BERLINS BALLERMANN: Pub Crawl
Von außen betrachtet wirken diese Trinktouristen wie ein grölender Saufmob. Aber wie sieht das eigentlich von Nahem aus?
Sollen sie da jetzt rein? Michael und seine drei Freundinnen schauen ins schummrige Hinterhoflicht der Ruine. Berlin-Mitte. Donnerstagabend. Typen in Trainingsjacken spielen Tischtennis, einige sitzen auf einem Sofa und kiffen. Es sieht aus, als könnte es hier nach Urin riechen. Michael rümpft ein wenig die Nase, Blick zu den Begleiterinnen, Kopfwiegen. Na gut, sie ziehen das durch. Am Eingang zu dem düsteren Hof stand ja das Schild: Pub Crawl. Sie wollen eine geführte Kneipentour machen. Ein Australier und drei Australierinnen auf Europareise, alle Anfang 20.
In Rom haben sie es schon einmal versucht. Da hingen sie beim Pub Crawl allerdings nur in leeren, überteuerten Kellerkneipen herum. Anschließend haben sie sich geärgert, dass sie auch noch 15 Euro für die Teilnahme gezahlt hatten. Als sie in Berlin angekommen waren, haben sie sich auf ihrem Stadtplan den Sophienclub ausgesucht. Sie haben ihn nicht gefunden. Nachdem sie eine Weile herumgeirrt waren, standen plötzlich überall Prostituierte. Michael und seine Freundinnen sind kurz in einen Dönerladen gegangen. Danach schnell zurück ins Hostel. Vielleicht doch lieber ein Pub Crawl, dachten sie am nächsten Tag.
Sie biegen also um die Ecke auf den Hinterhof. Hinter der Tischtennisplatte haben junge Leute mit Namensschildern um den Hals ein Bierfass und ein Glühweinfass aufgestellt. Bis neun ist das Bier für alle gratis, die ein Pub-Crawl-Ticket für 12 Euro kaufen. Michael nimmt sich einen der gefüllten Plastikbecher. "Fünf Kneipen und Clubs stehen auf dem Programm", sagt die junge Frau, die die Tickets verkauft. Becher behalten - für den "Refill", zum Nachfüllen. Das hier ist der Hintereingang zum Café Zapata, einer Kneipe im Künstlerhaus Tacheles. Mitten im touristischsten Ausgehviertel der Hauptstadt, Oranienburger Straße, manche sagen: der Ballermann Berlins.
Nach und nach kommen mehr junge Leute zum Pub-Crawl-Treffpunkt. Als der Stadtführer zur Kneipentour aufruft, sind es um die 70 Personen. Sie biegen auf die Oranienburger Straße und versammeln sich vor dem Grundstück eines Gebrauchtwagenhändlers. Der Guide mit der großen Hornbrille und den roten Schlabberhosen zieht sich an dem Zaun hoch. Er sagt, dass es zu jedem Getränk in jeder Kneipe einen Jägermeister gibt. Und er schreit "shut up", weil knapp 20 junge Nordiren direkt vor ihm schon so betrunken sind, dass sie permanent johlen und singen. Es ist ein ironisch-übertriebenes "shut up". Der Guide wirkt wie ein gutmütiger Clown, während er brüllt. Dann macht er einen Witz wegen der Prostituierten. Und spätestens an der Stelle ist Michael und seinen Freundinnen klar, dass sie wieder genau da unterwegs sind, wo sie gestern alleine waren.
Sie steigen in eine Kellerkneipe hinunter. Christine tippt eine Nachricht in ihr Blackberry. Sie ist eine von vier Austauschstudentinnen aus Florida, die zurzeit an den Unis in Valencia und Nancy studieren und sich jetzt in Berlin zum Sightseeing getroffen haben. Christine fügt französische, spanische und englische Fetzen zusammen, um sie an ihren deutschen Freund an der französischen Uni zu schicken. Es fehlt noch ein Satz auf Deutsch. "Ich muss mit dir ficken?", fragt sie in die Runde. "Right?" Neben ihr haben einige der Nordiren angefangen zu tanzen. Die Mädchen sind stark geschminkt, glänzende Pumps mit hohen Absätzen. Der grauhaarige DJ schaut gleichmütig in die Runde.
