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Baden-Württembergs CDU vor der Wahl"Verlängern wir halt"

CDU bedeutet Wohlstand - das galt im Südwesten Jahrzehnte als in Stein gemeißelt. Keiner hätte geglaubt, dass die Legende verblasst. Stefan Mappus hat es in einem Jahr geschafft.

Antiatom-Proteste in Baden-Württemberg sind auch Proteste gegen Stefan Mappus. Bild: dpa

STUTTGART taz | Bei einer Diskussion der baden-württembergischen Spitzenkandidaten in einer Stuttgarter Bank machte der Moderator ein Witzchen und sagte mit Blick auf die Uhr: "Wir haben nur noch begrenzte Restlaufzeit, meine Herren." Daraufhin grinste der Kandidat der CDU und sagte: "Verlängern wir halt."

Vielleicht ist Stefan Mappus grundsätzlich ein humorvollerer Typ als die potenziellen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD), die miteinander koalieren wollen. Aber an diesem Abend lachte niemand im Saal. Es herrschte eher so was wie peinliche Stille.

Es kommt halt immer auch auf das Timing an. Und das Timing des amtierenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg wird seit einiger Zeit als suboptimal empfunden. Mappus wollte die Restlaufzeit der aus seiner Sicht bombensicheren deutschen Atomkraftwerke weit ins 21. Jahrhundert verlängern. Eigentlich. Nun sieht er angesichts der Nuklearkatastrophe in Japan eine "emotionale Zäsur" und hat kurz vor der Wahl das AKW Neckarwestheim wegen Sicherheitsbedenken abgeschaltet.

Politische Gegner sagen: aus Opportunismus und Populismus. Und darauf spielt er im Wahlkampf ironisch an? Oder ist es gar eine Freudsche Fehlleistung, die seine wahren Gedanken offenbart? Oder einfach nur so spontan dahingesagt, dass es sein Kommunikationsberater Dirk Metz nicht mehr verhindern konnte.

Mappus, 44 Jahre alt, kam in den letzten Wochen öfter ins Seufzen: Bleibt er bei seiner Linie, so wie er es lange tat im eskalierenden Streit über das Bahnhofs- und Immobilienprojekt Stuttgart 21, gilt er als unbelehrbar. Lernt er dazu, hat er seine Prinzipien verraten. "Es gibt Themen, wo man machen kann, was man will", brummte er unlängst in seinem "Mapbus" benannten Wahlkampfmobil: "Man machts nicht richtig."

Aus seiner Sicht nachvollziehbar, denn er hat ein auch für ihn brutales erstes Jahr als Ministerpräsident hinter sich. Wenn er sagt, er sei ein anderer als vor Amtsantritt, so muss man das ernst nehmen. Aber wenn er dann seufzt, dass er gespannt sei, "was als Nächstes kommt", klingt das auch ein bisschen so, als brächte ein Gott oder der Teufel eigens Atomkraftwerke zum Explodieren, damit Mappus einen harten Wahlkampf hat.

Auf die harte Tour

Er wollte den Tiefbahnhof auf die harte Tour durchsetzen und seine Steherqualitäten beweisen, weil das erstens seine bevorzugte Strategie ist und er zweitens dachte, das käme gut an. Es kam ganz und gar nicht gut an. Nicht bei der Lauf- und nicht mal bei der Stammkundschaft.

Es hat Menschen, die sich als engagierte Konservative verstehen, von der CDU entfremdet und in die Arme des ökokonservativen Grünen-Spitzenkandidaten Kretschmann getrieben. Das war ihm eine Lehre, die Befindlichkeit seiner Bevölkerung in seine politischen und darstellungspolitischen Maßnahmen stärker einzubinden.

Kaum war in Japan der erste Reaktor in die Luft gegangen, da rief er schon: "Alle an den Tisch, alles auf den Tisch." Den Spruch hatte er bei Geißlers Schlichtung benutzt und war gut damit gefahren. "Unglaubliches Pech" hat er die Nuklearkatastrophe von Fukushima genannt. Unglaubliches Pech für ihn.

