warnweste, manche demonstrativ in Firmenkleidung, einige in Zunftkluft.

Olaf Cramm, Gewerkschaftssekretär des DGB in der Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, nickt zufrieden: „Geil!“, sagt er und lässt den Blick über die Menge schweifen. „Super Resonanz dafür, dass Ferienzeit ist. Und Wochenende.“ Pause. Blick nach oben. „Und Regen!“ Später, auf der Bühne, als Redner, wird er davon sprechen, dass es jetzt gilt, „zu zeigen, wo der Hammer hängt“.

Die Kundgebung in Osnabrück ist Teil eines bundesweiten Aktionstages zur aktuellen Bau-Tarifrunde, und im Grunde ist sie ein Familienevent. Links neben der Bühne ragt eine gewaltige Hüpf- und Kletterburg auf, und wenn die Kids richtig toben, kommt selbst der Aufblaskran, ganz oben, gehörig ins Wanken. Es gibt Pommes und Zuckerwatte. Zwischendrin spielen zwei Gitarristen ausgerechnet „Let It Be“ von den Beatles.

Die letzte Verhandlung ist Monate her

Lass es gut sein? Hauptredner Carsten Burckhardt, Mitglied im IG-BAU-Bundesvorstand und Verhandlungsführer im Tarifstreit, ruft zum Gegenteil auf. „Das hier ist der Auftakt für einen heißen Herbst!“, ruft er in die Menge. Burckhardt geht mit der Arbeitgeberseite hart ins Gericht. Sie blockiere die Verhandlungen für einen neuen Tarifvertrag. Frech sei das, respektlos. An Gerechtigkeitsfragen sei sie nicht interessiert, nur an Profitmaximierung. Burckhardt mag es markig. Einmal sagt er: „Manchmal kann man gar nicht so viel essen, wie man kotzen muss!“

Konkret geht es um 5,3 Prozent mehr Lohn, Gehalt und Ausbildungsvergütung für die Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Die Beschäftigten fordern zudem höhere Entschädigungen für die oft stundenlangen Fahrten zur Baustelle. Und es geht um Westlöhne auch im Osten. Die erste Verhandlungsrunde ist schon drei Monate her. Ende August soll in Berlin weiterverhandelt werden– und das ist dringend nötig: Der Tarifvertrag im Bauhauptgewerbe ist schon am 30. Juni ausgelaufen.

Die Arbeitgeberseite hatte in der ersten Runde ein Angebot vorgelegt, danach waren die Gespräche zeitweise abgebrochen. Ende Juli hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Fahrplan für die weiteren Verhandlungen bei den Bau-Tarifen vereinbart. „Wir sind zuversichtlich, dass wir in den kommenden Runden bis Ende September eine Einigung erzielen können“, hatte Jutta Beeke, Vizepräsidentin des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie zuletzt mitgeteilt.

„Konstruktive Verhandlungen? Ja!“, ruft Burckhardt auf der Bühne. „Verarschung? Nein!“ Denn eigentlich – sieht man von der weltweiten Materialknappheit ab, die manche Unternehmen trotz voller Auftragsbücher in die Kurzarbeit zwingt – geht es der Baubranche gut. „In Niedersachsen und im gesamten Norden laufen die Arbeiten auf den Baustellen trotz der Pandemie nach wie vor auf Hochtouren“, sagt der niedersächsische IG-BAU-Regionalleiter Eckhard Stoermer. Von den Profiten dieser guten Auftragslage müsse nun auch etwas bei den Beschäftigten ankommen.

Nicht alle Un­ter­neh­me­r*in­nen halten es so: In der Vergangenheit hat die Gewerkschaft immer wieder auch strengere Maßnahmen und mehr Kontrollen gegen Mindestlohn-Betrug gefordert. Dabei geht es um tausende Angestellte. Laut Bundesfinanzministerium leitete die Finanzkontrolle Schwarzarbeit 2020 bundesweit 4.220 Ermittlungsverfahren wegen Mindestlohnverstößen ein. In Niedersachsen deckte der Zoll 247 Fälle auf. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Tarifmauer aus Kartons

In Osnabrück aber geht es vor allem um den neuen Tarifvertrag. Und umso länger der Aktionstag dauert, desto mehr starke Sprüche sind zu hören. Dass, wer Wind sät, Sturm erntet. Dass, wer seine Knochen hinhält, Anerkennung verdient. Auch eine Anspielung auf das Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins fällt, 150 Jahre alt, von Georg Herwegh, dem revolutionären Dichter: „Wenn Dein starker Arm es will, stehn auch alle Bagger still!“

Eine „Tarifmauer“ aus schwarz gestrichenen Umzugskartons, die ein Performance-Trupp zum Einsturz bringt, sorgt für unfreiwillige Lacher. Bei den Buchstabenschildern, die dahinter „Wir sind es wert!“ ergeben sollen, ist die Reihenfolge vertauscht – Rätselraten setzt ein.

Aber das macht nichts, denn der Rest der Aktion ist stimmig. Der nach einem der Begründer der deutschen Sozialdemokratie benannte August-Bebel-Platz ist in Rot getaucht: Rote Pavillions, rote Fahnen, rote Basecaps. Ein gewaltiges CDU-Wahlplakat wird mit rotem Tuch verhängt, die Laternenplakate zur Kommunalwahl von SPD und FDP für die Fotos weggedreht.

Apropos Parteien: Um ihre Solidarität zu bekunden, kommen am Samstag auch die örtlichen Linken vorbei. Und sie scheinen schon zu ahnen, wie die Tarifverhandlungen ausgehen: Man wünsche „weiterhin Mut für einen erfolgreichen Streik“ erklären sie. Heidi Reichinnek, ihre Bundestags-Kandidatin, hat eine Öko-Jutetasche voller Gebäck dabei. Nervennahrung für die Leute vom Bau.

(Mit Material der dpa)

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