In der Nähe der Bar stehen John und seine Freunde, alle Anfang 30, Ingenieure aus Irland. Das ist Johns Bachelor-Party. Sie stehen alle noch recht gerade und lächeln freundlich. Im nächsten Club muss sich Johns Freund Column gelegentlich an seinen Gesprächspartnern festhalten, wenn er erzählt, warum Iren trinkfester sind als andere Europäer. Die Gruppe wächst langsam zusammen. Sie sind gemeinsam durch den Schneematsch gestapft, zum Ruderclub am Flussufer. Dort wird weiter getrunken. Cory aus Kalifornien stößt seinen Freund Chris an und zeigt mit dem Finger auf eine der Nordirinnen. Kopfbewegung in ihre Richtung. Los, hinterher! Chris mag nicht.
Cory sucht die Spanierin, mit der er sich gern unterhalten würde. Sie ist gerade im Gespräch mit einem Nordiren. Einer der Nordiren versucht ein paar Breakdance-Bewegungen. Ein anderer schwankt mehr, als dass er tanzt. Draußen ist er vorhin schon desorientiert über die Wiese geirrt. Stierblick. Die Türsteherin des Clubs hat sich neben die Tanzfläche gestellt und schaut wie ein Kampfhündin, die das Kommando des Herrchens erwartet. Einige der Clubs und Kneipen wirken, als wären sie extra für die Sauftouristen errichtet worden. Kein Einheimischer. Nirgends.
Koordinierte Sauftrips gibt es in Berlin seit vier Jahren. Der bekannteste Treffpunkt ist an der Oranienburger Straße, Ecke Tucholskystraße. Täglich ab 20 Uhr.
Die Tour beginnt im Café Zapata, die Bars und Clubs wechseln jeden Abend. Eintritt ist für die 12 Euro überall inklusive. Auch in der Simon-Dach-Straße werden solche Pub Crawls angeboten, dort immer Mittwochs und Samstags.
Mehr Infos unter: www.pub-crawl-berlin.com und www.newberlintours.com
Nach 45 Minuten scheucht der Kneipenführer auch im Ruderclub alle nach draußen. Die Amerikanerinnen machen mit einigen Nordiren vor der Tür Gruppenfotos. Christine hält sich einen Zeigefinger wie einen Hitlerbart über die Lippe. Ein Nordire streckt die Hand zum passenden Gruß in die Luft. Ein anderer wirft seinen Kumpel wie einen Sack über die Schultern. Vorne an der Straße passt der Fremdenführer auf, dass keiner vor ein Auto rennt.Vielleicht muss man den Veranstaltern im Grunde dankbar sein. Gesoffen wird hier sowieso. Sie sorgen immerhin für ein Minimum an Verkehrssicherheit.
Helena, Austauschstudentin aus Moskau, fragt, wie viele Clubs denn noch kommen. Ihre Augen sind glasig. Sie sieht aus, als würde sie gerne schlafen. Nächste Kellerbar. Diesmal sind einige Deutsche da. Der DJ legt Radio-Hits auf, die Mädchen betreten fast alle die Tanzfläche. Column, der Ire, redet jetzt immer unzusammenhängender. Er will ein Bier ausgeben, aber der halbe Meter zum Tresen scheint ihm offensichtlich sehr weit. Die meisten seiner Kumpels sind weiterhin freundlich-fit. "Mit uns Iren ist das ja so", sagt einer, "setz uns in Somalia aus und zeig uns einen Pub. Dann sind wir glücklich und zufrieden."
Der Fremdenführer steht am Rand der Bar und sagt, dass das fast jeden Abend so läuft. Nur sonntags sind es manchmal nicht ganz so viele Touristen. Die meisten, stellt er fest, kommen aus englischsprachigen Ländern. Michael, der Australier, ist zufrieden. "Tausendmal besser als in Rom", ruft er. Gegen eins verlassen sie auch diesen Club und stolpern Richtung S-Bahn. Dann endlich: die Disco Matrix. Endstation. Michael hat schon im Flugzeug davon gelesen, in irgendeinem Führer. Ein Club mit sieben Floors, erinnert er sich. Fast wie zu Hause in Australien, sagt er. Er klingt ziemlich nüchtern.
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