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Bahnfahren in der Ukraine3.000 Kilometer für lau

Mit dem Programm UZ-3000 sollen alle Ukrainer 3.000 Bahnkilometer geschenkt bekommen. So will man Züge besser auslasten. Das Programm ist umstritten.

Bitte einsteigen: Die ukrainische Regierung plant, ihren Bür­ge­rin­nen und Bürgern 3000 Bahnkilometer zu schenken Foto: Andreas Stroh/imago
Bernhard Clasen

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Bernhard Clasen aus Kyjiw

Die ukrainische Regierung plant, ihren Bürgerinnen und Bürgern 3.000 kostenlose Bahnkilometer zu schenken. Das kündigte Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang des Monats an. Das Programm mit dem Namen UZ-3000 sieht vor, dass ukrainische Staatsbürger kostenlos bis zu 3.000 Kilometer mit der Bahn reisen können – auf Strecken ihrer Wahl innerhalb der Landesgrenzen. So will man Menschen den Zugang zu anderen Regionen erleichtern und die Mobilität trotz der kriegsbedingten Herausforderungen im Alltag stärken.

Wenig später stellte Serhij Leschtschenko, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der ukrainischen Bahngesellschaft Ukrzaliznytsia, allerdings klar, dass es bei der Umsetzung des 3.000-Kilometer-Programms durchaus Einschränkungen geben werde. Zusätzliche Haushaltsmittel seien jedoch nicht erforderlich, da das Programm vor allem in Zeiten schwächerer Mobilität – etwa im November – eingesetzt werden solle. Es gelte nicht für alle Fernverkehrszüge und könne zum Beispiel auch nicht an Feiertagen oder Wochenenden genutzt werden.

Die ukrainische Eisenbahn verspricht sich von dem Programm eine gleichmäßigere Auslastung

Ziel von UZ-3000 sei es, freie Kapazitäten, die in manchen Monaten bis zu 700.000 unverkaufte Tickets betragen, zu nutzen. Nach Bahn-Angaben reisen in den Sommermonaten durchschnittlich 2,6 Millionen Fahrgäste pro Monat, während es außerhalb der Saison nur etwa 1,9 Millionen sind. Von dem Programm sollen künftig vor allem jene Reisenden profitieren, die zeitlich flexibel sind und ihre Fahrten auf weniger ausgelastete Zeiträume verlegen können. Die ukrainische Eisenbahn verspricht sich davon eine gleichmäßigere Auslastung.

Zu verschenken hat Ukrzaliznytsia wirklich nichts. Serhij Leschtschenko beziffert die Nettoverluste der Bahn in den ersten neun Monaten 2025 auf fast 7,2 Milliarden Hrywnja (150 Millionen Euro).

Kontroverse Diskussionen

In der ukrainischen Gesellschaft wird UZ-3000 kontrovers debattiert. Kateryna Zagoriy von der Katholischen Universität in Lwiw unterstützt diese Initiative von Selenskyj. Viele Menschen hätten eine Hemmschwelle, die Eisenbahn zu nutzen, schreibt sie auf Facebook. Diese könnte mit dem Programm überwunden werden. Langfristig hätte die Bahn so neue Kunden hinzugewonnen. Reisen kurble die Wirtschaft an. Wer reise, gebe auch Geld für Cafés, Hotels und andere Leistungen vor Ort aus, argumentiert sie.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Das Hauptargument der Kritiker lautet, dass gezielte Unterstützung für besonders bedürftige Bürger Vorrang haben sollte, wenn man der Bevölkerung gerade in den Wintermonaten helfen möchte. Geschenke an alle würden hingegen als populistisches Vorgehen und Verschwendung von Steuergeldern bewertet.

Einer der Kritiker ist der ukrainische Investmentbanker, Finanzexperte und Publizist Serhij Fursa. „Churchill wäre entsetzt gewesen, wenn man ihm 1943 vorgeschlagen hätte, die britische Eisenbahn kostenlos zu machen und dieses ‚Glück‘ aus dem Staatshaushalt eines Landes zu bezahlen, das sich im Krieg befindet“, so Fursa.

Und Wirtschaftsexperte Sergi Martschenko meint, es wäre ein Irrtum zu glauben, 3.000 kostenlose Kilometer seien wirklich kostenlos. Bezahlen müsse diese der Steuerzahler. Und Ilja Neschodowski, Leiter des Analysebereichs des „Netzwerks zum Schutz nationaler Interessen, ANTS“, glaubt nicht, dass man in einem Zug, in dem 40 Prozent zahlende Fahrgäste sind, 60 Prozent der Plätze verschenken könne. Früher oder später werden auch die 40 Prozent nicht bezahlen, glaubt er.

Vorwurf: Populismus

„3.000 Kilometer Populismus“ betitelt das Portal espreso.tv einen Artikel zum Thema. Neu sei die Idee von Geschenken an das Volk nicht, meint espreso.tv und erinnert an die frühere Premierministerin Julia Tymoschenko. Die hatte 2008 den Bürgerinnen und Bürgern eine Entschädigung für die in der Sowjetzeit verlorenen Spareinlagen von 1.000 Hrywnja, damals etwas 130 Euro, versprochen.

Unter Ex-Präsident Petro Poroschenko habe die Regierung insbesondere vor den Präsidentschaftswahlen Renten erhöht, bedürftige Bürgerinnen und Bürger hatten Sonderzahlungen erhalten, erinnert espreso.tv.

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