Uta Schleiermacher vermisst die Aussicht über den Bosporus
: In „Klein-Istanbul“ wird es laut

Berlin ist die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei, auch bekannt als Klein-Istanbul. Das hat verschiedene Gründe und ist teilweise quatsch, aber dazu später mehr. Erst mal bedeutet es, dass es sehr laut wird am Freitag, wenn die Männer-Fußballmannschaft der Türkei auf die der Niederlande trifft. 191.397 türkeistämmige Personen leben laut Amt für Statistik in Berlin. Türkeistämmig, nicht türkischstämmig, diese Unterscheidung ist wichtig: Denn die in Berlin als deutsch-türkisch oder mit einem türkischen Hintergrund zählenden Menschen identifizieren sich selbst zu einem nicht unerheblichen Teil ethnisch oder religiös als Kurd*innen, Ar­me­nie­r*in­nen, Alevit*innen.

Das Amt für Statistik hat sich ausgerechnet, wo das Fanpotenzial für die türkische Mannschaft besonders hoch ist. Laut ihrer Karte sind die Ballungszentren in Neukölln, Reinickendorf und Wedding, als „Top-Gegenden“ haben sie die Brunnenstraße, die Prinzenstraße und Gropiusstadt ausgemacht. Und noch eine Gegend wird wohl besonders auffallen, auch wenn dort nur neun türkische Staats­bür­ge­r*in­nen wohnen: das Olympiagelände. „Laut wird es hier wohl trotzdem“, kommentiert das Amt die eigene Karte.

Seit mehr als 300 Jahren leben Tür­k*in­nen und türkeistämmige Menschen in Berlin und das hat, wenig überraschend, historische Gründe. Während der Zeit der Gast­ar­bei­te­r*in­nen wanderten nach Berlin – genauer: Kreuzberg – auch viele junge Frauen aus der Türkei ein, die in Textil- und Elektrotechnikfabriken arbeiteten. Eine von ihnen war Emine Sevgi Özdamar, die ihre Erlebnisse in mehreren Romanen schildert.

Heute können sich nach Berlin reisende Tou­ris­t*in­nen oder Neuein­wan­de­re­r*­in­nen fast überall und in allen relevanten Bereichen auf Türkisch verständigen. Kulinarisch gilt Berlin als die einzige Stadt in Deutschland, in der es möglich ist, ähnlich gutes Essen zu finden wie in der Türkei. Doch eine Aussicht wie auf den Bosporus, die hat Berlin trotz zahlreicher, teils massig beworbener Rooftop-Bars, nicht zu bieten. Als Klein-Istanbul sollte sich diese Stadt also bei allem den Ber­li­ne­r*in­nen eigenem Größenwahn besser nicht bezeichnen.