Bahn: Rendite wird Risiko
Die Verkehrsminister der Länder fürchten Risiken für ihre Etats, wenn die Deutsche Bahn AG so wie geplant privatisiert wird. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen sie daher ab
BERLIN taz Die Bundesländer lehnen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG geschlossen ab. Grundsätzlich verhindern wollen die Länder die umstrittene Privatisierung der Bahn aber nicht, auch den Zeitplan des Gesetzesvorhabens stellen sie nicht in Frage. Das ist das Ergebnis der Sonderkonferenz der Verkehrsminister der Länder, die gestern in Berlin stattfand. "Es muss deutliche Nachbesserungen des Gesetzentwurfes geben", sagte der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Ressortchef Karl-Heinz Daehre (CDU), im Anschluss an das Treffen. Andernfalls sei das Vorhaben in der Länderkammer nicht zustimmungsfähig.
Die Länder haben am Donnerstag ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das bis Mitte September unter anderem die verfassungsrechtlichen Bedenken zur Privatisierung prüfen soll. Ende September wollen die Länderminister auf einer weiteren Sonderkonferenz ihre Positionen abstimmen und ins Gesetzgebungsverfahren einbringen. Dafür soll es drei Wochen mehr Zeit geben, als bislang vorgesehen. Der Zeitplan der Bundesregierung, das Gesetz bis Weihnachten unter Dach und Fach zu haben, soll dadurch aber nicht in Gefahr geraten.
In ihrem einstimmigen Beschluss kritisieren die Länder, eine "Privatisierung in dieser Ausgestaltung des Eigentumsmodells würde die Umsetzung der im Rahmen der Bahnreform von 1993 vereinbarten verkehrspolitischen Ziele stark behindern und zu erheblichen Haushaltsrisiken für den Bund und die Länder führen". Nach den vorliegenden Plänen soll der Bund zwar juristischer Eigentümer des Bahnnetzes bleiben, die Bahn dürfte dieses aber bewirtschaften und bilanzieren. Daraus ergeben sich für die Länder weitere Probleme: Sie fürchten sich vor wachsenden Gefahren von betriebswirtschaftlich bedingten Streckenstilllegungen und vor steigenden Trassen- und Stationspreisen.
Der Forderungskatalog der Länder an Nachbesserungen des Privatisierungsgesetzes ist umfangreich. So verlangen die Länder ein "echtes Mitsprache- und Kontrollrecht der Länder" bei den Investitionen im Nahverkehr, die mindestens 20 Prozent der Gesamtinvestitionen für den Aus- und Neubau betragen sollen. Hintergrund ist die Befürchtung, eine vorrangig auf Rendite ausgelegte Bahnpolitik könnte den Nahverkehr zu Gunsten des lukrativen Fernverkehrs benachteiligen. Zudem wünschen sich die Länder Sanktionsmöglichkeiten, sollten die Qualitätsvorgaben für die Schieneninfrastruktur in einer Region unterschritten werden. Qualitätsvorgaben und Mittelausstattung sollten auch für Stationen und Service-Einrichtungen verbindlich geregelt werden.
Eine Mehrheit der Bundesbürger lehnt die Privatisierung der Bahn ab. In einer Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend waren 54 Prozent der Befragten dagegen, dass die Bahn - wie die Post und die Telekom - ein Unternehmen wird, dessen Aktien an der Börse gehandelt werden und an dem sich andere Unternehmen und Privatpersonen beteiligen können. Lediglich 42 Prozent begrüßen diese Pläne. Nur bei den FDP-Anhängern gibt es für die Privatisierungspläne eine Mehrheit. 55 Prozent befürchten nach einer Privatisierung Verschlechterungen des Bahnangebotes im Nahverkehr.
Das Bündnis "Bahn für Alle" demonstrierte am Donnerstag vor dem Bundesrat gegen die Privatisierungspläne. Das unter anderem von der Gewerkschaft Ver.di und Umweltverbänden getragene Bündnis wendet sich unter dem Motto "Die Bahn gehört uns" gegen einen Verkauf des Unternehmens und spricht von der Verschleuderung von Volksvermögen.
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