: Bachelor sucht Kraut
Schon immer sind Studierende Experten im Cannabisanbau. An der FH Erfurt bekommen sie dafür jetzt auch einen Abschluss

Von Cordula Rode
„Wir müssen immer wieder erklären, dass wir hier nicht Kiffen lernen.“ Für Christopher Schick und seine Kommiliton:innen sind solche Vorurteile an der Tagesordnung. Er nimmt es mit Humor: „Wir sind halt Pioniere auf diesem Gebiet.“
Christopher Schick gehört zu den ersten Studierenden, die sich an der Fachhochschule Erfurt für den Bachelor-Studiengang „Gärtnerischer Pflanzenbau“ eingeschrieben haben. Dort können sie seit letztem Herbst auch Cannabisanbau studieren.
„Die Basis ist nach wie vor der Studiengang 'Gärtnerischer Pflanzenbau’“, erklärt Studiengangleiter Wim Schwerdtner. „Durch die Wahl der entsprechenden Module kann das Thema Cannabis aber bis zu 40 Prozent des Studiums ausmachen.“
Als Vorreiter auf diesem Gebiet müssen Dozent:innen und Studierende noch oft gegen Vorbehalte kämpfen. Dabei hat die Hanfpflanze in jeder Hinsicht viel zu bieten, sei es in der Medizin, der Ernährung oder auch der Textilbranche. Cannabis gehört zu den ältesten Nutz- und Heilpflanzen der Menschheit und war bereits im alten Ägypten und später auch bei Römern und Kelten eine viel genutzte und aufgrund der Vielfalt ihrer Verwendung sehr geschätzte Pflanze.
Dass die Tausendsassapflanze in Verruf kam, hat unterschiedliche Gründe. „Einer davon war das Ende der Alkohol-Prohibition in Amerika“, weiß auch Wim Schwerdtner. Harry J. Anslinger, der damalige Leiter des Federal Bureau of Narcotics, das für die Umsetzung des Verbots zuständig war, führte seit den 1930er-Jahren einen regelrechten weltweiten Feldzug gegen Cannabis. Man geht davon aus, dass Anslinger nach dem Ende der Prohibition einen Weg suchte, die Bedeutung seiner Behörde zu wahren. Auch rassistische Tendenzen sind unverkennbar. Cannabis wurde bevorzugt „Marihuana“ genannt. Die Konsumierenden waren in Anslingers Kampagne hauptsächlich Afroamerikaner und Mexikaner, die durch die angebliche Enthemmung, die der Konsum des „Killer Weed“ auslösen sollte, reihenweise weiße Mädchen und Frauen vergewaltigten und töteten. Was natürlich jeder Tatsache entbehrte.
Aber auch wirtschaftliche Interessen spielten damals eine Rolle. Textil- und Papierhersteller fürchteten die Konkurrenz durch Hanfprodukte, weil diese deutlich günstiger produziert werden konnten. Auch in der heutigen Textilindustrie könnte Hanf sehr bald wieder eine deutlich größere Rolle spielen als bisher. Und wer bei Hanf an unförmige Säcke aus grobem Gewebe denkt, liegt falsch, wie Dozent Wim Schwerdtner erläutert: „Englische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ein Textilfund aus dem Alten Ägypten, den man jahrzehntelang für Seide gehalten hatte, in Wirklichkeit ein Hanfgewebe ist.“
Vorurteile oder gar Scheuklappen gibt es an der FH Erfurt nicht: Das Wahlpflichtmodul Cannabisanbau fokussiert sich dabei auf die Biologie der Pflanze, unabhängig von ihren Verwendungsmöglichkeiten.
Durch Exkursionen zu Produzenten und verarbeitenden Betrieben sollen die Studierenden alle Aspekte von Anbau und Nutzung der Pflanze kennenlernen. Die Motivation der Absolvent:innen ist groß – durch Zufall ist hier niemand gelandet. Sie alle verbinden die Leidenschaft und das besondere Interesse für Cannabis.
„Ich fand Cannabis bereits in meiner Schulzeit faszinierend“, erzählt Christopher Schick. Als er von dem neuen Studienangebot an der FHE erfuhr, studierte er noch in Tübingen Englisch und Geschichte auf Lehramt. Die Entscheidung, nach Thüringen zu wechseln, fiel ihm nicht schwer: „Ich habe das nie bereut – das Studium erfüllt alle meine Erwartungen.“ Er schätze es sehr, dass er immer kompetente Ansprechpartner:innen habe.
Bereits seit Donnerstag und noch bis Sonntag findet mit der Mary Jane auf dem Berliner Messegelände die größte Hanf-Messe Europas statt. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 60.000 Besuchern.
In den Hallen präsentieren 500 Aussteller Bongs, Vaporizer und alles, was man so für den Anbau benötigt. Mit hanfbasierten Beauty- und Medizinprodukten spricht sie längst ein breites Publikum an. „Ein Jahr nach der Legalisierung ist Deutschland der innovativste, dynamischste Cannabis-Markt“, schreiben die Veranstalter.
Zur Mary Jane gehört auch ein Festival-Programm: Im Sommergarten spielen am Samstag neben vielen anderen Acts Rapper Samy Deluxe und der Berliner Marvin Game – beide sind selbstverständlich bekennende Kiffer.
www.maryjane-berlin.com
Eine eventuelle Aufhebung der gerade erst erreichten Teillegalisierung in Deutschland, die die neue Bundesregierung unter Merz angekündigt hat, würde den Studiengang in Erfurt nicht gefährden, so der Studiengangleiter: „Wir vermitteln hier ausschließlich die Biologie und die Kultivierung der Pflanze, völlig unabhängig von der Verwendung.“
Für die Absolvent:innen wäre im Fall einer Rücknahme der Teillegalisierung zwar die Produktion für die private Nutzung betroffen. Die meisten Studierenden aber sehen ihre berufliche Zukunft ohnehin eher im Anbau für medizinische Zwecke, so auch Christopher Schick. Sein Plan: „Ich möchte nach dem Examen in einem Betrieb für den Anbau von Medizinalhanf Erfahrungen sammeln, um mich später dann vielleicht selbstständig zu machen.“
Sorgen um ihre berufliche Zukunft müssen sich die Studierenden auf jeden Fall nicht machen: Bereits jetzt gibt es an der FH Erfurt regelmäßige Anfragen von Unternehmen, die auf die hochqualifizierten Akademiker:innen warten.
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