piwik no script img

Ballbesoffen (3): Polen in BerlinLieber zu Hause schauen

Mit Kampfansagen halten sich polnische Fans zurück. Dabei ist die Partie gegen Österreich im Berliner Olympiastadion für beide Teams ein Endspiel.

Am Freitag wird das Olympiastadion nicht orange, sondern weiß-rot Foto: picture alliance/dpa | Jens Büttner

Berlin taz | „Polen steht vor der Schlacht mit Österreich“. Mit drastischen Worten stimmte Polens größter privater RadiosenderRMF24 seine Hörerschaft auf das zweite Gruppenspiel der „reprezentacja“, der polnischen Nationalmannschaft, bei der EM ein. Das Spiel, bei dem es für die Polen nach der Auftaktniederlage gegen Holland schon um alles oder nichts geht, findet am Freitag im Olympiastadion, keine anderthalb Autostunden von der Grenze entfernt statt.

Eine Schlacht mitten in Berlin? Unter Beteiligung polnischer Hooligans, die der Fanforscher Robert Claus neben Serben, Kroaten und Ungarn zu denen zählt, die äußerst gewaltbereit und rechtsextrem sind? Schrillen da in Berlin nicht die Alarmglocken?

Tatsächlich klingelt nicht einmal unmittelbar vor dem Aufeinandertreffen ein Glöckchen. Keine mahnenden Worte bei Innensenatorin Iris Spranger, kein erneuter Hinweis auf die Grenzkontrollen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD). Nicht einmal die Medien malen den Teufel an die Wand. Haben die polnischen „kibice“ (Fans) plötzlich Kreide gefressen?

Niedrige Erwartungen

Dass außer dem RMF24 viele auf martialische Auftritte verzichten, hängt auch von der Erwartungshaltung ab. Erst im Play-off gegen Wales, und da im Elfmeterschießen, hat sich die polnische Mannschaft für die EM qualifiziert. Auch der eigene Anhang traut dem Team nur bedingt Überraschungen zu. „Du findest niemanden in Polen, der sagt, dass das Nationalteam überragend spielt“, sagte Ex-Sportkoordinator Radosław Gilewicz kürzlich im Kicker.

Von einem Fanmarsch ins Olympiastadion war bis zuletzt keine Rede. Unklar ist auch, wie viele polnische Zuschauer den biało-czerwoni, den Weiß-Roten, vor Ort die Daumen drücken. Mehr als 100.000 Menschen mit polnischem Migrationshintergrund wohnen in Berlin, doch viele schauen zu Hause. „Die meisten Fans verabreden sich mit ihren Freunden in Privatwohnungen, in Schrebergärten, in Kneipen“, verriet Paweł Glapiński vom Polnischen Sozialrat dem Tagesspiegel. Nicht einmal der legendäre „Club der polnischen Versager“ bietet ein Public Viewing an.

Auch im Beitrag von RMF24 ist das mit der Schlacht nur auf das Match bezogen. „Das wird ein intensives Spiel“, zitiert der Sender den Spieler Bartosz Bereszyński. „Viele Fans glauben an uns. Trotz der Niederlage gegen die Niederlande herrscht eine gute Stimmung.“ Dann greift er in die Motivationskiste. „Die Tatsache, dass die Österreicher so viele Gelbe Karten haben, spielt uns in die Hände.“ Soll wohl heißen, die Österreicher könnten vorsichtiger zu Werke gehen als gegen Frankreich. Nach der knappen 0:1 Niederlage gilt für Österreich nämlich wie für Polen: Das Spiel ist ein Endspiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.