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Bäcker über die Abhängigkeit der Zunft„Ich bin nur das Anhängsel“

Er unterwirft sich nur seinem Sauerteig, sagt der Freibäcker Arnd Erbel. Er sei frei – vom Kapitaldienst bei den Banken und von Mehltypen.

Wer sein Brot einmal selbst gebacken hat, wird sich sehr wahrscheinlich auf die Suche nach gutem Brot machen. Bild: dpa
Jörn Kabisch
Interview von Jörn Kabisch

taz: Herr Erbel, lassen Sie uns über Sauerteig reden, eine wichtige Zutat beim Brot, ein Triebmittel wie die Hefe. Aber was ist der Unterschied?

Arnd Erbel: Bei beiden sind Hefebakterien wichtig. In der Hefe stecken sie in einer Reinkultur, die man sofort zum Backen verwenden kann. Ein Sauerteig entsteht durch natürliche Gärung. Er enthält unterschiedliche Hefen, außerdem Milchsäurebakterien. Die fängt er aus der Luft. Man muss die guten von den schlechten trennen, sie behüten und aufpäppeln. Mit dem fertigen Sauerteig rührt man dann einen Vorteig an.

Päppeln? Das klingt ein bisschen so, als ob der Sauerteig ein Kind wäre.

Wenn man mich hört, dann könnte man schnell auf den Vergleich kommen. So ein Teig ist gefräßig. Die Mikroorganismen wollen immer Wasser, Mehl und sie lieben bestimmte Temperaturen. Und der Bäcker will, dass manche Bakterien die Oberhand behalten und außerdem ein gewisses Maß an Essig- und Milchsäuren, die der Sauerteig neben dem zum Treiben wichtigen Kohlendioxid produziert. Ich teile mir mit meinem Sauerteig die Wohnung.

Die Wohnung?

Er ist die Mutter für all die Sauerteige in der Backstube. Jetzt im Winter, wenn die tagsüber abkühlt, nehme ich ihn mit. Und in der Wohnung verlangt er nach einem speziellen Platz. Da bring ich ihn dann hin. Eigentlich bin ich nur das Anhängsel. Ich nenne mich zwar Freibäcker, aber in der Beziehung zu meinem Sauerteig bin ich ganz unfrei.

Er begleitet Sie auch auf Reisen?

taz.am Wochenende

Warum sollte jemand Daten besitzen? „Luft gehört auch keinem“, sagt Evgeny Morozov. Oft wird er als Internetkritiker bezeichnet. Dabei will er die Schreibmaschine gar nicht zurück. Das Titelgespräch über Google, Weißrussland und den Humor der Zukunft lesen Sie in der taz.am wochenende vom 31. Januar/1. Februar 2015. Und: Finnland schafft die Schreibschrift ab, damit Schüler mehr Zeit zum Tippen haben. Auch Deutschland ist ein Blockbuchstabenland geworden. Ist die Schreibschrift überflüssig? Mit Gastbeiträgen von Martin Walser und Katharina Nocun – verfasst mit Kugelschreiber. Außerdem: Warum man Sauerteig auch mal mit ins Kino nehmen sollte. Von einem Bäcker und seiner Beziehung zum Brot. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ja sicher. Und auch schon mal ins Kino, wenn ich keinen Babysitter finde, der die Temperatur kontrollieren kann. In der Regel weiß ich zwar, wie der Sauerteig sich entwickelt. Aber das ist ein emergentes System.

Ein was?

Etwas, das plötzlich über sich hinauswachsen kann. Kurz: Der Sauerteig macht gern mal, was er will. Wie die Mikroorganismen sich verhalten – da passiert noch immer Unerklärliches. Eigentlich freut mich das. Ich bezweifele, dass da jemand genau durchsteigt.

Das klingt wirklich, als wäre der Sauerteig viel mehr als nur eine Zutat.

Er ist mehr als ein Rohstoff und auch mehr als die Summe seiner Zutaten. Für mich hat das etwas Sinnstiftendes. Es ist eine Freundschaft. Ich und mein Sauerteig reifen gemeinsam.

