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Babylon feeling

Wir regen uns über alles auf und sorgen stets dafür, dass wir nicht nachdenken müssen DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Achtung! An alle Unterstützergruppen: ab sofort für Creative- Writing-Kurse im Knast plädieren!

Warum um Himmels Willen wird hier seit Tagen ein Bischof gehyped, der einfach nur etwas gesagt hat, was man als Bischof sagen muss. Die Mutter gehört zum Kind wie Maria zum Jesulein. Recht so, Herr Bischof. Und wer doch sein Kind, aus welchen Gründen auch immer, lieber in die Krippe bringen will, sollte wissen: Es ist kein Grund zur Exkommunikation!

Warum zum Teufel also regen wir uns über irgendeinen Kirchenmann auf, den vorher niemand kannte und den schon nächste Woche jeder vergessen haben wird? Warum müssen wir uns überhaupt ständig über irgendetwas aufregen oder uns fürchten, und dann ist es wieder so, als sei nichts gewesen?

Rinderwahnsinn, Kindermörder, Genom, Vogelgrippe, Feinstaub, J. Lo’s Arsch und Britney Spears’ Glatze. Alles ist gleich wichtig, weil sich genau daraus die Maschinerie speist: irgendetwas hochjazzen, drei Tage bis zur endgültig uneindeutigen Geschmacklosigkeit durchkochen und weg damit. Schon vergessen.

Aus „schon vergessen“ kann allerdings völlig neues Leben entstehen – wie damals, als der alte Moshe Zuckermann mit dem Schiff nach New York kam und auf Ellis Island bei der Immigration nach seinem Namen gefragt wurde. „Schon vergessen“, murmelte Moshe undeutlich in seinen Bart, und der Immigration Officer schrieb auf, was er gehört hatte. So kam es, dass seit drei Generationen die Oberhäupter einer jüdischen Schrottplatzdynastie Sean Ferguson heißen. Das ist doch mal ein ganz anderes Second Life.

Zurück zum Bischof, der gestern noch geschniegelt und geschmeichelt durch alle Zeitungen und Talkshows gereicht wurde, und heute – schon vergessen.

Da ist ja selbst in New York die Nachrichtenlage noch langlebiger: Seit Wochen wird über nichts anderes als Anna Nicole Smith geredet. Was müsste hier wohl passieren, damit mal ein Richter weint?

Wäre ich noch paranoider als ich wirklich bin, würde ich sagen: Irgendjemand sorgt dafür, dass immer an einem anderen Rad gedreht wird, damit kein Stillstand in der Maschinerie entsteht und Innehalten uns zu Bewusstsein kommen ließe. Dass bloß niemand sagt: Stopp!, ich muss mich mal sammeln und nachdenken! Doch schon dreht sich wieder ein anderes Rad und das heißt Christian Klar.

Man muss nicht besonders lange innehalten und darüber nachdenken, warum und was Klar als Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz gesandt hat – es war im Groben so etwas wie, dass jetzt Hoffnung von verschiedenen Ländern in Lateinamerika ausgehe, weil da den Rechten der Massen Geltung verschafft würde. Zudem sei es hier nicht so knorke, weil ein großes imperiales Bündnis von Europa ausginge, welches sofort bestrafe, wenn sich ein Land der aktuellen Neuverteilung der Profite widersetzen wolle.

Der sicherlich dümmste Satz seines Schreibens ist die in schrecklichem Technokratendeutsch formulierte Fehleinschätzung, die Welt sei geschichtlich reif für Veränderung, damit sie für zukünftige Neugeborene „die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potentiale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.

Achtung! An alle Unterstützergruppen: Ab sofort für Creative-Writing-Kurse im Knast plädieren! Klar gewinnt also vermutlich keinen Literaturpreis mehr in diesem Leben und eine Psychotherapie wegen infantilem Trotz im fortgeschrittenen Erwachsenenalter wäre auch nicht schlecht – aber damit, dass er nicht schreiben kann und kindisch ist, steht er weiß Gott nicht alleine da.

