BUND arbeitet Geschichte auf: Dunkelbraunes Habitat
Der mächtige BUND Naturschutz in Bayern hat endlich seine Geschichte aufschreiben lassen. Wenig ruhmreich ist vor allem das Kapitel über die NS-Zeit.
BERLIN taz | Der Stadlersee bei Lohr am Main ist ein Altwasser des Flusses am Fuße des Rombergs. 1902 erwarb ein gewisser Max Stadler den namenlosen Auwaldrest, „um ihn für die Nachwelt zu erhalten“, wie die Ortsgruppe Lohr-Lohrtal des BUND Naturschutz in Bayern (BN) auf ihrer Internetseite schreibt.
Denn der See beherberge eine faunistische Rarität, den „Frühjahrs-Kiemenfußkrebs“. Das urzeitliche Tier bewohne die Erde schon seit mehreren Hundert Millionen Jahren. Im März/April könnten im Stadlersee „in guten Jahren Tausende Exemplare beobachtet werden“.
Was auf der Internetseite nicht steht: Der Arzt Max Stadler, der engagierte Naturschützer und großherzige Spender, war ein fanatischer Nazi. „Eine der unrühmlichsten Gestalten“ der bayerischen Naturschutzbewegung, urteilt der Umwelthistoriker Frank Uekötter, der zusammen mit seinen Kollegen Richard Hölzl und Ute Hasenöhrl zum 100-jährigen Bestehen des BN dessen Geschichte unter die Lupe genommen hat.
„Stadler war ein in der Wolle gefärbter Nazi“, sagt Uekötter im Gespräch. Der Günstling des Gauleiters von Mainfranken habe „Naturschutz nach Gutsherrenart“ betrieben, urteilt Uekötter, der zu der vom BN selbst in Auftrag gegebenen, rund 100-seitigen Untersuchung das einleitende Überblickskapitel verfasst hat.
Grundlage für Stadlers Aktivitäten war das 1935 unter euphorischer Zustimmung von Naturschützern im ganze Deutschen Reich erlassene Reichsnaturschutzgesetz. Mit dem Gesetz wurde die Funktion ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter geschaffen, die die Behörden beraten und unterstützen sollten. In Bayern waren fast alle Naturschutzbeauftragten BN-Mitglieder.
Doch Stadler, als „Gau-Naturschutzbeauftragter“ die zentrale Figur des NS-Naturschutzes in Unterfranken, reichten die Möglichkeiten, die das Gesetz bot, nicht aus. Ohne Verfahrenswege einzuhalten, schreibt Hölzl, der sich der BN-Geschichte von 1913 bis 1945 widmete, habe Stadler Dutzende Naturschutzgebiete geschaffen, darunter auch den Romberg, den sich Stadler als eine Art Privateigentum zulegte.
In den vergangenen Jahren gab es einen Boom von Publikationen, die sich mit der Geschichte der Naturschutzbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befassen. Den Anfang machte die 1999 herausgekommene Jubiläumsbroschüre zur Geschichte des Naturschutzbundes (NABU), 1899 von „Vogelmutter“ Lina Hähnle als Bund für Vogelschutz gegründet und 1934 in Reichsbund für Vogelschutz umbenannt.
Auch die Vogelfreunde hatten sich in Ergebenheitsadressen an den „Führer“ geübt und den „Arierparagrafen“ eingeführt. Man schickte Vogelhäuschen auf den Obersalzberg, versuchte Feldraine und Hecken vor der „Ernährungsschlacht“ zu schützen und versorgte die in Norwegen kämpfenden Soldaten mit Bauanleitungen für Nistkästen, um sie von den Gräueln des Krieges abzulenken.
Glühende Antisemiten
„100 Jahre BUND Naturschutz in Bayer“. Bund Naturschutz Forschung, Heft Nummer 11, September 2013
Die Verstrickungen des BN, von seiner Gründung 1913 bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein eng mit der Staatsbürokratie verbandelt, waren von handfesterer Art. Schon personell gab es mannigfaltige Verflechtungen mit einflussreichen NS-Kreisen.
Nicht nur Max Stadler war Nazi der ersten Stunde. Auch Hans Hohenester, BN-Vorsitzender von 1938 bis 1945 und auch nach Kriegsende in hervorgehobenen BN-Positionen tätig, war Träger des an den gescheiterten Hitlerputsch im Jahre 1923 erinnernden „Blutordens“ und galt als alter „Gefolgsmann des Führers“.
Nicht zu vergessen Alwin Seifert, der sich als „Reichslandschaftsanwalt“ um die Begrünung der neuen Autobahnen mit ortstypischen Gewächsen kümmerte. Ein laut Hölzl „machtbewusster Netzwerker, der sich auch als glühender Antisemit darzustellen wusste“.
Trotz seiner sattbraunen Vergangenheit führte Seifert den BN von 1958 bis 1963. Wie viele andere ehemalige „Volksgenossen“ habe er seine NS-Vita erfolgreich als „inneren Widerstand“ dargestellt, schreibt Hölzl. Seifert war eine schillernde Figur.
Einerseits propagierte er Naturschutz im Sinne der NS-Ideologie als „Schutz der Volksgemeinschaft, andererseits lehnte er es ab, Natur streng darwinistisch als „Kampf aller gegen alle“ zu betrachten und verfocht, in einem fast modernen ökologischen Sinne, ein Programm der Harmonie und des natürlichen Gleichgewichts, freilich unter Aussonderung alles „Fremden“.
