Ballack und Löw: Ein Leitwolf wehrt sich
Der Rosenkrieg zwischen Michael Ballack und Joachim Löw geht weiter. Ex-Kapitän Ballack fühlt sich als Opfer. Aber ist er das wirklich?
Es hat lange gedauert, bis Michael Ballack die Rolle seines Lebens gefunden hatte: Kapitän der Nationalelf. Dabei hieß es doch lange Zeit, er sei gar kein echter Führungsspieler, fliehe vor Verantwortung. Als Schönling, Schnösel, Wohlstandsjüngling und Weichei wurde Ballack beschimpft, auch als einer, der keine Titel gewinnen kann.
Die Vorwürfe ließen Ballack keine Ruhe. Der 34-Jährige arbeitete an sich und wurde ein Führungsspieler wie er im Buche steht. Der Schönling mutierte zum Macho. Aus dem Weichei wurde ein stahlharter Profi. Ballack hat regelrecht malocht für diesen Imagewandel. Und dann kommt ein Jogi Löw daher und schmeißt ihn mit ein paar warmen Worten aus der Nationalmannschaft.
Das ist hart, offensichtlich zu hart für den Chemnitzer, der einst auszog, die große Fußballwelt zu erobern. Ballack will sich jetzt nicht mit einem Abschiedsspiel gegen Brasilien von der Bühne schieben lassen. Er hängt an der Rolle seines Lebens. Das erklärt auch die emotionale Reaktion auf die Ausbootung. Ballack greint wie ein kleines Kind, schickt seinen Anwalt vor und will partout nicht einsehen, dass seine Zeit abgelaufen ist.
Er fühlt sich missverstanden und belogen, kurzum: als ein Opfer. In diesen Tagen wird er Kevin Boateng noch ein paarmal verflucht haben, jenen Spieler, der ihm kurz vor der WM mit einem schlimmen Tritt gegen den Knöchel den ganzen Schlamassel eingebrockt hat.
Ein Mann von gestern
Realistisch gesehen ist Ballack im Nationalteam ein Mann von gestern. Auf seiner Position stehen junge Profis, die ihr Geld bei Real Madrid oder Bayern München verdienen und die sich obendrein blendend mit Löw verstehen. Die Wachablösung ist längst vollzogen. Hochbegabte Kicker haben Ballacks Platz im defensiven Mittelfeld übernommen. Führungsspieler alten Schlags werden beim DFB eh nicht mehr gebraucht. Jetzt regelt ein kleiner Außenverteidiger die Dinge auf dem Platz. Philipp Lahm steht nicht im Zentrum des Spiels, er steht am Rande. Lahm ist kein Platzhirsch. Er ist ein Verwalter von flachen Hierarchien.
Zu Lahms, Khediras oder Özils Vorzügen gehört auch, dass sie Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff nicht wutschnaubend als "Obertucke" bezeichnen und obendrein Gerüchte streuen lassen, die Führung der Nationalelf oder die Spieler selbst tummelten sich gerne mal am anderen Ufer. Ballack mit seiner ruppigen und indiskreten Art passt nicht mehr ins Gefüge des Teams, das war nach der WM in Südafrika eigentlich klar. Auch Jogi Löw muss erkannt haben, dass Ballack nur dann eine Chance auf Rückkehr hat, wenn er eine galaktisch gute Bundesligasaison spielt.
Aber Ballack hat keine 20 Tore geschossen oder 15 Vorlagen gegeben, nein, seine Leistungen waren allenfalls durchwachsen. Hätte ihn Löw nicht trotzdem wegen seiner Verdienste wiedereingliedern müssen? Wohl kaum, aber er hätte ihn nicht so lange hinhalten dürfen. Löw hätte den Aufschrei der Entrüstung ignorieren und Ballack gleich nach der WM das Unvermeidliche mitteilen müssen. Das hätte für klare Verhältnisse gesorgt, jedoch von Löw eine charakterliche Verbiegung verlangt, zu der er nicht fähig ist.
Der Bundestrainer hat diesen Konflikt verschleppt. "Man will immer so endgültige Aussagen von mir. Warum? Ich habe vor Länderspielen und Turnieren Zeit genug, mich zu entscheiden", hat Löw im Oktober des vergangenen Jahres gesagt - es ist ein Dokument seines Lavierens. Noch im Frühjahr hat er Ballack Mut zugesprochen. Er hat ihm falsche Hoffnungen gemacht. Verständlich, dass sich Ballack, der monatelang in einer Warteschleife steckte, übervorteilt fühlt.
Aber wenn sein Zorn auf all jene verraucht ist, die ihm Krone und Zepter geklaut haben, dann wird ihm vielleicht aufgehen, dass das Angebot des DFB so schlecht nicht war: Ballack hätte sein Länderspielkonto auf die runde Summe von 100 bringen können und wäre unter dem Jubel der Fans verabschiedet worden. Aber wie es jetzt aussieht, hat sich Michael Ballack für eine Abschiedstour mit viel Tamtam entschieden, ganz nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr mitspielen darf im Sandkasten, dann ziehe ich euch wenigstens ein Förmchen über die Rübe. Man wird sich gegenseitig wohl noch viel Sand in die Augen streuen.
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