Autor mit Hang zu schrägen Charakteren: Normal kann jeder
Der norwegische Bestseller-Autor Ingvar Ambjørnsen lebt in Hamburg. Nach einer Parodie auf den Literaturbetrieb schreibt er einen Elling-Roman
Der Protagonist Elling, ein psychisch labiler Sonderling, der nach dem Tod seiner Mutter von der Polizei im Schrank gefunden wird und im Rahmen einer Resozialisierungs-WG den Weg in die Selbstständigkeit finden soll, ist eine Schlüsselfigur im Werk Ambjørnsens. Elling ist seltsam, an der Grenze zum Wahnsinn, mit dem funktionalistischen Menschenbild des Kapitalismus überfordert – und dabei von Ambjørnsen absolut liebenswert und verständnisvoll beschrieben.
Ambjørnsen kommt selbst aus der „Freak-Szene“, wie er sie nennt, aus der linksalternative Osloer Subkultur, in der er zehn Jahre mit viel Alkohol und Drogen, aber ohne festen Wohnsitz gelebt hat, bevor es ihn 1985 der Liebe wegen nach Hamburg zog. Davor brach er eine Gärtnerlehre ab, versuchte sich als Schriftsetzer und arbeitete in der Psychiatrie. In Norwegen wurde er 1986 mit dem von seiner eigenen Jugend inspirierten Roman „Weiße Nigger“ über drei Freunde aus der Provinz bekannt, die die Drogen, die Liebe und den Ausstieg aus der Gesellschaft entdecken.
„Danach war ich in Oslo quasi eine Berühmtheit. Norwegen ist ja eigentlich eine Kleinstadt.“ Ambjørnsen genießt die Freiheit, in Deutschland in Ruhe leben und arbeiten zu können. Als er nach Hamburg kam, fand er die Stadt – man kann es sich heute kaum vorstellen – außerdem so billig, dass er sich wie im Schlaraffenland vorkam: „Als ich nach Hamburg kam, hatte ich drei Bücher veröffentlicht, stand aber ökonomisch noch auf sehr wackeligen Beinen. Und Hamburg war für einen Norweger wahnsinnig billig, der Alkohol, die Wohnungen, alles.“
Mit dem Umzug nach Hamburg kehrte Ruhe und eine enorme Produktivität in das Leben von Ingvar Ambjørnsen ein: „Ich weiß eigentlich gar nichts mehr von den 1980ern, weil ich nur geschrieben habe.“ Seitdem veröffentlicht er im Durchschnitt pro Jahr ein bis zwei Werke, von Romanen über Krimis und Kinderbücher bis hin zu politischen Reiseführern für Norwegen. Außerdem schrieb er fast 35 Jahre für die norwegische Presse.
Ein glühender Nazi
Welches Vorbild hat ein Autor bei einem so diversen literarischen Werk? Zu seinem Lieblingsautor, dem norwegischen Nobelpreisträger Knut Hamsun, hat Ambjørnsen ein äußerst ambivalentes Verhältnis. „Der schreibt einfach so verdammt gut, ein genialer Schriftsteller. Leider politisch ein kompletter Idiot.“ Hamsun kritisierte die traditionelle bürgerliche Gesellschaft und deren Werte, propagierte Naturverbundenheit – und war ein glühender Nazi.
In Hamburg lebte Ambjørnsen mit seiner Frau, der Übersetzerin Gabriele Haefs, zunächst in St. Georg, seit Anfang der 1990er-Jahre im schickeren Hoheluft. Das Viertel, dem er auf seiner Website eine Hommage gewidmet hat, taucht in seinen Werken immer wieder auf. Dem Innocentiapark hat er 2006 einen ganzen Roman gewidmet, und die Idee zur Figur des Elling ist dem Schriftsteller beim Anblick der Grindelhochhäuser gekommen.
Kleinstadt-Psychopath
Elling sollte eigentlich ein sehr unangenehmer Mensch werden. „Wenn ich mit einem Roman anfange, weiß ich immer sehr wenig über die Figur und die Handlung. Das entwickelt sich.“ Elling hatte er sich als Kleinstadt-Psychopath vorgestellt, der Menschen manipuliert. „Aber plötzlich war er so da, wie er jetzt ist: Eigentlich ganz lieb, aber eben schwer krank.“
Ambjørnsen schätzt die Ruhe, die er in Hoheluft und in Deutschland allgemein hat. Auf deutsch schreiben, wollte er aber nie. „Ich bin ein norwegischer Schriftsteller. Natürlich freue ich mich, dass meine Bücher auch ins Deutsche übersetzt werden. Aber mein Publikum ist hauptsächlich in Norwegen, nicht hier.“
Gerade hat Ambjørnsen begonnen, an einem neuen Elling-Roman zu arbeiten. Der letzte Roman der Reihe, „Lieb mich morgen“, erschien 2001. Seither hat Ambjørnsen natürlich neue Figuren entwickelt. Seinen letzten Protagonisten, den fiktiven Bestseller-Krimiautor Alexander Irgens, hat Ambjørnsen im Roman „Aus dem Feuer“ mit für ihn ungewöhnlichem gesellschaftlichen Erfolg gesegnet: Irgens nutzt die gewalttätigen Anfälle seiner Geliebten Vilde, die auf einer Lesereise einen Fan zusammenschlägt, um sein neues Buch zu promoten. Außerdem flirtet er bereitwillig mit den Vertreterinnen der norwegischen Buchhandelsketten, um sich dabei auszumalen, wie er sie im nächsten Roman umbringt, und jammert gelegentlich über seine eigene Selbstreferentialität.
Aber auch eine leidlich sympathische Figur wie Alexander Irgens findet Ambjørnsen „ganz okay“. Für ihn ist „Aus dem Feuer“ eine Parodie auf den norwegischen Literaturbetrieb, in dem die großen Verlage eigene Ketten betreiben und die Autoren dafür bezahlen müssen, im Schaufenster prominent platziert zu werden.
„Für junge Schriftsteller ist es heute viel schwieriger als bei uns damals. In meiner Zeit gab es zwei große Buchclubs, aber die sind jetzt weg.“ Eine relevante Self-Publishing-Szene gebe es nicht – ohne Plan B zu leben, war in den 1980ern noch einfacher.
Die norwegische Presse hängt immer noch an dem Image des saufenden Außenseiters aus der Drogenszene und ist gelegentlich enttäuscht, dass Ambjørnsen in einer Eigentumswohnung in einem bürgerlichen Hamburger Stadtteil wohnt. „Die finden es provozierend, dass ich nicht schlecht lebe. Hier kann man nicht diese typischen Fotos von mir machen, rauchend vor einem Graffiti mit einem Bier in der Hand.“ Immerhin – die Haare sind immer noch lang.
Als Ambjørnsens Protagonist Alexander Irgens in der Geschichte gefragt wird, wie autobiografisch seine Werke sind, sagt er: „Ich dehne die Grenzen ein bisschen. Aber nicht sehr.“ So halte es auch die norwegische Presse mit der Wirklichkeit, wenn sie über ihn berichte, sagt Ambjørnsen: „Ich trinke den ganzen Tag Tee, aber wenn ich ein Interview geführt habe, war nachher immer Bier darin.“
Ambjørnsen entzieht sich Erwartungshaltungen: Als linker, sozialkritischer Schriftsteller hat er seine Bücher trotzdem größtenteils im Bokmål, dem konservativen hochnorwegisch verfasst. „In Norwegen kann man an der Sprache hören, ob jemand links oder rechts ist“, sagt Ambjørnsen. „Romane aus dem Drogen- und Kleinkriminellenmilieu wie ‚Weißer Nigger‘ oder ‚Der letzte Deal‘ sind natürlich mit viel Slang geschrieben.“
Besser als Bokmål eigne sich dafür Nynorsk, die Schriftsprache, die der Sprachwissenschaftler Ivar Aasen in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus west- und zentralnorwegischen Dialekten entwickelte. „Aber meistens schreibe ich Bokmål, das verwirrt die Leute.“ Ambjørnsen hat für beide Varianten Sprachpreise bekommen.
Noch weiß der Schriftsteller nicht, welche Hindernisse der sogenannten normalen Gesellschaft sein Protagonist Elling dieses Mal überwinden muss. Dass es in dem Roman allzu bürgerlich wird, ist allerdings nicht zu befürchten: „Eine straighte Familiengeschichte interessiert mich überhaupt nicht. Und ganz normale Menschen gibt es sowieso nicht.“
Ingvar Ambjørnsen: Aus dem Feuer. Nautilus 2016, 320 Seiten, 22€
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!