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B.L.O.-Ateliers in Berlin-LichtenbergAls würde die Arbeit gleich weitergehen

Zwei Jahre bleiben den B.L.O. Ateliers in Lichtenberg, um alle Gebäude zu sanieren. Ob der Kulturstandort bestehen kann, entscheidet die Deutsche Bahn.

Unterbrochene Kreativität: Bis Ende der Sanierung dürfen die Künst­le­r:in­nen ihre Ateliers nicht benutzen Foto: Lea Knies

Auf dem Dach des „Hexenhauses“, wie eines der B.L.O.-Gebäude genannt wird, krähen Raben, durch die offene Tür sind Bohrmaschinen und ein Baustellenradio zu hören. In der Ferne ertönt das Geräusch einer S-Bahn, die gerade ihre Türen schließt. Trotzdem ist es auf dem Gelände in diesen Tagen ruhiger als sonst. Was fehlt, sind die Menschen.

B.L.O. steht für das ehemalige Bahnbetriebswerk Berlin-Lichtenberg-Ost. Bis 1994 waren dort bis zu 300 Mitarbeitende der Deutschen Bahn beschäftigt. Nach Jahren der Verwahrlosung entdeckten Kunstschaffende das Gelände 2004 für sich. Mittlerweile arbeiten in den rund 60 B.L.O. Ateliers und Werkstätten etwa 100 Menschen. Es gibt eine Polsterwerkstatt, Tonstudios, eine Bogenwerkstatt, Maler:innenateliers, eine Metallwerkstatt, Dunkelkammern und vieles mehr. „Es ist einer der größten bedrohten ursprünglichen Orte der freien Kulturszene“, sagt Christa Fülbier. Sie ist Mitglied des Vorstands des Trägervereins Lockkunst e.V., der das Gelände verwaltet.

Immer wieder gab es Probleme mit der Vermieterin, der Deutschen Bahn. Am 31. Juli 2024 lief der Mietvertrag mal wieder aus. Bereits im April desselben Jahres verhängte die Bahn eine Nutzungsuntersagung für alle Gebäude aufgrund umfangreicher Mängel wie fehlender Brandschutztüren und maroder Elektrik. Nach langen Verhandlungen inklusive politischen Drucks wurde der Vertrag im Dezember 2024 schließlich bis Mai 2027 verlängert. Allerdings nur für das Grundstück. Und unter einer Bedingung: Alle Gebäude müssen elektrosaniert werden. „Hätten wir diese Investition nicht zugesagt, dann wären wir weg. Dann wär’ das Gelände geschlossen worden, wir hätten keine Chance gehabt, hier legal zu bleiben“, sagt Fülbier. 180.000 Euro soll der Spaß kosten. Das Geld dafür kommt aus Rücklagen der B.L.O (80.000 Euro) und einer Förderung der Berliner Lottos-Stiftung (100.000 Euro).

Bevor und während der Sanierung dürfen die Künst­le­r:in­nen ihre Arbeitsplätze nicht betreten. Einige von ihnen kommen stattdessen für Bauarbeiten her. Auf dem Hof vor den Ateliers stehen haufenweise Kisten mit schwarzen, grauen, orangefarbenen und blauen Kabeln, teils noch aus DDR-Zeiten. Gemeinsam mit Profis arbeiten sich die Kunstschaffenden von Gebäude zu Gebäude.

Als erstes fertig wurde die Kantine, die heute als Veranstaltungsraum genutzt wird. Sie ist das Herzstück des selbstverwalteten Kulturstandortes. Nun gibt es dort neue Brandschutztüren und Elektrik, die den Flur in rotes Schummerlicht taucht. Zwar wird die Aufnahme in den Mietvertrag noch geprüft, mit einer Sondergenehmigung konnte aber Mitte Juli schon die Wiedereröffnung der Kantine gefeiert werden. „Es war total schön zu sehen, dass sich so viele Leute gefreut haben, wieder auf dem Gelände zu sein“, sagt die Projektkoordinatorin Lula Valletta.

Das Gelände wirkt, als würden alle gerade nur kurz Pause machen. So als würde das Gewusel gleich zurückkommen, als würde die Arbeit gleich weitergehen. Jedes Atelier steckt voller Details und jedes Gebäude erzählt eine Geschichte. Da ist etwa die Villa Separatista, ein ehemaliges Übernachtungsgebäude für Lokführer und Heizer, in dem heute Tonstudios, Ateliers und Tanzstudios beheimatet sind. Oder die einstige Starkstrommeisterei, in der heute eine Dunkelkammer und ein Nähatelier angesiedelt sind. Oder die Drehscheibe, von der früher Lokomotiven und Waggons verteilt wurden und auf der heute Konzerte, Lesungen oder Partys stattfinden. „Es gab sogar mal ein Radrennen“, erzählt Alexander Dammeyer.

Gemeinsam mit Profis arbeiten sich die Kunstschaffenden von Gebäude zu Gebäude

Auch er ist Teil des Vorstandes und Besitzer eines eigenen Ateliers für Eisen- und Feuerarbeiten. Die aktuelle Situation bedeutet für ihn einen massiven wirtschaftlichen Einbruch. In Berlin gebe es immer weniger geförderte Ateliers und Arbeitsräume für Künstler:innen, insbesondere bezahlbare, sagt er. Und was, wenn es die Bahn mit dem „letztmaligen Aufschub“ des Vertrages wirklich ernst meint? „Wir stehen in gewisser Weise mit dem Rücken zur Wand. Die Raumkrise betrifft nicht nur den Wohnungsmarkt, sondern auch Arbeitsräume“, sagt Dammeyer.

Christa Fülbier spricht von einem Existenzkampf. „Unsere Reserven sind jetzt weg“, sagt sie und wirkt, als würde sie nicht nur das Geld meinen. Zwar hat die lokale Politik schon ausreichend Druck gemacht, die Bahn ist allerdings ein Bundesunternehmen. „Der Verkehrsminister müsste halt mal vorbeikommen“, sagt Fülbier und lacht. „Ja, weil der letzten Endes weisungsberechtigt der DB gegenüber ist.“ Hiermit also ein Aufruf: Lieber Patrick Schnieder, bitte statten Sie dem B.L.O. Gelände mal einen Besuch ab! Es gibt aber noch einen anderen Hoffnungsschimmer: Im Juni wurden die „Regelungen zur Freistellung eines Grundstückes vom Bahnbetriebszweck“ im Bundestag gelockert, was die Argumentation für den Erhalt der B.L.O. Ateliers stärken dürfte.

Aber eins nach dem anderen. Bis September sollen alle Sanierungsarbeiten abgeschlossen und die Nutzungsuntersagung der DB aufgehoben sein. Am ersten Septemberwochenende wird dann beim Wiedereröffnungs-Festival BLO3000 gefeiert. Freitag und Samstag werden die Werkstätten wieder für alle geöffnet, es gibt Workshops und Livemusik.

Aufgeben ist für die Kunstschaffenden in den B.L.O. Ateliers keine Option. Sie geben alles – bis auf den letzten Cent, bis zur letzten Sekunde. „Verloren ist erst, wenn der Bagger kommt“, sagt Christa Fülbier.

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