Als Mappus zu Hause in Pforzheim mal wieder mit dem Schicksal haderte, sagte er zu seiner Frau: "Was habe ich nur verbrochen?" Aber sie sagte es ihm nicht. Der führende Grünen-Politiker Boris Palmer hatte da weniger Hemmungen oder klarere Vorstellungen, als er in einem Essay in dieser Zeitung (taz vom 22. Februar) die Anklage führte: Mappus strebe die "Alleinherrschaft" an und habe durch "bedenkenlose Missachtung der Verfassung, der ökonomischen Vernunft und des politischen Anstands bereits bewiesen, dass er für das Amt des Ministerpräsidenten ungeeignet ist".

Das war vor Fukushima. Inzwischen scheint Palmers grüne Sicht fast Mainstream zu sein. Und Mappus muss damit kämpfen, dass er sich eben noch in Partei und Gesellschaft als außergewöhnlich engagierter Laufzeitverlängerungslobbyist positionierte und den parteiinternen Atomenergieskeptiker Röttgen gefeuert sehen wollte. Das könnte dazu führen, dass ihm nun die einen die neue Position als ergebnisoffener Atom-Grübler nicht abnehmen - und die anderen ihm das Räumen der alten Position übel nehmen.

"Ich war ein rationaler und überzeugter Befürworter der friedlichen Nutzung der Kernenergie."

Wovon waren Sie überzeugt, Herr Mappus?

"Ich war überzeugt, dass die Risiken einigermaßen beherrschbar sind." Aber nach Fukushima könne man "nicht mehr rational argumentieren".

Er unterscheidet gern zwischen "rational" - das ist er - und "emotional": das ist die aktuelle gesellschaftliche Mehrheitsposition.

Am Anfang schien es noch so, als könne er den am Parlament vorbei durchgezogenen Rückkauf der EnBW-Anteile als Erfolg verkaufen, weil sein mangelnder Respekt vor der Verfassung die Leute im Land nicht wirklich bewegte. Nun setzt sich die Ansicht durch, dass der 5-Milliarden-Euro-Deal auch nicht das finanzielle Meisterwerk ist, als das Mappus ihn in Wahlreden gern präsentiert. Sondern zur Folge haben wird, dass das Land nun den Atomausstieg bezahlt und nicht die, die jahrzehntelang Milliarden mit ihren AKWs verdient haben.

Aus Sicht der Mappus-Kritiker hat sich nicht das Schicksal gegen ihn verschworen, sondern er wird jetzt einfach gelehrt, dass er falschlag. Und zwar auf jene harte Tour, die er selbst bevorzugt. Er dachte, er könne den Wunsch nach Bürgerbeteiligung am Bahnhof mit dem Wasserwerfer abschmettern - und musste umdenken und als Nebendarsteller von Geißlers Schlichtung den Verständnisvollen geben. Er dachte, je längere Laufzeiten, desto besser - und musste umdenken. Als er unlängst die Abdankung des Stuttgarter OBs Schuster ausrief, musste ihn die Stuttgarter CDU zur Entschuldigung zwingen.

Er wendet nie freiwillig und rechtzeitig, sondern immer erst, wenn der Karren richtig im Dreck steckt, sagen die Kritiker. Die Stuttgarter Zeitung zitierte unlängst ein Mitglied der CDU-Landtagsfraktion mit dem Satz: "Mir war klar, dass Mappus für dieses Amt nicht viel mehr mitbringt als den Willen zur Macht." Er habe Mut, aber "nicht viele Talente".

Einen CDU-Ministerialdirigenten zitiert das Blatt mit dem Satz, Mappus regiere "einfach desaströs". Nun kann man sagen: Stefan Mappus ist ein Politiker, der halt permanent dazulernt. Doch wurde das Amt des Ministerpräsidenten dafür erfunden? "Ausgerechnet die Ökos stellen jetzt den Wertkonservativen, der sogar dem bürgerlichen Lager den Glauben an verlässliche Politik zurückgibt", schrieb die Bild über Winfried Kretschmann.

Einen so veritablen Ministerpräsidentenmalus hatte die CDU in 58 Jahren nicht.

Der Wohlstandsbonus

Die CDU lebt nach wie vor davon, dass sie und der enorme Wohlstand des Landes als kausal miteinander verknüpft gelten, damit, dass sie flächendeckend Ämter, Kommunen und Macht besetzt hält. Doch mit Stuttgart 21 hat sich zum ersten Mal das "andere" Baden-Württemberg formiert, das eben nicht mehr einen Rand darstellt, sondern die Jungen, die Kreativen, die sogenannten Leistungsträger beinhaltet und jene, die den Wohlstand der Zukunft nicht mehr mit energieintensiver Wirtschaft verknüpfen.