Im Interview: Arnd Erbel

45, ist in der Backstube aufgewachsen. Dort, im mittelfränkischen Dachsbach nordwestlich von Nürnberg, wird seit 1680 Brot in den Ofen geschoben. Es ist eine der ältesten Bäckereien Deutschlands, seit Generationen in Familienbesitz. Arnd Erbel nennt sich Freibäcker. Er verzichtet auf Zusatzstoffe, Backmischungen oder standardisierte Mehle und backt zum größten Teil von Hand. Seine Rohstoffe findet er in der Region. Neben zwei eigenen Läden beliefert er zahlreiche Gourmet-Restaurants vom Allgäu bis an die Nordsee. Bezug über erbelbrot.de.

Dann hat er sicher auch einen Namen.

Friendship Sourdough. Und zwar, weil ich immer Sauerteige von Reisen mitbringe. Außerdem haben Freunde und Kollegen aus aller Welt auch immer Kulturen als Geschenk dabei. Weil ich nicht alle parallel pflegen kann, gebe ich die Kulturen meist zu meinem Friendship Sourdough. Dort können sie dann gemeinsame Sache machen.

Der Sauerteig findet immer mehr Freunde, auch unter Hobbybäckern.

Wunderbar. Das hebt das Urteilsvermögen. Wer sein Brot einmal selbst gebacken hat, wird sich sehr wahrscheinlich auf die Suche nach gutem Brot machen.

Aber deshalb ist Sauerteig nicht das Nonplusultra für jedes Brot?

Ganz und gar nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Baguette. Vor ein paar Jahren sind in Frankreich viele Handwerksbäcker auf die Idee gekommen, dafür Sauerteig zu verwenden, um sich von der Industrie abzusetzen. Wer „artisanal“, handwerklich, auf sein Schild schreiben wollte, machte „Baguette au levain“, also mit Sauerteig. So kann der Mensch von einem Extrem ins andere fallen. Sauerteig ist bei einem Baguette fataler als bei einem Roggenbrot, vor allem wenn ihm die Qualität fehlt. Denn Weißmehl hat keine Substanz, um die Säure geschmacklich abzupuffern. Das Ergebnis ist dann oft ein für meinen Geschmack zu saures Weißbrot. Es ist leider relativ unkontrolliert, was mit Sauerteig passiert.

Wie meinen Sie das?

Na ja, es ist so: Wilde Hefen sind überall in der Luft. Und die freuen sich auf ein Süppchen aus Mehl und Wasser. So wie auf Apfelsaft: Der beginnt mit der Zeit auch zu gären. Irgendwann blubbert es. Dann hat man die Vorstufe zu einem Sauerteig. Aber das hat mit Reife noch nichts zu tun. Kann sein, dass der nur säuert, aber nicht treibt. Auf diesen „Umschlag“ in der Qualität kommt es mir an.

Und wie drückt sich das aus?

Neben dem Aufgehen beispielsweise im Geschmack: Durch den Sauerteig entsteht im Brot ein herzhaftes Aroma. Gelegentlich kann das aber auch schiefgehen. Dann bekommt man unangenehme Säurespitzen. Interessant ist auch das Phänomen der Haltbarkeit: Ein Bäcker kann ein Brot genauso backen wie ein anderer, was Geschmack und Aussehen betrifft, aber das eine schimmelt früher. Sauerteig ist eben nie gleich Sauerteig.

Haben deutsche Bäcker dafür mehr Verständnis als französische?

Hier ist die Kultur schon anders. Deutschland ist ein Roggen- und Sauerteigland. Roggen kann ohne Säure nicht gebacken werden, sonst bleibt das Brot im Inneren glitschig und teigig. Aber über die Qualität sagt das wenig aus. Auf die wird bis heute nicht wirklich geachtet. Möglich gemacht haben das vor allem die Säurepulver und Hefen aus der Industrie, die man mit dem eigenen Sauerteig dem Brot zusetzen kann. Dann hat der Bäcker einen willenlosen, kontrollierbaren Sauerteig.

Braucht ein Sauerteig, um wirklich gut zu sein, ein bestimmtes Alter?

Nein, ein Sauerteig braucht Reife. In der richtigen Umgebung angesetzt, wie bei mir in der Bäckerei, hat man schon nach wenigen Wochen einen Teig, der ähnliche Ergebnisse bringt wie mein alter Freund.

