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BIEDENKOPF: VERBANDSKLAGE GEGEN „GEISTIGE UMWELTVERSCHMUTZUNG“Orginell und doch fragwürdig

Erfolgreich gegen den rechtsextremistischen Terror zu kämpfen setzt voraus, dass Initiativen aus der Bürgergesellschaft nicht beziehungslos neben oder quer zu repressiven Maßnahmen des Staatsapparats laufen. Uta Leichsenring, Noch-Polizeipräsidentin von Eberswalde, nimmt Teil am örtlichen Netzwerk gegen die Rechtsradikalen. Geschäftsinhaber in einer Reihe brandenburgischer Städte haben ein „Noteingang“-Schild angebracht, um Verfolgten vorübergehend Schutz zu gewähren, bis die Gesetzeshüter eintreffen. Solche Maßnahmen verzahnen bürgerschaftliches und behördliches Handeln, achten aber auf die Autonomie bzw. die Eigenlogik beider Sphären.

Jetzt hat Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sich des Verhältnisses der Bürgergesellschaft zum Staat beim Kampf gegen die Neonazis und Fremdenhasser angenommen. Richtigerweise hält er Ausschau nach Mitteln und Wegen, um zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts zu stärken, auch von der Seite des Rechts und der Gesetzgebung. Die Vorschläge, die er gestern unterbreitet hat, haben den Vorzug der Originalität, bewegen sich allerdings selbst auf unsicherem Rechtsboden und verraten im Ganzen ein seltsames Verständnis vom Wesen des Gebildes „Bürgergesellschaft“. Das betrifft vor allem die Idee, Kollektiven von Bürgern mittels eines neuen Gesetzes zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen die Rechtsradikalen in die Hand zu geben.

Kurt Biedenkopf ist Professor der Rechte, und das ist seinen Vorschlägen an der Stirn abzulesen. „Das Handeln der Zivilgesellschaft“, so statuiert er, „wird durch das Zivilrecht bestimmt.“ Und weiter: „Der Rechtsraum der Zivilgesellschaft ist das Zivilrecht.“ Um den gegen die Rechtsradikalen gerichteten Aktionen „der Zivilgesellschaft“ zum Erfolg zu verhelfen, müssten deshalb zivilrechtliche „Abwehr- und Handlungsnormen“ gestärkt bzw. neu geschaffen werden.

Bis jetzt herrschte Einigkeit darüber, dass zivilgesellschaftliche Initiativen sich, wenn sie überhaupt über den Tellerrand persönlicher Beeinträchtigungen schauen, aufs Gemeinwohl beziehen, also eine Sphäre, die definitionsgemäß jenseits des Zivilrechts liegt, das das Verhältnis von Privaten regelt. Gerade dieser Umstand macht ihre „Zivilität“ aus, durch ihn werden sie zu einem Teil der Bürgergesellschaft (civil society). „Civil rights“ sind eben keine zivilen Rechte im Sinn des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern „Bürgerrechte“. Die Achtung von Bürgerinitiativen gilt dem Rechtsstaat als institutionalisierte Form der Bürgerrechte. Aber die Bürgerinitiativen nehmen Rechtsverletzungen, auch Verletzungen des Zivilrechts, in Kauf, wenn sie den Eindruck haben, damit der Verteidigung des allgemeinen Guts zu dienen. Der Raum, in dem „die Zivilgesellschaft“ agiert, ist eben nicht durch private Rechtsverhältnisse bestimmt. Er ist öffentlich.

Schon jetzt ist es nach geltendem Recht möglich, zivilrechtlich gegen Rechtsradikale vorzugehen, wenn durch deren Aktionen einem Opfer materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Nun schlägt Biedenkopf vor, auch Kollektiven auf dem Weg der Verbandsklage die Möglichkeit zu eröffnen, gegen Rechtsradikale mittels Unterlassungs- bzw. Schadenersatzklagen vorzugehen. Aber der Schaden, den die Rechtsradikalen anrichten, betrifft wesentlich nicht Einzelne, sondern die Res publica.

Ähnlich verhält es sich bei der Verbandsklage im Umweltrecht, die ja auf Bundesebene noch nicht durchgesetzt ist. Dass Umweltverbänden eine Klagemöglichkeit auch bei Bundesrecht eingeräumt werden soll, hängt eben mit deren Sorge um den generellen Schutz der Umwelt zusammen. Biedenkopf will, analog zur Verbandsklage gegen Umweltverschmutzung, das gleiche Instrument gegen „geistige Umweltverschmutzung“. Aber bei der von ihm konzipierten Verbandsklage steht nicht das allgemeine Wohl im Vordergrund, sondern zivilrechtliche Haftung. Der Hintersinn ist klar: Wer zahlen muss, wird sich künftig vorsehen. Ob damit ein „Haftungsdurchgriff“ auf Organisationen (NPD oder DVU), die Terroraktionen „unterstützen oder ermutigen“, rechtlich möglich wird, ist sehr unsicher. Auch den rechtsradikalen Organisationen ist der Weg nach Karlsruhe bekannt. Aber selbst wenn eine solche Bestimmung sich als verfassungskonform erweist: Der Kampf um die Köpfe ist so nicht zu gewinnen. CHRISTIAN SEMLER

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