CDU-Kanzlerin Merkel hatte die Wahl früh zum Plebiszit über "S 21 und viele andere Projekte" ausgerufen. Nun stimmt man tatsächlich nicht nur indirekt über den Bahnhofsbau ab, sondern über den Atomausstieg und damit auch über die Energiewende, was tatsächlich epochal ist. Und auch wenn der skrupulöse Kretschmann das populistisch finden mag und Mappus selbst es "emotional": So wie die Sache steht, wird man am Sonntag in erster Linie auch über den Mann abstimmen, den seine verbliebenen Anhänger von der Jungen Union "Mappi" nennen. Wenn er nicht da ist.

Wenn selbst die CDU Baden-Württemberg mittlerweile überzeugt ist, dass sie die Wahl trotz ihres taumelnden Ministerpräsidenten gewinnen muss, die Chance für eine grün-rote oder rot-grüne Koalition so groß ist wie nie und die historische Situation da ist, in der es tatsächlich um die berühmte Wende in die Zukunft geht, energiepolitisch, wirtschaftspolitisch, aber auch was Partizipation und Politikstil angeht - was würde es bedeuten, wenn Mappus doch gewinnt? Es würde bedeuten, dass Baden-Württemberg zu Stefan Mappus sagt: Mach weiter so. Das würde sich ein Mappus nicht zweimal sagen lassen.

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11 Kommentare

 / 
  • MD
    Martin D.

    "CDU bedeutet Wohlstand" - das ist kausal falsch. Umgekehrt: Dort wo hoher Wohlstand herrscht, dort leisten sich die Wähler eine konservative Regierung. Dort wo es den Leuten nicht so gut geht, dort wählen sie eine soziale Regierung.

  • J
    Juri

    Den CDU-Hardcore-Atomern bleibt nur eine kurze Restlaufzeit. Gleich nach der Abwahl von Mappus muß Merkel zurücktreten. Sie ist in der Bevökerung diskreditiert und hat keine Autorität mehr für die Amtsausübung, von einer Bundesratsmehrheit ganz zu schweigen.

    Was ist der Unterschied zwischen Merkel und 80 Millionen Deutschen ? Wir brauchen keine Kernschmelze, um zur Vernunft zu kommen, denn wir kannten die Gefahren schon vor 30 Jahren ! Besonders die Nicht-Physiker fühlen sich in ihrer 'laienhaften' Gefahrenbewertung für AKWs zu 100% bestätigt. Früher war ja alles besser, da standen wir direkt am Atom-Abgrund - heute sind wir einen großen Schritt weiter !

    Der hochradioaktive Atommüll in den Castoren von Gorleben darf nicht länger ungekühlt vor sich hinstrahlen, das radioaktive Assewasser muß entseucht und die Behälter umgelagert werden, die Abklingbecken für die abgebrannten Atomstäbe an den AKWs bilden noch jahrzehntelang eine große Gefahr etc. Das bedeutet: Soziale Folgekosten der privaten Atomenenergienutzung in zweistelliger Milliardenhöhe, nachdem es noch immer keine sichere Atommülllagerung gibt. Regenerative Energien sind greifbar und können weiter ausgebaut werden, Ökostrom ist überall und preiswert zu haben.

    Der große Atom-Deal ist zu Ende und die Atomkanzlerin nurmehr eine matte Schachfigur am Ende ihres Weges.

  • P
    paul

    An der Sprache sollst du sie erkennen:

    Eine "friedliche" Nutzung der Kernenergie gibt es nicht, das ist typische Propaganda-Sprache der Atomkraft-Befürworter.

     

     

    Dass die Atomkraft-Fans ständig das Wort "friedlich" betonen müssen, ist schon interessant.

  • V
    vic

    Es drängt sich der Eindruck auf, als wären Atomkraftwerke - explizit deutsche - seit den Ereignissen in Japan unsicher und nicht mehr "einigermaßen beherrschbar" (Mappus) geworden.

    Mit Verlaub; unsicher waren die schon immer, und beherrschbar noch nie. Auch nicht "einigermaßen"

  • VR
    Volker Rockel

    Ich glaube immer weniger daran, dass Bürger tatsächlich eine Landesregierung mit politischem Niveau suchen. (Die Bürger haben diese Suche, nicht nur in Baden-Württemberg, längst aufgegeben!) - Was die Bürger allenthalben noch suchen sind Landesregierungen, von denen sie annehmen können, dass sie den geringsten Schaden anrichten können!