Wenn man mit Ihnen spricht, kann man das Gefühl bekommen, Brot ist eine Wissenschaft.

Eigentlich würde es sich lohnen, über jedes einzelne Brot ein Buch zu schreiben. Aber wer will so was lesen? Mein Tipp: Weniger über Brot lesen. Wer ein paar Mal von Hand einen Teig knetet, erfährt viel mehr.

Warum nennen Sie sich Freibäcker?

Das ist anarchistisch gedacht. Ich bin selten gewillt, mich etwas anderem als meinem Sauerteig unterzuordnen. Mir ist einfach die hochgradige Abhängigkeit vieler Bäcker aufgestoßen. Von dem Kapitaldienst bei den Banken, von der Werbung, die sie machen, von den Backmitteln und Mehltypen. Davon bin ich einigermaßen frei. Ich kaufe das Getreide direkt vom Biobauern, mahle es selbst oder lasse es mahlen. Mein Müller sagt immer, das Mehl könnte er so keinem anderen Bäcker verkaufen. Bäcker mögen ihr Mehl normalerweise so wie voriges und vorvoriges Jahr. Sie wollen sich keinen Kopf darüber machen, ob es sich verändert. Ich will das. Ich freue mich schon darauf, was die nächste Ernte bringt.

Gab es Freibäcker nicht auch schon mal im Mittelalter?

Das habe ich später auch erfahren. Es waren Bäcker, die die Hansestädte damals den Zunftbäckern entgegengestellt haben, wenn es Preisabsprachen gab oder mindere Qualität. Es war ein früher Verbraucherschutz. Ich sehe das auch so. Weil ich eine Alternative biete.

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16 Kommentare

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  • Hola - ihr Schredderistas -

    &Supermarktsozialisierte -

     

    der Ofen & das Brot -

    von 1955 - Abi hab ich jede Bäckerei

    in meiner Heimatstadt - morgens verglöhst vor der Penne oder zwischendurch per Rad wg eilig Backzeug einschl. Kassieren angefahren;

    und da war - der Ofen & das Brot - eine

    der never ending storys -

    Zu recht - das schmeckt frauman nämlich so genau wie die Qualität des

    hier verhackstückten Sauerteigs;

    könnt ja zur Fortbildung noch mal den

    Freibäcker Arnd Erbel fragen.

    (schlicht peinlich)

     

    Ps: Danke für Ihren Kommentar. Er wartet auf Freischaltung. Bitte haben Sie Geduld und senden Sie ihn nicht mehrfach ab. - ok -

     

    mit F.K.Waechter - NÖ WIESO!

  • Ich wünsche diesem "Premium-Bäcker", dass er sein Wissen an interessierte Azubis weitergeben kann. Es wäre schön, wenn nach dem Aufbackbrot überall solche Bäckereien überall zu finden wären.

  • Kloogshitten -. . .

     

    Ein weiteres hier nicht genanntes Geheimnis ist - der Ofen -

    &was kommt in den Ofen alles rein -

    einige sagen so - andere so -

     

    Nie Kuchen - . . . doch Kuchen,. . .

    aber nur ala Klöben -. . .

    aber keine Torten - däh . . .

    (~> was für denn Konditer;)

     

    ps das mit Freibäcker und Hanse war mir neu - paßt aber zu deren frühen Sozialwerken (Heiligen Geist-Stift / Schiffergesellschaft-Witwen-Stift

    in Lübeck) & deren Ratsverfassungen.

  • Dieses Gespräch zu lesen hat nicht nur Heidenspass, sondern auch enormen Roggenbrotappetit gemacht. Und wo zum Bäcker soll ich das nun hier, am brasilianischen Äquator, gourmand-herzaubern...?