Sattbraune Vergangenheit als "innerer Widerstand"
Natürlich waren nicht alle der im Jahre 1939 rund 28.000 BN-Mitglieder aktive Nazis. Doch galt der Verband laut Hölzl als „NS-nahe, jeglichem Republikanismus, Liberalismus o. ä. unverdächtige Organisation“. Deshalb gelang es den Verantwortlichen wohl auch, der völligen organisatorischen Gleichschaltung zu entgehen und gewisse Eigenständigkeit zu wahren. Als Akt der Widerständigkeit will Uekötter diese Tatsache nicht verstanden wissen. „Echten Widerstandsgeist gab es nirgends.“
Mit dem Reichsnaturschutzgesetz von 1935 hatten sich die braunen Machthaber zunächst als vorbildliche Ökos präsentiert. „Es war im Grunde genommen die Erfüllung aller Wünsche, die die Naturschützer damals umtrieben“, sagt Uekötter. „Man konnte jetzt NS- und Landschaftsschutzgebiete ausweisen, die Naturschützer mussten bei allen Belangen konsultiert werden. Auch entschädigungslose Enteignungen waren möglich.“
In der Folge wurden im ganzen Reich zahlreiche neue Naturreservate eingerichtet. In diesem Sinne war das NS-Regime durchaus so etwas wie eine „Ökodiktatur“, zumindest so lange, wie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Autarkiebestrebungen des Regimes und vor allem die spätere Kriegswirtschaft nicht völlig andere Prioritäten setzten.
Anhand von Fallbeispielen schildert Hölzl, dass die Umweltaktivisten alle ideologischen Register zogen, die im „Dritten Reich“ zu Gebote standen. So wurde zum Schutz des Keilsteins, einer prägnanten Kalkformation bei Regensburg, der damalige jüdische Besitzer eines nahen Steinbruchs kurzerhand enteignet und ins Exil getrieben.
Naturschutz war wichtiger als Menschenwürde
„Auf die Firma, die dieses Kleinod der Natur rücksichtslos verwüstet hat, Rücksicht zu nehmen, besteht keine Veranlassung, zumal sie jüdisch ist“, geiferte der ehrenamtliche Bezirksnaturschutzbeauftragte Eugen Eichhorn, Truppenführer der SA und BN-Mitglied. „Ich finde es ungeheuerlich, dass der Gewinn aus der Verwüstung dieses Gebiets in Wien verzehrt wird von Juden.“
Noch drastischer war ein anderen Fall, wo sich die nationalsozialistische Vernichtungs- und Expansionspolitik auf bizarre Weise mit Interessen des Naturschutzes und Tourismus mischt.
Dabei geht es um den Schutz der Flossenbürg, einer markant auf einem Granitkegel thronenden Burgruine in der Oberpfalz, die in der NS-Zeit nicht nur als touristische Attraktion beliebt war, sondern auch als Symbol der „bayerischen Ostmark“ im Kampf gegen slawische Eindringlinge galt und Ziel von Fackelzügen und Sonnwendfeiern war. Bis zur Ausweisung als Naturschutzgebiet im Jahre 1938 wurde der Burgberg als kommunaler Steinbruch genutzt.
Nach Bau des Konzentrationslagers Flossenbürg wehrten sich Naturschützer, die in diesem Fall nicht dem BN angehörten, vehement gegen eine Ausweitung des Lagers und seines berüchtigten Steinbruchs in Richtung des Burgbergs und fochten einen zähen Kampf gegen die SS-Wirtschaftsverwaltung.
Sie hatten auch keine Skrupel, mehrmals um den Einsatz von Häftlingen im Naturschutzgebiet zu bitten, die den Burgberg von herumliegenden schweren Granitbrocken säubern sollten. Sicher eines der düstersten Kapitel in der Geschichte des deutschen Naturschutzes. Ob tatsächlich Zwangsarbeiter im Naturschutzgebiet eingesetzt wurden, ist laut Hölzl nicht mehr zu eruieren.
Mit der Aufarbeitung ihrer braunen Vergangenheit ließen sich die Naturschützer Zeit. Schließlich galt es im Wirtschaftsboom der Wiederaufbauzeit, mannigfaltigen Eingriffen in Landschaft und Naturhaushalt entgegenzutreten. „Damals herrschte eine Wagenburgmentalität gegenüber einem übermächtigen Gegner. Da gab es überhaupt keinen Impuls, die eigene Geschichte zu erforschen“, sagt Uekötter.
Die Selbstreinigungsmechanismen funktionieren
Doch besser spät als nie. Denn ein kritisches historisches Bewusstsein und entsprechende Wachsamkeit sind weiterhin geboten. Im März musste ein Nürnberger BN-Funktionär zurücktreten, nachdem er in einem Artikel für die Kreisgruppen-Zeitschrift einen unappetitlichen Zusammenhang zwischen angeblicher Überbevölkerung in Deutschland und dem Zuzug von Migranten hergestellt und dabei den Nazi-Propagandabegriff „Volk ohne Raum“ gebraucht hatte. Ob dies nur ein versehentlicher Missgriff war oder innere Überzeugung: Die Selbstreinigungsmechanismen funktionierten.
Vielleicht sollte man noch den Stadlersee umbenennen. Stadler wurde nach dem Krieg inhaftiert, sein Besitz, der Romberg, konfisziert. Doch er hielt regen Kontakt zu Naturschutz-Funktionären der Nachkriegszeit.
So tauschte er sich mit Hans Klose aus, dem Leiter der Zentralstelle für Naturschutz und Landschaftspflege, Vorgängerinstitution des Bundesamts für Naturschutz. 1950 beklagte er sich bei ihm, dass aufgelassene Friedhöfe von Vertriebenen als Kartoffeläcker genutzt würden. „Nur meine Lieblinge, die Judenfriedhöfe, sind wieder in Ordnung.“
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