piwik no script img

BVerfG über AnklageschriftenZitieren bleibt verboten

Wer vor einem Strafprozess die Anklageschrift veröffentlicht, macht sich weiterhin strafbar. Das ist vor allem für Journalisten ein Ärgernis.

Manchmal bleibt mehr verborgen als nur die Anklageschrift. Bild: dpa

Die Vorabveröffentlichung von Anklageschriften durch Journalisten und Bürger bleibt strafbar. Das Bundesverfassungsgericht lehnte jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen die entsprechende Strafnorm ab. Selbst wenn der Angeklagte mit der Veröffentlichung einverstanden ist, ist das strafrechtliche Verbot nicht „objektiv ungeeignet“, so die Richter.

Wer die Anklageschrift oder andere öffentliche Dokumente eines Strafverfahrens im Wortlaut veröffentlicht, bevor sie vor Gericht behandelt wurden, macht sich also auch weiterhin strafbar. Das bestimmt das Strafgesetzbuch (§ 353d). Angedroht wird eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

Die Vorschrift ist für Journalisten ein beständiges Ärgernis. Zwar dürfen sie im Vorfeld von Prozessen über fast alles berichten, was sie erfahren. Wörtliche Zitate aus den Akten sind aber verboten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich schon einmal mit dem Problem befasst. In den 80er Jahren hatte der Stern Akten aus dem Flick-Prozess veröffentlicht, wofür fünf Journalisten bestraft werden sollten. Das damals angerufene Bundesverfassungsgericht hielt 1985 die Strafvorschrift für verfassungskonform – soweit die Veröffentlichung „ohne oder gegen den Willen des von der Berichterstattung Betroffenen erfolgt ist.“

Im konkreten Fall ging es nun aber um einen Betroffenen – einen Mann aus Niedersachsen, der wegen gewerbsmäßigem Betrug und Urkundenfälschung angeklagt war. Das Vorgehen der Justiz hatte ihn so empört, dass er die Anklageschrift noch vor dem Prozess auf seiner eigenen Homepage zum Download anbot. Dafür wurde er 2009 mit einem weiteren Strafverfahren überzogen und musste am Ende 160 Euro Geldbuße (10 Tagessätze) bezahlen.

Verfassungsbeschwerde gescheitert

Der Mann ließ nicht locker und legte Verfassungsbeschwerde ein. Die Strafvorschrift sei verfassungswidrig, soweit sie die Veröffentlichung einer Anklageschrift auch dann mit Strafe bedrohe, wenn der Angeklagte mit der Veröffentlichung einverstanden ist. Hier gehe es offensichtlich nicht darum, die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen zu schützen, sondern öffentliche Kritik an der Staatsanwaltschaft zu verhindern. Die Klage war auch für Journalisten interessant, da diese ihr Material in der Regel von Angeklagten oder deren Anwälten erhalten.

Auch diesmal scheiterte die Verfassungsbeschwerde. Schließlich bewahre die Strafvorschrift nicht nur den Angeklagten vor öffentlicher „Vorverurteilung“. Auch eventuelle Mitangeklagte und Nebenkläger seien geschützt. Außerdem solle die Strafnorm verhindern, dass Zeugen und Schöffen eines Prozesses „durch die vorzeitige Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt werden“.

Zwar sei nur die wörtliche Wiedergabe verboten, doch habe gerade diese besonders große Wirkung, weil sie „den Eindruck amtlicher Authentizität“ erwecke. Das Zitatverbot sei verhältnismäßig, weil der Inhalt der Anklageschrift mit eigenen Worten zusammengefasst werden dürfe. Eine öffentliche Auseinandersetzung sei möglich, so die Richter.

Damit ist nun wieder der Gesetzgeber gefragt. Erst jüngst forderte der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Eisele eine Abschaffung der „rechtspolitisch verfehlten Norm“. 2006 hatten im Bundestag FDP und Grüne eine Abschaffung beantragt, scheiterten jedoch an der damaligen Großen Koalition.

Justizminister Heiko Maas (SPD) ist nicht gewillt, etwas zu ändern. Das Ministerium „sieht derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, hieß es am Mittwoch auf Anfrage der taz.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Was soll dieser schlecht getarnte Lobbyismus? Natürlich ist es für den Journalisten ein "Scoop", die Anklageschrift im Voraus veröffentlichen zu können, weil er - und möglichst nur er - sie in die Finger bekommen hat. Aber so sind halt die Spielregeln - und ja, die gelten manchmal sogar für die Presse. Scoops sind übrigens auch nur dann etwas wert, wenn sie schwer zu bekommen sind.

     

    Vor allem aber: NEHMT EUCH NICHT SO WICHTIG! Die Verhandlung ist in aller Regel öffentlich, und ob ihr Inhalt am Verhandlungstag zum Vorschein kommt oder zwei Tage vorher, ist nur ein Weitpinkelwettbewerb zwischen Euch Schreiberlingen. Bei einem Strafprozess geht es darum, dass das Gericht sich auf faire Weise eine Meinung bilden und zu einem Urteil kommen kann, sonst gar nichts. Und Ihr seid eingeladen, den Prozess zu beobachten und kritisch zu hinterfragen, damit das "fair" gewährleistet ist. Für das Urteil hingegen seid Ihr nicht zuständig, und das faire Verfahren durch frühestmögliche Meinungsmache zu untergraben, ist schon gar nicht Eure Aufgabe. Also lamentiert nicht, dass man Euch genau das ein wenig erschwert.