     

    Ich bin davon überzeugt, dass in den Bundesländern die Leistungsfähigkeit einer Landesregierung inzwischen am allerwenigsten damit zu tun hat ob, und inwieweit eine Landesregierung Bundesland tatsächlich leistungsfähiger ist als die in anderen Bundesländern.- Weder Baden- Württemberg noch Bayern haben in den letzten Jahrzehnten Landeregierungen gehabt, die sich als echte „high performer“ erwiesen haben!

     

    Meine These ist, dass in diesen Bundesländern sich historisch eine wirtschaftlich und gesellschaftliche Leistungsfähigkeit entwickelt hat, die dazu geführt hat, dass sich diese Bundesländer im Grunde genommen von der tatsächlichen politischen Leistungsfähigkeit ihrer Landesregierungen völlig abgekoppelt haben!

     

    Man könnte es auch als „historische Eigendynamik“ oder „kollektive Intelligenz“ bezeichnen!- In jedem Fall nichts, was mit dem „Niveau einer Landesregierung“ zu tun hat!

     

    Und was Mappus angeht: Der hat inzwischen den Bürgern bewiesen, dass mit ihm der Schaden größer ist, als der Nutzen!

  • R
    RLS

    Wie war es möglich dass ich diesen Artikel lesen konnte.

    Wenn man Konservativen Politiker gehört hatte,

    dürften nachdem sieben Reaktoren abgeschaltet wurden kein Computer mehr laufen.

     

    Genauso wird es auch sein wenn ein Grüner Baden Würtemberg regiert,

    nichts wird passieren.

    Es kann höchstens besser werden,

    denn schlechter wie Mappus ist unmöglich.

     

    Und auf keinem Fall lasst die SPD regieren,

    die Seeheimer haben auch keine Chance mehr verdient.

    Es hat sehr lange gedauert,

    aber endlich hat man genug von diesen Chaoten in der Politik.

  • Y
    Yeti

    Hier im "Ländle" wird klar,das Verlieren der Macht des allgegenwärtigen "CDU-Filzes" ist auch der Anfang vom Ende der Regierungsparteien im Bund.

    Mit Recht!

     

    Da helfen auch die unzähligen Postwurfsendungen, Zeitungsbeilagen und heute die orangeroten an jeder Türklinke angebrachten Aufhänger nicht mehr die da fordern: "WÄHLEN GEHEN! _CDU" !

     

    Die Wähler dokumentieren: " CDU_ DER OFEN IST AUS"

  • K
    Kauks

    Slut med politiken. Vi behöver ingen politik.

  • K
    kontra

    Es ist endlich Zeit für einen Wechsel in BW.Die CDU ist viel zu lange schon an der Macht. Leute strängt Euch morgen an und fällt den Baum der sich CDU nennt (ist eigentlich nur noch ein bäumchen), der nimmt nur das Licht für andere positive Entwicklungen.

  • G
    george

    Was mit Blick auf über 57 Jahre CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg auch wichtig sein sollte: Grüne und SPD täten nicht schlecht daran, "Beobachter" um spätestens 18 Uhr in der Nähe der Ministerien zu postieren.

     

    Denn für den Fall, dass Schmid (SPD) und Kretschmann (Grüne) im ersten Trend schon klar vorne liegen, könnte es ja unter Umständen sein, dass deren Vorgänger möglichst schnell und zügig die Räumlichkeiten in manchen Ministerien "frei" machen, um so - auf kollegiale Weise - Platz für die Leitz-Ordner und die Festplatten der neuen Regierung zu schaffen.

     

    Das wäre dann eine Form von "schwäbischer Kehrwoche", wie man sie zwar noch nie erlebt hat, aber es gilt die Spruchweisheit: "Ich hab' schon Pferde kotzen gesehen!" In diesem Fall wären das ja wohl die drei schmucken Löwen im Landeswappen...

  • BH
    Birgit Homburger

    Ich finde, dieser verhagelte Wahlkampf ist eine ZÄSUR, die den schrecklichen Ereignissen in Japan in nichts nachsteht. Wir sollten einmal innehalten, und ein dreimonatiges Wahlmoratorium einlegen.