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Bahn-Konkurrent LocomoreOrangenfarbene Revolution

Langsamer als die DB – aber günstiger und ökologischer. Und komplett crowd-finanziert. Ist Locomore ein Konzept für die Mobilität der Zukunft?

Sieht aus wie ein Zug, fährt sich wie ein Zug Foto: dpa

Berlin taz | Darauf haben schon viele gewartet: die Schnelligkeit, Pünktlichkeit und Bequemlichkeit eines Zuges genießen, aber nicht die Preise der Deutschen Bahn AG zahlen müssen, sondern eher so viel wie für einen Platz im Fernbus.

Wenn dann noch guter, freundlicher Service plus Internetverbindung hinzukommt, der Zug mit Ökostrom fährt, das Essen im Bordbistro biologisch und der Kaffee fair ist – dann klingt das alles so ziemlich wie in der Werbung. Also fast zu schön, um wahr zu sein.

Ab Mittwoch aber soll dieses Märchen der öffentlichen Mobilität Wirklichkeit werden: Die Firma Locomore startet täglich mit ihrem orange-roten Zug auf der Strecke von Stuttgart nach Berlin und zurück. Es soll eine wahre orange Revolution auf der Schiene werden. Möglich geworden ist sie nur durch Crowdfunding.

Studierende sind die Hauptklientel

Derzeit gibt es mit dem HKX zwischen Hamburg und Köln nur eine Konkurrenzverbindung im DB-Fernverkehr. Erst vor zwei Jahren gab die Firma Interconnex ihre Verbindung zwischen Leipzig, Berlin und Rostock auf, weil sie sich – auch durch die neue Fernbuskonkurrenz – letztlich nicht rechnete.

Das soll nun anders werden. Deshalb klappert der orangene Zug, in dem auch Fahrräder mitgenommen werden, zahlreiche Unistädte ab: Stuttgart, Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Kassel, Göttingen, Hannover, Berlin.

Das junge Studierendenpublikum, das offensichtlich eine wichtige Zielgruppe ist (weshalb Locomore die Kunden penetrant duzt), gilt als preissensibel, aber es kommt ihm nicht auf die Minute an. Wichtiger ist ihm der Internetzugang und die direkte Kommunikation mit anderen Reisenden: Im Zug soll es auch Abteile geben, in denen sich Fahrgäste mit speziellen Interessen zusammenfinden können, etwa Skatspieler, Spanisch-Sprechende, Leute, die über Politik diskutieren wollen. Die Reisezeit könnte so der gezielten Vernetzung mit Gleichgesinnten dienen.

Bloß nicht mit dem Mainstream fahren!

Preislich liegt der Locomore-Zug über den Fernbussen, aber unterhalb der Bahncard 50. Fahrkarten zwischen Stuttgart und Berlin sollen, je nach Nachfrage und Zeitpunkt des Kaufes, zwischen 22 und 65 Euro kosten. Locomore, das den Zug von einer schwedischen Firma fahren lässt, verfolgt damit die gleiche Preisstrategie wie Fernbusunternehmen oder Fluggesellschaften: Ist die Nachfrage, etwa vor den Weihnachtsfeiertagen, hoch, steigt der Preis. Ist sie niedrig, sinkt er, um doch noch Kunden zu locken. Die eigenen Mitarbeiter will Locomore „fair“ und nach den Gegebenheiten „eines kleinen mittelständischen Unternehmens“ bezahlen, das sich an branchenüblichen Tarifverträgen orientiert.

Zunächst aber muss der Zug richtig ins Rollen gebracht werden. „Der Vertrieb läuft gut“, sagte Locomore-Chef Derek Ladewig der taz. Aber die Ziele sind ehrgeizig: „Nach drei Monaten müssen wir in den Bereich der schwarzen Null kommen.“ Eine durchschnittliche Auslastung von 50 Prozent würde reichen. Wenn der orangene Zug erfolgreich sei, könnte es künftig auch einen zweiten auf derselben Strecke geben, oder eine weitere Verbindung werde in Angriff genommen.

Behilflich könnten dabei auch die 1.300 Kapitalgeber sein, die Locomore bislang unterstützen. Seit Anfang Dezember können Investoren nun auch Nachrangdarlehen ab einer Höhe von 1.500 Euro zeichnen. Die Firma bietet dafür eine Verzinsung von bis zu 4,15 Prozent pro Jahr, verweist aber auch auf die Risiken dieser Geldanlage. Interessenten sollten nicht ihren gesamten Sparstrumpf leeren, sondern Geld einsetzen, dessen Verlust sie im Notfall auch komplett verschmerzen können. „Es handelt sich hier um eine Investition, damit ein Unternehmen, das Sie sinnvoll finden, eine Chance bekommt.“

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11 Kommentare

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  • Während locomore zertifizierten Grünstrom mit Investitionen in Neuanlagen einsetzt fährt die Deutsche Bahn mit Grünstrom, der überwiegend aus alten Wasserkraftanlagen stammt: Klimaschutzgewinn gleich Null.

    Es kommt noch schlimmer: Wasserkraftnutzung ist global für knapp ein Viertel der klimaschädlichen Methangasemission verantwortlich.

  • Das alles klingt ein wenig so wie Ausweitung der inzwischen längst umstrittenen Sharing-Economy auf den Bahnverkehr.

     

    Warum lassen wir es weiterhin zu, dass die ursprünglich von Steuergeldern aufgebaute Bahn, die formal somit uns allen gehört und dienen soll, weiterhin niedergeritten wird und stattdessen meist wenig zukunftsträchtige Privatmodelle hochgejubelt?

