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Ballhaus Naunynstraße in BerlinJenseits weißer Definitionsmacht

Das Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg ist zu einem Theater für internationale People of Color und Schwarze Deutsche geworden.

Wagner Carvalho, Intendant des Ballhaus Naunynstraße Foto: David Baltzer/Ballhaus Naunynstraße

„Rassismus ist wie die Schwerkraft, sie zieht dich runter, sie fesselt dich am Boden. Die Herausforderung ist, dagegen anzuwachsen.“ Die Kraft seines Körpers, die Stärke seiner Knochen, die Schnelligkeit seiner Beine, die Raphael Hillebrand zu einem berühmten Hiphop-Tänzer und Choreografen machten, beschreibt er in seiner autobiografischen Performance „Auf meinen Schultern“ als gewachsenen Widerstand gegen die Demütigungen, die sich während seiner Schulzeit in Berlin nach und nach in seinen Alltag drängten. Erst als B-Boy fand er die Anerkennung und Zugehörigkeit, die ihm fehlte.

Der Tanz explodiert zwischen den Sätzen seiner Erzählung über Ausschluss und Einsamkeit wie ein Feuerwerk. Hille­brand breitet seine Geschichte, allein begleitet vom brasilianischen Cellisten Eurico Ferreira Mathias, auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg aus und blättert dabei durch das Fotoalbum der Familie. Er ist in Hongkong geboren, Sohn einer deutschen Mutter, und aufgewachsen in Berlin.

Heute, mit 37 Jahren, erzählt er seine Lebensgeschichte für seine kleine Tochter. Dass er einen schwarzen Vater hatte, hat ihm seine alleinerziehende Mutter erst sehr spät offenbart. Warum und was das für ihn bedeutet haben kann, muss man selbst erraten. Aber dass sein Bedürfnis, den Wegen und Irrwegen seiner Selbstfindung nachzuspüren, damit zu tun hat, liegt nahe.

Mit „Auf meinen Schultern“ hat die neue Spielzeit am Ballhaus Naunynstraße in Berlin begonnen. Das kleine Hinterhoftheater, das 2008 von Shermin Langhoff als erstes Theater mit einer postmigrantischen Programmatik eröffnet wurde, hat sich unter der Leitung von Wagner Carvalho seit 2012 schwarzen und postkolonialen Per­spektiven zugewandt. Man kann es zur Zeit das einzige schwarze deutsche Theater nennen.

Der Look einer Community

Die Pressekonferenz zum Beginn der Spielzeit dauerte mehr als zwei Stunden. 13 Projekte wurden von den Künstler*Innen vorgestellt, auf dem Podium oder per Video, oft mit mehreren aus ihrem Team. Zu erleben waren fast durchweg junge, akademisch gut ausgebildete und gut vernetzte Forscher- und Künstler*innen, in der Mehrzahl internationale People of Color und Schwarze Deutsche. Zusammen geben sie dem Theater den Look einer Community, deren Selbstbewusstsein sich jenseits weißer Definitionsmacht gebildet hat.

Von der großen Anstrengung, welche die Herstellung dieses Selbstverständnisses kostet, erzählen viele der Projekte. Dass das Ballhaus selbst auch ein Schutzraum vor dem Rassismus ist, den sie im Alltag erfahren, wie einige der Künstler*Innen und Intendant Wagner Carvalho auf dem Podium erzählten, wurde bei der Pressekonferenz sichtbar.

Viele können an diesem Haus beginnen, nach theatralen Formaten für das zu suchen, was sie erzählen wollen oder müssen. Wagner Carvalho konnte bei der Pressekonferenz oft mit Stolz darauf verweisen, dass dies bereits die zweite Arbeit einer Künstlerin an seinem Haus sei. Wie Magda Korsinsky, die Recherche und Wissensproduktion mit tänzerischen Formen verbindet. Sie arbeitet an einem neuen Stück, und ihre Performance „Stricken“ ist wieder zu sehen.

