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Bachmann-Wettbewerb in KlagenfurtHandzahme Texte

Das Gros der Texte hatte nur sprachliches Mittelmaß erreicht. Die Ausnahme wird Bachmann-Preisträger: Jens Petersen mit einem auf wunderbare Weise fesselnden Text.

Der Bachmann-Preisträger 2009: Jens Petersen Bild: dpa

KLAGENFURT taz | Dass Literatur Sprache in einem unwahrscheinlichem Zustand sei, so hat es der Philosoph Max Bense einmal gesagt. Eine Unwahrscheinlichkeit, so könnte man Bense weiterdenken, die einem den Blick auf die Welt und das eigene Leben für ein paar Momente neu justiert - überraschend, beglückend vielleicht oder auch ein wenig schmerzlich. Schaut man sich die vierzehn Texte an, die in diesem Jahr bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur vorgestellt wurden, dann musste man feststellen, dass dieser unwahrscheinliche Zustand der Sprache relativ unwahrscheinlich geworden ist. Das ist nicht unbedingt überraschend, ein wenig schmerzlich ist es schon.

Während der Lesungen, die in diesem Jahr zum ersten Mal nur an den Vormittagen stattfanden, traf man fast ausschließlich auf Texte, deren Sprache kaum Untiefen oder Verwunderliches bargen. Bös gesagt, reihte sich zumeist, sehr souverän zwar, Satz an Satz, konstatierend eher als behauptend, hinnehmend und nicht fordernd. Auch an der Eröffnungsrede von Josef Winkler, die wie ein sprachsprühendes Donnerwetter am ersten Abend niedergegangen war und die ganz alltäglichen Abgründe der Politik freigelegt hatte, mag es gelegen haben, dass der handzahme Gestus der meisten Texte so augenscheinlich wurde.

Natürlich ist es eine doppelte Grundsatzdebatte, die man daran entspinnen kann: Muss Literatur denn überhaupt widerständig sein, ist die eine Frage. Oder ist es nicht einfach auch eine Qualität von Büchern, dass sie eine interessante Geschichte auf gute Weise erzählen. Und die zweite Frage ist: Wie ändert sich der Anspruch an Texte, wenn man sie beim Bachmann-Wettbewerb hört? Auf der einen Seite wartet man auf etwas Besonderes, etwas Extremes womöglich, weil durch diesen Preis ja eben auch eine Messlatte für das gelegt wird, was man ganz grundsätzlich an zeitgenössische Literatur heranträgt. Es sind also immer auch symbolische und programmatische Entscheidungen, die hier getroffen werden.

Dadurch gerät man in einen seltsamen Spagat, weil man in Klagenfurt immer in der Gefahr ist, jedem Text eine Berechnung zu unterstellen, genau auf dieses Extreme, dieses Besondere abzuzielen. Und auf diese Weise instrumentiert zu sein widerspricht natürlich so ganz und gar dem, was Literatur sein darf. Im Fall von Philipp Weiss etwa, der eine wunderschön sprachspielerische und absurd witzige Geschichte über einen Autor las, dessen Schreibkrise sich in einem Gefecht der Hände äußert (die eine streicht durch, was die andere gerade geschrieben hat) und an Robert Walsers oder Robert Musils ornamentale Negationen des Wirklich- und Wahrhaftigkeit erzeugenden Schreibens anknüpfte, witterte mancher nicht nur kalkulierten Humbug, sondern eine Persiflage auf das Klagenfurter Wettlesen selbst - die Autorfigur ist, es kann auch Zufall sein, mit seinen 33 Jahren genauso alt wie der Bachmannpreis.

Das mochte allerdings auch damit zu tun haben, dass Weiss sich getraut hatte, das traditionelle Filmporträt, durch das jeder Autor vorgestellt wird, in eine mehrminütige musikunterlegte und ansonsten stumme Grimassenshow zu verwandeln. In solchen Fällen trifft man in Klagenfurt schnell auf verschnupfte Reaktionen. Ein bisschen mehr Respekt vor dem hehren Selbstverständnis dieses Preises wird schon gefordert. Deshalb kam Weiss am Ende noch nicht mal auf die Shortlist der möglichen Preisträger.

Auch wenn an solchen Gesten das Missfallen der Jury deutlich wurde, blieben die Diskussionen in diesem Jahr insgesamt relativ harmlos - starke Plädoyers für oder gegen Texte gab es so gut wie nicht. Dafür aber aufschlussreiche Selbstauskünfte über das Leseverhalten der Jury, das einen zuweilen doch ein wenig verwundern konnte.

