Balance Club/Culture Festival: Ein paar Stunden Weltfrieden
Unter dem Motto „Tender Squads“ wurden bei „Balance Club/Culture Festival“ Allianzen für die Rettung der Clubszene geschlossen. Virtuell natürlich.
Während sich da draußen in den Biergärten das Leben wieder zu normalisieren scheint, sieht es für die Clubkultur weiterhin schlecht aus. Die Coronapandemie vereitelt so ziemlich alles, was eine gute Clubnacht ausmacht: Menschen auf engstem Raum, Schweiß, Ekstase, vielleicht Knutschen. Es bleibt nur die Musik, die über Livestreams versucht, die Menschen zu erreichen, zu bewegen, zu berühren. Doch ist Clubkultur nicht viel mehr als das? Mehr als Musik, aber auch mehr als Tanz und Party?
Dieser Frage geht seit einigen Jahren das Balance Club/Culture Festival nach, das nicht nur zur Ekstase, sondern auch zu Reflexion und Gesellschaftskritik im Clubumfeld lädt. Auch dieses Jahr hätte unter anderem im Leipziger Institut für Zukunft gefeiert und diskutiert werden sollen.
Nun wurde das Ganze in die Weiten des Internets verlegt, in denen es in der großen Stream-Entertainment-Konkurrenz heraussticht. Denn neben den klassischen DJ-Set-Videos gibt es auch Vorträge, Multimedia-Beiträge, Workshops, Artist-Talks und audiovisuelle Arbeiten.
Die beiden DJs Sarah Farina und Lyzza unterhalten sich in einem Videotelefonat über den Club als geschützten Raum. „So etwas wie einen Safe Space gibt es nicht“, sagt Lyzza, „vor allem nicht, wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind.“ Deshalb organisiert die brasilianische Elektronikkünstlerin auch queere Partys, in denen gerade PoC und queere Menschen eine gute Zeit haben sollen.
Einheitliche Awareness-Regeln in der Clubszene
Als „ein paar Stunden Weltfrieden“ bezeichnet Sarah Farina eine gelungene Clubnacht. Es mache natürlich wenig Spaß, Regeln zu erstellen, daher fände sie es toll, wenn in allen Berliner Clubs dieselben Awareness-Regeln gelten würden.
Allianzen bilden ist eines der großen Themen des Balance-Festivals, das sich das Motto „Tender Squads“ auf die virtuellen Fahnen geschrieben hat. „Allianzen haben viel mit Empathie zu tun“, sagt die trans* Aktivistin Mine Wenzel, die auch Workshops zum Thema gibt. „Ich kriege immer einen kleinen Kotzkrampf, wenn ich höre: Wir müssen miteinander reden. Weil: Wir müssen erst mal zuhören.“
Ein anderer praktischer Workshop ist der Podcast der Feministischen Gesundheitsrecherchegruppe, die schon vor Corona im Umgang mit Lebenskrisen helfen wollte und sich nun mit einer ganz anderen Dimension konfrontiert sieht. „Die Coronakrise ist nicht meine individuelle Krise, sondern alle stecken mit drin“, erklärt Körperarbeiterin Julia Bonn. Dennoch betreffe sie die Menschen unterschiedlich, wenn die einen beispielsweise mit Kindern im Homeoffice sitzen und die anderen alleine ohne Arbeit auf der Couch.
Gegenkulturen im Kapitalismus wollen die Veranstalter*innen aufzeigen. So spricht Ethnologin Bianca Ludewig über Gabber als hartem Ausdruck utopischer Momente einer Jugendkultur, und taz-Autorin Sarah Ulrich moderiert ein Gespräch über Drag als revolutionäre Praxis und Chance, Gendernormen zu durchbrechen, und gleichzeitig über Möglichkeiten solidarischer Allianzen in der Clubkultur.
Clubkultur: Schutzraum für marginalisierte Menschen
Als einen sozialen Raum, als Möglichkeit der Experimentierfreude und Schutzraum für gesellschaftlich marginalisierte Menschen sieht auch Kornelia Kunert die Clubkultur. Kunert setzt sich als Vorstandsvorsitzende im Leipziger Clubverband LiveKommbinat für die Verbesserung der Bedingungen der Clubkultur ein. Gerade jetzt sei es von entscheidender Bedeutung, nicht nur den wirtschaftlichen und den kulturellen Wert von Clubkultur zu betonen, sondern das soziale und politische Potenzial hervorzuheben.
Diese Tendenz zur Institutionalisierung und Bildung von Allianzen gibt es derzeit überall auf der Welt. „In Zeiten von Pandemien, Verlust von zugänglichen kulturellen Orten und auftretendem Rechtspopulismus ist es absolut notwendig, Allianzen zum Austausch von Wissen, Strategien und Werkzeugen zu bilden, um die Widerstandsfähigkeit selbst organisierter Kultur, ihrer Räume und Gemeinschaften zu stärken“, betont die Niederländerin Liese Kingma, die gerade zur Bedeutung von Freiräumen forscht.
Dass wegen Corona nun an diesem langen Wochenende weitaus weniger kleine oder große Allianzen geschlossen wurden, als hätten Teilnehmende und Publikum sich einfach getroffen, ist bitter – auch dass alle allein statt gemeinsam zu den Sets von Solaris, ANTR, Dorian Electra, Myss Keta und anderen tanzten. Dennoch ist die Webedition dieses Festivals ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen die Rettung der Clubkultur bei vielen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht.
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