  • Die DB ist dann auch billiger als der Locomore. Mit dem Sparpreis und der Bahncard 25 (die kostet in der Einsteigerversion gerade mal 16 Euro) gibt es die günstigesten Tickets bei der Bahn für 15 €.

    • @Velofisch:

      Nur fahren die wenigsten Bahn-Kunden so günstig, weil es quersubventionierte Einstiegspreise für Frühbucher sind. Das ist wie 10-Euro-Flugtickets.

  • Na ja, Enthusiasmus ist gut - aber die Verspätungen kommen nicht von einem "Wasserkopf" sondern meist durch die Abwicklung des Fahrbetriebes. Natürlich ist das Einsparpotential das Fahrpersonal. Das ist bei den anderen regionalen Zugbetreibern nicht anders.

     

    Diese Züge fahren auf Gleisen, welche fest in der Hand der DB-Netz sind. Die bestimmt die Konditionen, zu denen die privaten Zugbetreiber unterwegs sind. Dort werden auch die Signale und Weichen bedient, welche entweder für Pünktlichkeit oder Verspätung sorgen.

     

    Die Fahrpreise können nur deshalb günstiger gestaltet werden, weil die DB noch dubiose Preisaufschläge für den ICE anwendet. Da gibt es den Betrugsfaktor "Reisezeitvorteil". Die Mitarbeiter der Bahn werden angehalten nur ICE-Züge für den Reisenden auszusuchen. Wenn ein Reisender von Erfurt nach Hannover fahren möchte, schickt man ihn über Leinefelde-Heiligenstadt nach Göttingen. Von dort geht es weiter mit dem ICE und siehe da, Man zahlt einen kräftigen Aufschlag für 70 km ICE-Strecke im Gegensatz zu dem Göttinger, der ein ICE-Ticket von Göttingen nach Hannover löst. Der Reisezeitvorteil für den Thüringer, der ja genauso gut nach Northeim fahren könnte und von dort mit dem Regionalexpress nach Hannover muss extra bezahlt werden.

     

    Insofern können private Zugbetreiber schon zur Konkurrenz werden - aber nicht flächendeckend.

  • 6G
    65572 (Profil gelöscht)

    "„Es handelt sich hier um eine Investition, damit ein Unternehmen, das Sie sinnvoll finden, eine Chance bekommt.“"

    Na, so ganz penetrant scheint die Duzerei ja nicht zu sein.

  • Leider schweigt sich der Beitrag über das Zugpersonal aus. Studenten können sich sicher als Taxifahrer was dazuverdienen. Aber können/dürfen sie auch Lokführer und Zugbegleiter sein? Ich glaube kaum. Aber mit dem professionellen Personal sind dann auch die Gewerkschaften GDL und EVG mit dabei, bekannt von den Streiks, wenn der Arbeitgeber (bisher Bahn AG) hartleibig ist.

     

    Wie wird sich Locomore bei Tarifverhandlungen verhalten? Bleibt Locomore hart, werden die Fahrgäste erfahren, wie sich Streiks bei Locomore anfühlen – nämlich genau wie bei der Bahn AG.

    Gibt Locomore nach, ergeben sich 2 Möglichkeiten: Entweder die Fahrpreise steigen und werden perspektivisch DB-Niveau erreichen. Oder die Crowd wird zur Kasse gebeten - und die versprochene Verzinsung ist dahin. Locomore war schlau genug, auf die Risiken zu verweisen (hoffentlich haben die „Crowdies“ keine Nachschusspflicht unterschrieben!!!).

    Geben aber die Gewerkschaften nach, wird das Zugpersonal von Löhnen wie bei der DB nur träumen können.

     

    Denn auch Locomore hat keinen Geld-Esel, der für gestiegene Kosten aufkommt!

    • @Pfanni:

      Mit dem Status Quo eine berechtigte Kritik. Wenn man das ganze allerdings von anderer Perspektive betrachtet, dann sehe ich das als wertvolle Idee, die hoffentlich irgendwann dazu führen wird, dass solche Dienste wieder entprivatisiert werden.Profitorientiertes Wirtschaften wird niemals zu sozial halbwegs fairen Preisen führen. Deswegen gehören Dienste, die zum Grundrecht gehören [sollten], niemals in private Hand.

    • 0G
      0371 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Abwarten. Wenn Locomore es schafft, den üblichen Wasserkopf klein zu halten, dann vertragen sich vielleicht auch günstige Fahrpreise mit anständiger Bezahlung.

  • Der Artikel liest sich als wäre er von einer PR Agentur geschrieben worden.

  • Schön, endlich wieder etwas Druck auf die DB. Der InterConnex hatte ja massive Auswirkungen auf die Leistungen der DB - plötzlich gab's gute schnelle Züge, und selbst während der Bahnstreiks fuhr immer zumindest der ICE unmittelbar vor dem InterConnex. Wir brauchen mehr davon!

     

    Sehr schönes Detail: § 12 Absatz 6 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen (https://locomore.com/download/locomore-abb-2016-11-08.pdf):

    "6. Abweichend von den Bestimmungen nach § 12 3. ist die unentgeltliche Beförderung von Einhörnern in Begleitung von jeweils mindestens einem Kind bis einschließlich 14 Jahren in Mehrzweckabteilen zulässig, sofern die Sicherheit der Mitreisenden hierdurch nicht gefährdet wird."