Bärenerwartungsland Deutschland: Der nächste Bär kommt bestimmt
Bruno musste vor einigen Jahren auch deshalb sterben, weil wir auf frei lebende Braunbären nicht vorbereitet waren. Beim nächsten Mal soll alles anders werden.
Fliegen summen laut über der Wiese im Südwesten Sloweniens. Sie umschwirren den Kadaver eines Schafes, dessen Brustkorb freigelegt ist. Marko Jonozovic schaut sich die tödlichen Verletzungen an. Der staatliche Bärenexperte hat keinen Zweifel: Der Täter war ein Bär. Jonozovic füllt schnell ein Formular aus, Routine wie bei einem Verkehrsunfall mit Blechschaden.
Drei- bis vierhundert Schafe reißen Bären jährlich in Slowenien. Einen Aufstand der Bauern gibt es dennoch nicht. Schäfer Franc Zuczek erhält 200 Euro Entschädigung vom Staat, denn er hat wie gefordert einen Elektrozaun installiert und wachsame Herdenschutzhunde angeschafft. Dennoch passiert es schon mal, dass ein Schaf panisch ausbricht und dann leichte Beute für den Bären wird.
„Slowenien ist ein Bärenland. Solange die Regierung die Bärenbestände kontrolliert, ist alles okay“, sagt der Schäfer gelassen.
Etwa 450 Bären und zwei Millionen Menschen leben in Slowenien, einem Land, dreieinhalbmal kleiner als Bayern. Dort gibt es nicht mal einen einzigen Bären. Bruno, der es 2006 als erster seiner Art nach 170 Jahren wagte, seine Tatzen auf deutschen Boden zu setzen, wurde nach wenigen Wochen oberhalb des Schliersees trotz heftiger Proteste abgeschossen.
Zuvor hatte der „Problembär“ aus Norditalien über dreißig Schafe gerissen, Bienenstöcke geplündert und einige Kaninchenställe verwüstet, Fangversuche waren dilettantisch gescheitert. Menschen hatte das hundert Kilo schwere Tier nie bedroht, doch früher oder später hätte es zu einem Zwischenfall kommen können, vor allem weil ihn neugierige Spaziergänger mit Fotoapparaten und wild radelnde Mountainbiker aufscheuchten.
Vorsorgliche Entnahme
„Der Mensch ist das Problem. Aber wenn Bruno jemanden attackiert hätte, wäre der Aufschrei groß gewesen und wir würden wohl niemals mehr Bären in Deutschland zulassen“, begründet Bayerns Bärenmanager Manfred Wölfl vom Landesamt für Umwelt die vorsorgliche „Entnahme“ des zweijährigen Tieres auch aus taktischen Gründen.
Brunos Tod aber hatte auch etwas Gutes: Bayern entwickelte daraufhin einen „Managementplan Bär“, in dem die Maßnahmen zum Schutz von Bär, Nutztier und Mensch erstmals geregelt wurden.
Zwischen 1999 und 2002 wurden zehn Bären in Slowenien im Rahmen des Projektes "Life Ursus" gefangen und in der norditalienischen Provinz Trentino ausgesetzt. Unter der Kontrolle von Wildhütern hat sich die Bärenzahl auf 43 bis 48 im Jahr 2012 im Naturpark Adamello-Brenta erhöht. Von dort wandern Bären immer wieder ab und tauchen dann in den Nachbarländern Schweiz und Österreich auf und gelangen wie Bruno gar bis nach Deutschland.
In der Dokumentation "Bruno, der Bär ohne Pass" arbeitete Autor Herbert Ostwald mit dem Umweltaktivisten und Schauspieler Hannes Jaenicke zusammen. Die aufwändige Spurensuche nach Brunos Vermächtnis quer durch Europa läuft am Montag, 29. April, 20.15 Uhr, in der ARD.
Und da Deutschland akutes „Bärenerwartungsland“ ist, hat Wölfl bereits über 120 Spurenleser für alle Landkreise ausgebildet. Freiwillige Naturschützer, Förster und Landwirte drückten die Schulbank, lernten „Bärenkunde“ und können nun einen Tatzenabdruck des Bären von dem eines Hundes unterscheiden.
Lernen, mit Bären zu leben
Sie sollen die ersten an einem Tatort sein, um zu diagnostizieren, ob ein wildernder Hund, ein Wolf, Luchs oder gar ein Bär Schafe oder Rehe gerissen hat. „Wir müssen wieder erlernen, mit großen Beutegreifern wie dem Bären zu leben“, lautet Wölfls Vision.
Anders in Slowenien, wo Brunos Eltern einst durch den Wald schlenderten. Seit Jahrtausenden leben die Menschen mit „Medved“, dem Honigesser, wie man den Bären traditionell umschreibt. Sein Lebensraum liegt eine Autostunde südwestlich von Ljubljana entfernt. Dort rauscht der Wind durch Tannen, Buchen und Birken. Der urige Bergwald ist keinesfalls ein Nationalpark, sondern ein genutzter Forst, in dem die Sägen kreischen. Mensch und Bär haben sich hier arrangiert.
Die Jäger sind stolz, die mächtigen Tiere in ihrem Revier zu haben, und kümmern sich um sie. Tief in den Wäldern haben sie Futterstellen eingerichtet, wo täglich eimerweise Mais ausgestreut wird. Nach Sonnenuntergang schauen die Schleckermäuler in den Lichtungen vorbei. Das erleichtert die Jagd mit Gewehr und Fotoapparaten, zudem bekommen die Jäger einen Überblick über Veränderungen des Bärenvolks.
