piwik no script img

Bauarbeiten im Nord-Süd-TunnelEinmal außenrum statt unten durch

Die S-Bahn sperrt bis Anfang Mai den Nord-Süd-Tunnel und schickt 100.000 Menschen auf Umwege. Von der Nutzung der Ersatzbusse wird abgeraten.

Hier wird jetzt wieder in die Hände gespuckt: S-Bahn-Tunnel. Bild: dpa

„Ab durch die Mitte“ – ab Donnerstagabend, 22 Uhr, ist das kein sehr brauchbares Motto mehr, wenn man mit der Berliner S-Bahn von Norden nach Süden oder in der Gegenrichtung unterwegs ist. Denn der Nord-Süd-Tunnel ist bis zum 4. Mai zwischen den Bahnhöfen Gesundbrunnen und Yorckstraße wegen Bauarbeiten komplett gesperrt. Wer die Stadt gewohnheitsmäßig auf den Linien S1, S2 oder S25 durchkreuzt, muss nach Alternativen suchen.

Laut der Deutschen Bahn (DB) sind die Gleisanlagen im Tunnel stark abgenutzt und müssen ausgetauscht werden. Zwischen Anhalter und Nordbahnhof hatte man schon im vergangenen Jahr die Schienen gewechselt, diesmal geht es um insgesamt 17 Weichen, 4 Kilometer Gleise, 10 Kilometer Stromschienen und 14 Kilometer Energiekabel. Außerdem werden einige Bahnhöfe und die gesamte Zugsicherungstechnik modernisiert. Auch Smartphone-Nutzer profitieren: Die Stationen erhalten die technischen Voraussetzungen für den LTE-Standard. Rund 12 Millionen Euro veranschlagt die DB für alle Maßnahmen.

Zum Glück nicht alternativlos: der gesperrte Nord-Süd-Tunnel. Bild: Infotext

Die rund 100.000 Menschen, die Tag für Tag im Nord-Süd-Tunnel unterwegs sind, müssen sich für dreieinhalb Monate umorientieren. Zwar wird auf zwei Teilstrecken (Gesundbrunnen–Friedrichstraße und Friedrichstraße–Yorckstraße) Bus-Ersatzverkehr eingerichtet, aber die Bahn selbst warnt vor „Staubildung und entsprechenden Fahrzeitverlusten“. Allen, die die Innenstadt auf ihrem Weg nur passieren, wird empfohlen, auf die Ringbahn auszuweichen.

Hier lohnt sich das Studium des Schienennetzes: Während die Südstrecken zwischen den beiden Yorckstraßen-Bahnhöfen und den Endstationen Wannsee (S1), Blankenfelde (S2) sowie Teltow-Stadt (S25) unverändert bleiben und die S1 auch im Norden weiter zwischen Gesundbrunnen und Oranienburg verkehrt, werden die Nord-Äste der S2 und S25 aufgehoben und mit Ringbahnlinien fusioniert: Die S8 fährt statt der S25 nach Hennigsdorf, die S85 dreht nach Osten ab und endet auf der Stammstrecke der S2 in Buch, die S9 schafft es bis zum S2-Endpunkt Bernau. Dagegen übernimmt die S45 den nördlichen Abschnitt der S8 nach Birkenwerder. Unkompliziert ist anders.

Hash mich, ich bin die BVG!

Einfach köstlich (bzw. lol): Die BVG hat am Montag eine Kampagne gestartet, bei der Nutzer unter dem Hashtag #WeilWirDichLieben ihre schönsten Beförderungserlebnisse twittern sollen. Die Zahl der Tweets ist längst vierstellig - nur handelt es sich in den meisten Fällen um beißenden Spott.

Das wird sicher sehr unterhaltsam heute, twitterte ein Nutzer kurz nach Kampagnenstart, und wenige Stunden später konnte ein anderer mit vollem Recht behaupten: Der Shitstormzug fährt ab auf Hashtag #weilwirdichlieben. Wie wahr: Wer hindurchscrollt, erfährt viel über defekte Automaten, unverfrorene Busfahrer, Bahnen, die nicht fahren, und Beförderungsbedingungen, die alles sind, nur nicht im Sinne der Fahrgäste.

Die Kritik reicht von Ä wie Ästhetik (die perspektivisch falschen Brandenburger Törchen auf dem U-Bahn-Fenster) über P wie Politik (Mit einer Finanzwette haben die Berliner Verkehrsbetriebe 150 Millionen verloren - verlinkt wird ein taz-Artikel) bis Z wie Zieht sich (#WeilWirDichLieben sorgen wir dafür, dass dein Handy in der U-Bahn fast nirgendwo online gehen kann. Und wenn, dann im Schneckentempo.) Manches ist sachlich falsch, vieles erscheint übertrieben, aber das Stimmungsbild ist eindeutig.

Ein Eigentweet der BVG vom Donnerstagnachmittag lässt vermuten, dass das Unternehmen in heller Aufregung einen PR-Profi gesucht hat, der rettet, was zu retten ist. Das Ergebnis ist gar nicht so übel: Ich bin 86 und habe keine Ahnung von Twitter, Hashtags oder Social Media. Aber ich kann 2,6 Mio. Fahrgäste pro Tag befördern.

Zum Glück gibt es noch die BVG und deren Nord-Süd-Linien U6, U8 und U9 – wobei das Unternehmen bereits vor vollen Zügen warnt und die zusätzlichen Massen lieber auf den S-Bahn-Ring schicken würde. Fahrplan-Tüftler können zwischen Südkreuz, Potsdamer Platz, Hauptbahnhof und Gesundbrunnen auch Regionalexpress und -bahn nutzen: Hier gelten die normalen Tickets des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) – allein, die Züge fahren nicht allzu häufig und vor allem nicht im verlässlichen S-Bahn-Takt.

„Wat mutt, dat mutt“

Der Fahrgastverband IGEB bemängelt, dass ausgerechnet zu Beginn der S-Bahn-Sperrung auch die BVG zwei ihrer Linien unterbricht: Am Wochenende (17./18. Januar) fahren auf der U6 zwischen Halleschem Tor und Platz der Luftbrücke sowie auf der U7 zwischen Möckernbrücke und Hermannplatz keine Züge. „So etwas sollte man unbedingt entzerren“, sagt IGEB-Sprecher Jens Wieseke. Erfreulich findet er aber, dass alle Baumaßnahmen jetzt zusammengefasst wurden – anderenfalls hätte es 2016 schon wieder Sperrungen geben müssen. Denn „wat mutt, dat mutt“, so Wieseke. „Der Nord-Süd-Tunnel ist technisch ein sehr ambitioniertes Bauwerk, das in dieser Form in Deutschland nie wieder gebaut würde.“ Extrem enge Kurvenradien sorgten in der in den 1930-Jahren gebauten Anlage für einen vergleichsweise schnellen Verschleiß der Schienentechnik.

Bei den Ausweichoptionen müssen die S-Bahn-Kunden laut Wieseke auslöffeln, was ihnen die Leitungsebene der S-Bahn in den Nuller-Jahren eingebrockt habe, als sie ausgemusterte Züge alter Baureihen verschrotten ließ: „Für einen dichteren Betrieb auf der Ringbahn etwa gibt es keinen Puffer mehr“, weiß der IGEB-Sprecher. Man könne nur warten, bis ab 2020 die neuen Verkehrsverträge für die Linien S41, S42, S46, S47 und S8 in Kraft treten. Für die muss der noch zu bestimmende Betreiber rund 400 neue Wagen anschaffen.

Alle Infos:

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!