Sehr zart und vielleicht zu wenig aussagekräftig

„Stricken“ beruht auf Interviews mit schwarzen deutschen Frauen, deren deutsche Großmütter in der Zeit der Naziideologie groß geworden sind. Die emotionale Bindung der Interviewten an diese Großmütter, die ihnen als Kinder sehr nahe waren, wird in späteren Jahren auf eine harte Probe gestellt, wenn sie sich den Kontext der Zeitgeschichte vor Augen führen. Die durchweg interessanten Interviewausschnitte sieht man im Video, davor umsorgt eine ältere Tänzerin mit umarmenden Gesten ein junges Mädchen. Diese Übersetzung wirkte sehr zart und vielleicht zu wenig aussagekräftig im Verhältnis zu dem Interviewmaterial.

Toks Körner hat als Schauspieler am Ballhaus gearbeitet, 2017 gab er sein Debüt dort als Theaterautor, diesmal führt er selbst Regie bei einem von ihm geschriebenen Kammerspiel. In „Aesthetics of Color“ geht es um den Kampf eines Künstlers, der mit dem kommerziellen Erfolg seinen Körper, seine Seele und seine Identität verkauft sieht.

Wäre er anonym, gälte die Aufmerksamkeit seiner Kunst

Ein klassisches Drama, dessen Konflikt durch die Hautfarben verstärkt wird: Dass er schwarz ist und aus einem heruntergerockten Viertel an den alten Docks kommt, der windige Geschäftsmann aber, der ihm zwar ein großes Atelier spendiert, dann aber auf immer höhere Produktionszahlen drängt und ihm gar einen afrikanischen Style nahelegt, ein Weißer ist, verschärft die Spannungen.

Das Drama des Selbstverlustes

Wäre er anonym geblieben, so stellt sich der Maler (Jean-Phi­lippe Adabra) vor, hätte die Aufmerksamkeit allein seiner Kunst gegolten und nicht seiner Person, den Fragen nach seiner Herkunft. Er ist im Zwiespalt mit sich selbst, als er auf den Deal eingeht – eine Tänzerin, die ihren Körper unter große Spannung setzt, folgt seiner Figur und malt dabei mehr und mehr das Drama seines Selbstverlustes aus. Der weiße Geschäftsmann dagegen, von einem weißen Schauspieler (Johannes Suhm) gespielt, bleibt eine eindimensionale Karikatur des gierigen Kapitalisten.

Die Figur des Künstlers ist angelehnt an das Schicksal von Jean-Michel Basquiat. Was ihn dazu antreibt, sich überhaupt auf den Deal einzulassen, erschließt sich in Toks Körners Inszenierung nicht – vieles bleibt als Behauptung stehen. Dennoch, die politischen und sozialen Botschaften an diesem Theater sind so klar wie die Fragen, die sich die Künstler*Innen stellen, danach, wie Unterschiede produziert werden; allein die Ästhetik sucht noch ihre Form. Der Inhalt steht im Vordergrund und zeugt damit einmal mehr von dem Bedürfnis, dass diese Geschichten erzählt werden müssen.

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3 Kommentare

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  • realsatire ...

  • "Dass er einen schwarzen Vater hatte, hat ihm seine alleinerziehende Mutter erst sehr spät offenbart."

    Dieser Satz sorgt für Stirnrunzeln, weil man das ab einem gewissen Alter von selbst sieht. Ich meine, schon als Grundschüler müsste das einem bewusst werden. Es wäre interessant gewesen, welches Alter hier mit "erst sehr spät" gemeint ist, wenn der Sohn heute schon 37 ist.

    Aus meiner persönlichen Erfahrung gewinne ich den Eindruck, dass der Status "alleinerziehend" von Müttern aus afro-deutschen Beziehungen eher die Regel als die Ausnahme ist. Warum das so ist, wäre auch mal ein Artikel wert.

  • "Rassismus", "Weiße Definitionsmacht" ...



    Es heißt ja, man solle Haltung zeigen, weil eine Gesellschaft das braucht. Es wäre leicht einzustimmen und gemeinsam mit anderen gegen Rassismus anzugehen.

    Ich empfinde das nur inzwischen anders. Klar gibt es Rassismus und an dem Artikel und den geschilderten Schicksalen und Demütigungen ist sicher auch viel dran. Nur gibt es eben auch andere Seiten. In der Summe sehe ich nicht, was hier unsere Gesellschaft besser machen soll. Ich sehe eher entweder Leute, die sich ihren eigenen Verletzungen widmen, ohne an die Sicht anderer zu denken. Oder einfach eine neue Schicht an durchsetzungsstarken Alphatieren. Was daran jetzt besser sein soll als an den alten Alphatieren?