Jurorin Meike Fessmann etwa konnte sich deshalb nicht recht für den den Text "Bis dass der Tod" von Jens Petersen erwärmen, weil er ihr zu beklemmend und klaustrophobisch war. Das ist schon ein etwas eigenartiges Argument, zieht es doch den Umkehrschluss nach sich, dass gute Literatur sich dadurch auszeichne, angenehme Atmosphäre zu evozieren. In solchen Momenten war man dann fast am Niveau des Eröffnungsabends angelangt, auf dem der stellvertretende Bürgermeister von Klagenfurt sein Herz für die Literatur damit begründet hatte, dass man sich durch sie so schön von dem ganzen Stress des Alltags erholen könne.

Ein bisschen mehr sollte es in Klagenfurt aber schon sein. Daher wurde ja zum Glück nicht der Kärtner Offizielle durch die gepfefferte Rede von Josef Winkler kräftig abgebügelt. Zum Glück setzte sich auch das Argument nicht durch, dass atmosphärisch dichte Literatur wie der Text von Jens Petersen irgendwie unlauter sei. Jens Petersen wurde von der Jury mit dem Bachmanpreis 2009 ausgezeichnet.

Petersen, 1976 geboren, der als Facharzt für Neurologie in Zürich lebt, entwirft in seinem Text, dem Romanausschnitt "Bis dass der Tod" eine von Ingredienzen des Todes durchzogene Szenerie, eine postapokalyptische Landschaft, in der sich ein ganz gegenwärtiger Konflikt unserer Zeit zuträgt: Ein Mann hat sich entschlossen, seiner Frau den größten und letzten Liebesdienst zu erweisen, und macht sich dadurch zum Verbrecher: Er erschießt die kranke Nana, die sich kaum mehr bewegen kann und nur noch durch ein Zwinkern mit den Augen einen letzten, seidenen Faden zur Außenwelt genüpft hat. Wie Petersen, der 2005 mit seinem vielgelobten Roman "Die Haushälterin" debütierte, mit einer beherrschten und zum Zerreißen gespannten Sprache dem Thema Sterbehilfe und zugleich der ganz persönlichen Moral seines Protagonisten nahekam, kann man zu Recht als beklemmend empfinden. Aber gerade darin besteht seine umwerfende poetische Kraft.

Es mag nicht nur dem Regen geschuldet sein, der mit wenigen Pausen erbarmungslos niederprasselte, dass es am Ende doch kein kleines Klagenfurter Sommermärchen geworden ist. Als in der vierzehnten und letzten Lesung mit Caterina Satanik eine Autorin ihren Text las, die bisher noch nie etwas veröffentlicht hat, zeigte die Jury viel Sympathie für ihre verhuschte, eigenartig naive Protagonistin, die mit einer immer wieder aufblitzenden philosophischen Schläue über das Verlassenwerden von ihrem Freund sinniert. Für einen Preis hat es dann doch nicht gereicht, immerhin für eine Platzierung auf der Shortlist.

Prämiert wurden anstelle dessen Texte, die sich mit den Verstrickungen von deutscher Vergangenheit und Familiengeschichten auseinandersetzten. Gregor Sander erhielt für seinen wunderbar ruhigen norddeutschen Text über Spuren der deutsch-deutschen Teilung, die sich bis tief in die Gegenwart eingeschrieben haben, den 3sat-Preis. Katherina Born trat mit einem Text über eine Familie an, die an den psychologischen Versehrtheiten ihrer 68er-Verstrickungen laborierte. Sie wurde dafür mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet. Den Kelag-Preis schließlich bekam Ralf Bönt, der über die selbstzerstörerischen und zugleich die Welt erhellenden Leidenschaften zweier Wissenschaftler erzählt - und das mit der wohl außergewöhnlichsten Perspektive, die man seit Langem gelesen hat. Sein Erzähler ist ein Phonon, ein physikalischen Teilchen.

Über mangelnde Werthaltigkeit der Texte konnte man sich also nicht beklagen. Und so konnte man, auch wenn sich das Gros der Texte in einer sprachlichen Mittellage bewegte, am Ende doch ein wenig versöhnt sein. Trost gab es dann auch für das fehlende Türkis des Wörthersees, das in diesem Jahr durch hartnäckige Gewitterwolken mehr ins stumpfe Blaugrau gekippt war. Zwar blieb das kollektive Badengehen des Literaturbetriebs aus und nur wenige Mutige tauchten mehr als den großen Zeh ins kalte Wasser, dafür aber errang eine wenn auch am Ende leidlich ramponierte Auswahl deutscher Literaturschaffender einen legendären 3:1-Sieg gegen die österreichische Literatennationalmannschaft.

Und noch ein Trend hat sich in diesem Jahr als Lesungskompensation herauskristallisiert: Minigolf. Was das über den Geist der deutschen Literatur aussagt, darüber kann man bei Gelegenheit noch mal nachdenken.

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