Dreimal im Jahr zählen sie ihren Bestand, sammeln auch Kotproben sowie Fellhaare von Scheuerbäumen. Damit lässt sich der genetische Fingerabdruck jedes Tieres ermitteln. Marko Jonozovic, zuständig bei der staatlichen slowenischen Forstbehörde für die Bären, rechnet aufgrund der Untersuchungen jedes Jahr mit rund 100 bis 150 neu geborenen Bären.
Fütterungen mit Mais
Die Vermehrungsrate ist wegen der guten Nahrungsbedingungen in den Wäldern hoch, hinzu kommt die Fütterung mit Mais, die nach Berechnungen der Universität Ljubljana etwa ein Drittel des Energiebedarfs der Bären decke.
Damit der Bärenbestand nicht anwächst und Probleme verursache, erlaubt Slowenien jedes Jahr den Abschuss von 80 bis 100 Bären, die großenteils zu Wurst und Schinken verarbeitet und verkauft werden.
Slowenien handelt sich deswegen vor allem den Protest westlicher EU-Mitglieder ein. „Da kommen Länder wie Niederlande und Deutschland mit dicken Papieren, wie wir unsere Bären managen sollen“, erzürnt sich Jonozovic, „aber der Unterschied ist: Wir machen es seit hundert Jahren so und haben viele Bären. Und sie? Sie haben vor allem Papier, aber keinen einzigen Bären.“
Weil Slowenien einen so guten Bärenbestand hat, diente das Land in der Vergangenheit immer wieder als Lieferant wilder Bären. Frankreich, Österreich und Italien haben sie fangen und abtransportieren lassen, sie in den Pyrenäen und Alpen ausgesetzt, um ihre geschrumpften oder ausgerotteten Bestände aufzufrischen.
Kontrolle mit Sendehalsbänder
Slowenische Bären seien durch die Fütterungen zu sehr an Menschen gewöhnt, klagen einzelne Naturschützer. Untersuchungen der Biotechnischen Fakultät an der Universität Ljubljana an Bären, die Sendehalsbänder trugen, zeigen aber, dass nur knapp sieben Prozent aller Ortungen an den Futterstellen stattfanden, also keinesfalls ständiger Aufenthaltsort der Tiere sind.
Beweise dafür, dass angefütterte Bären zu Problemtieren würden, konnten die Forscher nicht finden. Allerdings verhindert umgekehrt die Fütterung im Wald auch nicht, dass einige Bären den Wald verlassen und für Probleme in angrenzenden Siedlungen sorgen.
„Die Dörfer werden kleiner, die Jungen ziehen weg, die Alten werden älter, und der Wald rückt immer näher, bis der Bär vor der Haustür steht“, warnt Bärenmann Jonozovic vor den Folgen der Landflucht in seinem Land. Besonders dreist war „Sloweniens Bruno“, Roznik, benannt nach einem Hügel im Stadtpark der Hauptstadt.
Nur wenige Problembären
Die urbane Umgebung hatte er 2009 erklommen und Jonozovic und seine Leute in Atem gehalten. Roznik wurde betäubt, mit einem Sender ausgerüstet und überwacht. Die Forscher der Universität Ljubljana beruhigen: Es sind nur wenige Bären, die so viel Schaden machen. Rozniks Daten zeigten, dass er allein für 40 Prozent aller gemeldeten Konflikte verantwortlich zeichnete. Wochenlang randalierte er in Slowenien, bevor er nach Österreich abwanderte und binnen drei Tagen von Wilderern erschossen wurde.
„Jeder Bär ist anders“, weiß Jonozovic und stützt sich nicht nur auf seine langjährigen Erfahrungen. Die Forscher fanden heraus, dass einige Tiere fast zwanzigmal aktiver sind als die größten Faulpelze, sie wandern viel mehr, auch außerhalb des Waldes.
„Der Bär ist ein Ernährungsopportunist“, erklärt Jonozovic, „er geht dorthin, wo er am bequemsten Futter findet.“ Komposthaufen, Mülltonnen, Schlachtabfälle und Bienenkörbe locken die neugierigsten Exemplare in Siedlungsnähe.
Ein Bär, der lernt, dass er bei den Menschen etwas zu fressen bekommt, verliert den angeborenen Respekt. Dann kommt es zu Begegnungen selbst am Tage und das verängstigt die Leute.
Das Bären-Einsatz-Team
Jonozovic leitet ein Bären-Einsatzteam, er beantwortet etwa zweihundert Anrufe im Jahr, doch nur dreißigmal müssten seine Truppe ernsthaft ausrücken. Dann knallen die Männer einem vorwitzigen Bären eine Ladung Gummischrot auf den Pelz und hoffen, dass er seine Lektion gelernt hat. Die Zahl der Problembären, die jährlich in Slowenien erlegt werden, beziffert Jonozovic auf „fünf bis zehn“.
Auch der bayerische Managementplan erlaubt offiziell als Ultimo Ratio den Abschuss besonders verhaltensauffälliger Exemplare. Bärensichere Abfalltonnen, trainierte Herdenschutzhunde und Elektrozäune um Bienenkörbe könnten Bären davon abhalten, zu dicht an Siedlungen zu kommen, wie man aus Slowenien und auch aus Norditalien weiß. In Bayerns Bären-Management sind die Maßnahmen vorgesehen, bislang aber nur auf dem Papier.
„Der nächste Bär kommt bestimmt“, ist sich Bärenmanager Manfred Wölfl sicher. „Dann testet er unseren Plan und wir werden sehen, was wir aus dem Fall Bruno gelernt und richtig gemacht haben.“
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