: BILD lügt wieder
Kampagne gegen Grünen-Minister Trittin. Bild-Zeitung fantasiert und manipuliert: Ein Handschuh wird zum Bolzenschneider und ein Seil zum Schlagstock. Im Originalbild: von alldem nichts zu sehen
BERLIN taz ■ Eigentlich sollte die Geschichte Jürgen Trittin wie ein Klotz am Bein hängen. Nun fällt sie Bild-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Füße. Am Montag veröffentlichte Deutschlands größtes Boulevardblatt ein Foto von Umweltminister Jürgen Trittin auf einer Demonstration am 16. Juli 1994 in Göttingen. Das Foto zeigt den Minister vor vermummten Demonstranten. Das war Bild aber noch nicht peppig genug: Die verantwortlichen Redakteure meinten auf dem Foto noch einen Bolzenschneider entdeckt zu haben und einen Schlagstock in den Händen von zwei Demonstranten unmittelbar hinter Trittin. Damit keinem Leser diese Entdeckung entgeht, wurden die Worte „Bolzenschneider“ und „Schlagstock“ mit roten Pfeilen gleich Hinweisschildern in das sehr unscharfe Foto hineinmontiert. So gedanklich vorbereitet, ist es für den Leser durchaus nahe liegend, bei einem flüchtigen Blick einen Schlagstock und einen Bolzenschneider auf dem Foto zu erkennen.
Tatsächlich ist aber nichts von beiden abgebildet. Das wird jedem deutlich, der sich das Originalfoto ansieht. Während der eine Demonstrant sich bloß mit einem eigenwillig gemusterten Handschuh am Dachgepäckträger des neben ihm fahrenden Autos festhält, entpuppt sich der „Schlagstock“ bei näherem Hinsehen als ein Seil, mit dem sich die „autonomen“ Demonstranten selbst eingekreist haben, um als Block zusammenzubleiben. Pikanterweise ist der Teil des Seiles hinter der Hand des Demonstranten in der Bild-Zeitung vom Foto weggeschnitten. Dieser Teil hängt ein wenig durch und ist deshalb auf Anhieb als Seil zu identifizieren.
War diese Falschdarstellung also Absicht? Bild weist diesen Vorwurf zurück. „Das war ein Irrtum“, sagte Diekmanns Stellvertreter Manfred Hart gestern der taz. „Wir werden das morgen richtig stellen und uns bei unseren Lesern entschuldigen.“ Jürgen Trittin rief gestern empört in der Bild-Redaktion an und sprach Diekmann persönlich auf das Foto an. Eine Entschuldigung bekam er nicht zu hören. Trittins Sprecher glaubt nicht an einen Irrtum der Bild-Zeitung bei der Ausschilderung der angeblichen Waffen: „Das ist eine bewusste Manipulation“, sagte Michael Schroeren der taz. „Da ist die Grenze des journalistischen Anstandes überschritten.“
MATTHIAS URBACH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen