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Autorin zu modernisierten Kinderbüchern„Was spricht denn dagegen?“

Wichtiger als das einzelne Wort ist, dass die Haltung der Autoren deutlich wird, findet die Kinderbuchautorin Kirsten Boie.

Kirsten Boie hat auch mit behutsam modernisierten Versionen ihrer Bücher ein aufmerksames Publikum. Bild: dpa
Daniel Bax
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax und Daniel Bax

taz: Frau Boie, der Thienemann Verlag hat mit seiner Entscheidung, das Wort „Neger“ aus einer Neuauflage von Otfried Preußlers „Kleiner Hexe“ zu streichen, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Verstehen Sie die Aufregung, Frau Boie?

Kirsten Boie: Nicht so ganz. Ich glaube, sie ist in Wirklichkeit Ausdruck der großen Verunsicherung darüber, dass unsere Gesellschaft vielfältiger geworden ist. Diese Debatte rührt offenbar an grundsätzliche Fragen.

Ihre Kollegin Christine Nöstlinger hat solche Änderungen an Kinderbüchern als Unfug bezeichnet, ihr würde eine Fußnote reichen. Wie sehen Sie das?

Ich finde es in diesem konkreten Fall richtig, dass das Wort aus den Kinderbüchern herausgestrichen wird. Wichtiger als das einzelne Wort ist, dass die Haltung der Autoren klar wird. Grundsätzlich freut es mich ja, dass die Kinderliteratur durch diesen Streit jetzt anscheinend solche Anerkennung erfährt. Aber man muss in Kinderbüchern noch andere Fragen berücksichtigen. Bei Erwachsenenliteratur ist ein Nachwort oder eine Fußnoten sicher nicht die schlechteste Lösung, sie können historisch denken. Aber Kinder nehmen alles ganz gegenwärtig.

Die Märchen der Brüder Grimm oder berühmte Geschichten wie „Gullivers Reisen“, „Oliver Twist“ kennt fast jeder. Aber kaum jemand kennt das Original. Wird Werktreue bei Kinderbüchern überbewertet?

Das waren ja ursprünglich keine Kinderbücher, und von diesen Texten gibt es ja oft historisch-kritische Ausgaben. Im Bereich der heutigen Kinderliteratur würde sich das für die Verlage wohl nicht lohnen. Die Frage ist aber auch: Was ist denn zum Beispiel die Pippi-Urfassung? Und welche der Pippi-Übersetzungen ist das Original? Doch statt sich diesen Fragen zu stellen, wird plötzlich die Heiligkeit des Textes über alles andere gestellt.

Kirsten Boie

Die 62-Jährige war Lehrerin für Deutsch und Englisch, bis sie nach der Adoption ihres ersten Kindes auf Verlangen des Jugendamts ihre Lehrtätigkeit aufgeben musste. Daraufhin schrieb sie, 1985, ihr erstes Kinderbuch, „Paule ist ein Glücksgriff“, das sofort ein großer Erfolg wurde. Inzwischen sind von ihr mehr als hundert Bücher erschienen. Die Autorin ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher.

Wie sollen Verlage damit umgehen, wenn die Sprache eines Kinderbuchs von der Entwicklung überholt wird? Darf man sie verändern?

Wir reden hier von einzelnen Wörtern! Ich habe in einem meiner frühen Bücher einmal von einer Negerkusswurfmaschine geschrieben. Inzwischen habe ich das Wort durch Schokokuss ersetzen lassen. Was spricht denn dagegen? Wenn Begriffe vorkommen, die Menschen kränken, dann muss ich die nicht mehr verwenden. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber ich würde mich freuen, wenn meine Bücher auch in Zukunft immer einen sensiblen Lektor finden, der dafür sorgt, dass sie meine Haltung auch dann noch wiedergeben, wenn sich die Wertung einzelner Begriffe ändert.

Eine Ihrer ersten Lektüren, haben Sie mal bekannt, war das Buch „Sonja und Doktor Lakritzen“, das in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg spielt. Der Doktor ist ein schwarzer amerikanischer Arzt – und die Titelfigur Sonja hatte gedacht, dass Schwarze nur mit Baströckchen herumlaufen. Wie hat Sie das geprägt?

In dieser Zeit gab es all diese populären Bilder von Eingeborenen, die um einen Topf herumstehen, aus dem ein Missionar herausguckt. Und in der britischen Besatzungszone, wo ich aufwuchs, gab es auch keine amerikanischen GIs wie in Bayern. Da war diese Lektüre ein Aha-Erlebnis, da ist etwas in meinem Kopf gekippt. Das ist ein Beispiel dafür, wie Texte bei Kindern Wahrnehmung beeinflussen können.

Dieses Bild von den Schwarzen im Baströckchen wird ja in vielen Kinderbüchern reproduziert – auch in Pippi Langstrumpf. Ist das ein Problem?

In meiner Erinnerung ist das Taka-Tuka-Land eher ein Kinderparadies, wo die Kinder Dinge tun konnten, die sie im kalten und strengen Schweden nicht durften. Von fernen Ländern und exotischen Figuren geht ja auch ein Zauber aus, der die Fantasie von Kindern anregt. Ich müsste das aber heute wohl noch mal lesen, um es wirklich beurteilen zu können.

In Ihren Kinderbüchern gibt es viele starke und mutige Mädchen. Brechen Sie bewusst mit Geschlechterklischees?

Mir geht es nicht abstrakt um Political Correctness. Ich habe im Laufe der Zeit auch relativ viel Post etwa von Müttern bekommen, die sich beschwerten, dass ein Junge in meinen Büchern zu Mädchen „Weiber“ sagt. Aber das machen kleine Jungs nun mal! Und es macht ja auch einen Unterschied, ob der Erzähler so etwas schreibt oder ob er einen Protagonisten sprechen lässt.

Ihr erstes Buch, „Paule ist ein Glücksgriff“ von 1986, drehte sich um ein schwarzes Adoptivkind. Damit haben sie damals Neuland betreten, solche Themen kamen in Kinderbüchern bis dahin kaum vor. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich hatte selbst gerade ein dunkelhäutiges Kind adoptiert. Eigentlich wollte ich dann wieder in meinen Beruf als Lehrerin zurückkehren, aber das durfte ich von Amts wegen nicht. Stattdessen schrieb ich ein Buch darüber, wie sich das Leben für ein Kind mit dunkler Hautfarbe in einer weißen Umwelt anfühlt. Ich weiß nicht, wie sehr diese Erfahrung meine Sicht auf die Debatte jetzt prägt. Aber ich hoffe natürlich, dass man keine dunkelhäutigen Kinder haben muss, um hier eine gewisse Sensibilität zu besitzen.

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12 Kommentare

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  • H
    Hardy

    Danke an Daniel Bax, dass er die anderen Änderungen bei der kleinen Hexe erwähnt hat, und die ganzen anderen Änderungen in den ganzen anderen Kinderbüchern über die Jahre. Wusste ich vorher nicht. Das nimmt hoffentlich den fragwürdigen Werktreue-Fans etwas Wind aus ihren reinlich weißen Segeln.

     

    @Anke:

     

    ..es steht doch im Artikel, dass die Änderung AUF WUNSCH der Familie Preußler veranlasst wurde. Nichts mit "ohne den Verfasser um Erlaubnis zu fragen".

     

    ..und es geht ja auch nicht um eine "Bereinigung". Das Wort "Neger" war damals gebräuchlich, heute hat es einen rassistischen Klang. Deswegen soll es durch ein heute gebräuchliches Wort ersetzt werden. Das könnte man auch als das Gegenteil von Geschichtsfälschung beschreiben. Für Hobby- und akademische Historiker gibt es in Bibliotheken historische Ausgaben.

     

    ..wir brauchen also rassistische Bücher, weil wir in einer rassistischen Welt leben? Sehe ich nicht so. Der Nutzen von Büchern, die ohne rassistische Wörter auskommen? Die Chance auf weniger Rassismus in Zukunft.

     

    ..und natürlich lernt man auf dem Pausenhof auch den Umgang mit Sprache. Im Allgemeinen: Hochkultur schützt nicht vor Barbarei.

  • N
    negerfreund

    Wenn ich vielleicht in 500 Jahren meinen Enkelkindern eine Geschichte vorlesen kann, dann sollten bittesehr auch herrlich schräge Negerkönige zu ihrem Ruhme kommen.

  • M
    michael

    Ich halte diese teils moralinschwangere Diskussion über Ideologie, Pädagogik und Literaturwissenschaft für weit hergeholt.

     

    Geht es nicht zuletzt eher darum, daß die Nachkommen der Autoren noch aus den Werken ihrer Vorfahren das Maximum an Tantiemen wringen wollen, solange es das Urheberrecht zuläßt? Und nette, adrette, sauber polierte Produkte verkaufen sich eben leichter.

  • J
    Jörg

    Danke, Anke!

    Dein Komentar trifft es besser als das Interview.

  • TE
    Thomas Ebert

    Was dachte sich die Autorin bei dem Begriff "Negerkusswurfmaschine"? Sicher nichts rassistisches, sondern sie dachte an die damals entsprechend benannte Süßspeise. So wie auch Berliner und Frankfurter gern verspeist werden, ohne das hier rassistisch-nationalistische Hintergedanken vorhanden wären.

    Übrigens bin ich der Meinung, das ein Buch über wilde "Kerle" so nicht verlegt werden darf. "Kerl" ist nämlich eine sexistisch abwertende Bezeichnung für männliche Mitbürger.

  • AK
    Anke Kalbfleisch

    Veränderungen, die von außen kommen kratzen sicher am Ego der Autoren. Hoffentlich ist der Druck groß genug, die rassistischen Begriffe zu entfernen...

  • E
    Emil

    Auch die KIRCHE hat aus Weiber Frauen in dem Gebet AVE MARIA gemacht.

  • S
    super

    "Wichtiger als das einzelne Wort ist, dass die Haltung der Autoren deutlich wird,..."

     

    Genau so fängt Meinungsdiktatur und Gesinnungsterror an.

     

    Und es ist halt schon ein Unterschied ob ein Künstler sein Werk umarbeitet, oder dies irgendwelche Besserwisser machen.

  • DN
    Der Neger

    Wenn man sich umhört, dann erreicht die Umerziehung durch Neusprech genau das Gegenteil. Neben in Neusprech umgeschriebenen Büchern will man mehrheitlich auch die "Vielfältigkeit" nicht, das mag damit insoweit zu tun haben, daß es ebenso wenig demokratisch legitimiert ist wie Bücherzensur. Mit "Verunsicherung" hat es nichts zu tun. Zumindest falls "Verunsicherung" nicht das neue Wort für "Erfahrung" ist.

  • ET
    Eddy Torial

    Es geht hier um keine Grundsatzfrage! Rassistische Beleidigungen aus Kinderbüchern zu streichen ist ein Gebot unserer Zeit. Natürlich stehen wir hier vor keinem Wendepunkt im Umgang mit vermeintlich Fremdem. Aber hier können wir einen Schritt in die richtige Richtung machen.

    Lest ihr euren Kindern Bücher vor, in denen man Neger Nigger nennt? Nein, wieso nicht?

  • Z
    zensiert

    "Stattdessen schrieb ich ein Buch darüber, wie sich das Leben für ein Kind mit dunkler Hautfarbe in einer weißen Umwelt anfühlt."

     

    Achso, und weil Sie dieses Kind adoptiert hat, weiß sie dann automatisch, wie dieses sich in einer weißen Umwelt fühlt. Das zweifel ich aber ganz stark an! Ich bin der Meinung, dass sie damit den gleichen Irrtum begeht, den auch Günther Wallraff in seinem Film "schwarz auf weiß" begangen hat.

    Es ist genauso wenig als Mensch mit heller Hautfarbe (auch wenn man die Mutter ist) möglich, nachzuempfinden wie sich ein Kind dunkler Hautfarbe in Deutschland fühlt, wie es unmöglich ist, dieses nachzuemfinden wenn man sich als dunkelhäutiger schminkt wie es Wallraff getan hat!

  • A
    anke

    Was dagegen spricht, ein Wort, das man früher mal verwendet hat, später ersetzen zu lassen? Nichts. Ich zum Beispiel korrigiere mich andauernd. Ich hätte allerdings schwer was dagegen, wenn andere das für mich täten.

     

    Was die unkorrekten Worte angeht, die in alten Kinderbüchern stehen, sehe ich die Sache etwas anders. Es ist es ein Zeichen mangelnden Respekts für mich, wenn man den Figuren neue Worte in den Mund zu legt, ohne den Verfasser um Erlaubnis zu fragen. Bei wissenschaftlichen oder klassisch-literarischen Werken käme ja auch niemand auf die Idee, die Verfasser politisch zu korrigieren. Oder kann man einen Kant heute vielleicht nicht mehr verlegen, weil er Juden nicht mochte? Alte Bücher für Erwachsene gelten als historische Dokumente. An Kinderbüchern kann man offenbar keine Geschichtsfälschung betreiben. Wieso nicht? Weil es NUR Kinderbücher sind? Tja, und dann ist da noch die Nutzen-Frage: Wer hat was davon?

     

    Kinderbücher bereinigen ist für mich ein bisschen wie Brennpunktschulen entmischen. Es macht die Sache kurzfristig leichter, langfristig aber nicht besser. Mit "sauberen" Kinderbüchern kann man seine Kids allein lassen. Man kann sie damit allerdings nicht auf die noch immer nicht heile reale Welt vorbereiten. Wer Kinderbücher als bloße Unterhaltung begreift, dem kann das egal sein. Alle anderen müssten sich fragen, wie und wo die Kids der Ganz-Korrekten künftig üben sollen, ein Gegengewicht zu den "bildungsfern" Aufwachsenden zu sein? Wo, wenn nicht in und mit Literatur kann man den Umgang mit Worten lernen? Auf dem Pausenhof?

     

    Aus den Augen – aus dem Sinn. Nein, es spricht überhaupt nichts gegen eine Bereinigung alter Kinderbücher. Aus Sicht derer, die vergessen möchten, meine ich. Aber die, nicht wahr, können ja andere Bücher kaufen. Auf die Idee jedenfalls, den Glockenturm auf dem Ettersberg bei Weimar nachts nicht mehr anzustrahlen, ist bisher noch niemand gekommen. Und tut der etwa nicht weh?