    • @Ardaga:

      frei selber backen? ;-)

    • @Ardaga:

      Ja, da kommt weit weg die Sauerteigbrot-Sehnsucht wieder auf. Das Problem hatten vor Dir schon andere am brasilianischen Äquator:

      http://brasil-web.de/forum/27794-sauerteig.html

      • @*Meinung*:

        Vielen Dank für den sicherlich gutgemeinten Tipp. Hab mir auch die Abenteuergeduldsarbeit angetan die empfohlene Seite aufzukriegen (bei unsren ganz normalen I-Verbindungen selbst vor Morgengrauen ein stundenlanges U-nehmen mit eher geringer Erfolgsmöglichkeit). Allein, die dort angegebenen Lösungen sind grosstadtbedingte. Und somit zu einem gänzlich anderen der vielen Brasiliens zugehörig. Bei mir hier gibts dorf/aldeiagemahlene Maniokmehle. Und selbstkultürlich auch keine belgischen (joint-venture-) Produkte (für Panetone). Die, ganz „nebenbei“, auch nichts mit der eigenbrötleranarchistischen und LIEBEvollen Hands-on-Philosophie des Interviewten zu tun haben.

        Das letzte Roggenbrot innerhalb eines der Brasiliens ass (und buk) ich ergo, als noch im (eurogeprägten und auch klimatisch euroähnlicheren) Paraná lebend. Vor + 20 Irdenrunden. Seit damals bleibt die Geschmackssaudade. Kurz angefacht wieder vom sehr schönen Beitrag hier.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Ein "freies" Brot. Wenigstens nicht durch Leiharbeit entstanden.

  • Soso, Hefebakterien also sind das Geheimnis allen Seins. Da hätte sich das kritische Nachfragen doch mal gelohnt.

    • @Lex:

      Das verstehe ich nicht. Wieso soll Jörn Kabisch für Sie "nachfragen", wenn Sie nur selber kosten brauchen?

       

      Im Übrigen scheinen Sie da etwas missverstanden zu haben. Es war nicht die Rede vom "Geheimnis allen Seins" im Artikel, sondern von schmackhaftem Brot. Arnd Erbel kann allenfalls das "Geheimnis" des WERDENS verraten. Wenn Sie wissen wollen, was das Geheimnis des SEINS ist, müssen Sie schon den Sauerteig befragen (lassen).

       

      Das Geheimnis des Werdens, übrigens, ist gar keins. Es besteht in der Liebe zur Sache. Aber kapieren können das natürlich nur solche Leute, die nicht zu faul oder zu feige sind, mal selber das zu tun, was sie schon immer unbedingt mal machen wollten.

      • @mowgli:

        Spätestens wenn man mit der Nase auf das Problem gestoßen wird, sollte es einem dann schon mal auffallen:

        Es gibt keine "Hefebakterien".

        Das Wort ist schon ein Widerspruch in sich selbst.

         

        Es gibt

        a) Milchsäure-Bakterien (die sind für "säuert, aber nicht treibt" verantwortlich)

        und

        b) Hefe-Pilze (die sorgen für das "treibt" im Sauerteig und in der Hefe)

         

        Wenn es Bakterien sind, ist es keine Hefe; Wenn es Hefe ist, sind es keine Bakterien.

         

        Sauerteig enthält Hefepilze und Milchsäurebakterien. Die klassische "Backhefe" hingegen enthält nur die Hefepilze.

        • @kleinalex:

          Nur noch mal zur Info, zum Unterschied zwischen Hefeteig und Sauerteig: (Ganz oben im Text)

           

          "Bei beiden sind Hefebakterien wichtig. In der Hefe stecken sie in einer Reinkultur, die man sofort zum Backen verwenden kann. Ein Sauerteig entsteht durch natürliche Gärung. Er enthält unterschiedliche Hefen, außerdem Milchsäurebakterien."

        • @kleinalex:

          Sonst wäre Hefe-Weizen ja auch so lecker wie Geuze.

          • @Age Krüger:

            Ui, wieder was gelernt. Geuze kannte ich noch nicht.

            • @kleinalex:

              Dat jute Cheuze-Bier kannten schon die Belgier zuzeiten des großen Asterix. Ich habe allerdings bis gerade auch nicht gewusst, was das sein sollte. So schließt sich nach Jahrzehnten auch bei mir endlich eine Wissenslücke.

              • @Karl Kraus:

                Da ist die Gose nicht weit -

                 

                &ein in der Bahn laut krähendes Kind -

                "Da - Mutti - das ist die Kneipe, wo wir immer mit Onkel Edgar hingehen!"

                und ein wissend schmunzelnd-nickendes Publikum -

                in der guten alten Händel-Stadt; facettenreich von Lionel Feininger verewigt.