Hunderte von Tresenlümmlern, Dotcom-Verlierern und Unterschichtenprogrammemachern und -guckern teilen sein Los. Müssen die jetzt alle in den Knast? Keine Gnade für Niemand? Wird etwa Blödheit in einer verblödeten Gesellschaft bestraft? Ja, wenn man die Regeln nicht einhält. Wie überall.

Es gibt diesen unvergesslichen Cartoon, auf dem ein Mann in Zwangsjacke unter einem Baum sitzt, an dessen Ast kopfüber ein Yogi hängt. „Kannst du mir mal sagen“, fragt der Gefesselte den Yogi, „warum man mich für irre und dich für heilig hält?“ „Weil ich weiß, wem man wann was sagen sollte“, antwortet der Yogi.

Christian Klar ist eindeutig kein Yogi. Und will es wohl auch gar nicht sein. Denn nur so kann man verstehen, dass einer genau dann so einen Käse verzapft, wenn der Bundespräsident gerade gegen alle Reueforderungen und kategorischen Unversöhnlichkeiten über eine Begnadigung entscheiden soll. Wer dann so etwas schreibt, der will vermutlich gar nicht raus aus der Zwangsjacke. Im Knast ist es ja wie im Aschram sehr bequem. Man muss nichts entscheiden. Noch nicht mal, was man kochen soll. Der Tag ist strukturiert und man hat keine Verantwortung.

Vielleicht will er aber auch nur nicht das erleben, was Yaak Karsunke einst so schön in einer Gedichtzeile schrieb: „he used to be a bigshot & jetzt steht er in billigturnschuhen vor dem katzenfutterregal“.

Dass hienieden nicht alles zum Besten bestellt ist, ist wohl ein Gedanke, den wir so oder ähnlich alle schon mal gedacht haben, wenn das Unbehagen zu groß wird. Wenn man als einzelner Mensch das Gefühl hat, den prasselnden Nachrichten, diesem Gemisch aus politischer Manipulation, marktschreierischem Marketing und charakterlosem Journalismus nicht mehr standhalten zu können.

„he used to be a bigshot & jetzt steht er in billigturnschuhen vor dem katzenfutterregal“

Wenn wir diese Gedanken haben, dann schlafen wir nicht oder träumen schlecht; wir sind gereizt oder depressiv, wir hören traurige Musik, rennen im Park, schreiben zornige Gedichte, stemmen Gewichte oder malen schöne Bilder. Wir machen alles Mögliche, um uns nicht unterkriegen zu lassen. Wir benutzen nur keine Sprache, die dem, was sie anklagt, so entsetzlich ähnlich ist. Wir wollen nur eins nicht: dem ähnlich werden, worunter wir leiden.

Aber auch wenn wir Klars Sprache nicht mögen, sind seine schlichten Gedanken immer noch Gedanken, die man hier denken, sagen und schreiben darf, ohne dafür ins Gefängnis zu müssen. Die üblichen Kandidaten, vom RAF-Experten Kraushaar bis CSU-Generalsekretär Söder, haben natürlich sofort Pawlow-mäßig reagiert. Schnapp, schnapp. Ich bin zwar nicht so paranoid wie ich sein könnte, aber paranoid genug, um manchmal den Verdacht zu hegen, dass es irgendwo irgendjemanden gibt, der Interesse daran hat, dass nicht über das geredet wird, was wirklich wichtig ist.

Darfur, zum Beispiel. Ein Genozid, dem die ganze Welt ruhig zuguckt, weil dort mit keinem Eingriff was zu verdienen wäre. Vielleicht, hinterher. Vielleicht, wenn doppelt so viele Schwarzafrikaner von arabischen Milizen ermordet worden sind – bis jetzt sind es 200.000 – ab 500.000 machen wir Filme darüber, in denen wir weinen können. So wie vor zwei Jahren, in denen über Ruanda. Dort wurden 800.000 Menschen abgeschlachtet, während wir zuguckten. Ignoranzkultur mit Wegwerfmedien.

Warum sagt der Bischof, den wir schon fast wieder vergessen haben, dazu nichts?

Fotohinweis: Renée Zucker ist zwar kein Yogi, hat aber auch keine Zwangsjacke.

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